HAVANNA, DIE ZWEITE

Fünfjahrespläne haben sich überholt, könnte man denken. Nicht so in Kuba. Beinahe ein halbes Jahrhundert nach dem ersten, revolutionären Fünfjahresplan hat die kubanische Nationalversammlung 2011 wiederum einen solchen beschlossen, diesmal jedoch mit dem Ziel, marktorientierte Wirtschaftsreformen zu etablieren. 2013, also quasi in der Halbzeit, sind Veränderungen spürbar.

Von SABINE POLLAK

Vor allem liegt eine ganze Reihe von Bauprojekten griffbereit, insbesondere für die Millionenstadt Havanna. Investoren aus (beinahe) aller Welt investieren in Hotelanlagen, Golfplätze und Ferienressorts. Inländische wie ausländische Architekturbüros planen. Fünfjahrespläne versprachen immer Gutes und bewirkten meist Schlechtes. Es ist bezeichnend, dass Kuba auch in Zeiten der Öffnung an der sozialistischen Diktion festhält. Veränderung ja, aber bitte unter den alten Vorzeichen! Doch wie vieles andere verlaufen auch die Vorhaben zur Liberalisierung des Marktes gewohnt kubanisch langsam. Dennoch ist gewiss: Der ungetrübte Blick auf die Skyline von Havanna, in der schlanke Türme aus den 1960er Jahren das Bild bestimmen, wird demnächst Geschichte sein.

Havanna ©Havanna

 

DAS GESCHÄFT LÄUFT GUT

Noch ist er gegeben, der Blick, zum Beispiel aus dem 11. Stock eines typischen spätmodernen Wohnturms im Stadtteil Vedado, wo kürzlich ein Paladar eröffnete (ein kleines Restaurant in einer Privatwohnung im Gegensatz zu den staatlich geführten Betrieben). Das Apartment ist nach über sechzig Jahren erstaunlich gut erhalten und ebenso erstaunlich großzügig bemessen. Während hierzulande die Nachkriegsmoderne zu kleinen, niedrigen Wohntypologien zwang, plante man im Aufschwung der Revolution groß und offen. Zentrale Wohnräume erschließen Schlafräume, Wintergärten, Balkone und Terrassen erweitern das Wohnen nach außen, die Räume sind hoch, hell und gut proportioniert. Im Restaurant wird es hier dennoch manchmal knapp, denn das Geschäft läuft gut. Dann wird jedoch spontan eine Wohnzimmerecke zum Essbereich erklärt. Dass man durch das private Schlafzimmer zum Toilettenbereich geht, ist normal und lässt an der Sinnhaftigkeit von diversen EU-Hygieneregeln neuerlich zweifeln. Über dem Bett liegt die Tagesdecke, familiäre Erinnerungsfotos auf dem Schrank sind umgeklappt und die Umwandlung von Privatwohnung in Restaurant erfolgt täglich mit nur wenigen Handgriffen. Essen und Ausblick sind sensationell. Das ist erstaunlich und neu, jedoch der Ausblick zeigt, wie gesagt, Unverändertes: die vielfältige Dachlandschaft der Stadt mit bis aufs Äußerste genutzten Dachzonen und solitären Bauten der Spät moderne.

 

ERLASS DER CASTRO-BRÜDER

Zum ersten Mal seit der Revolution ist es in Kuba erlaubt, ein Restaurant ohne Beschränkung auf drei Tische selbst zu führen, einen Bauernhof auf eigenes Risiko zu betreiben oder ein kleines Geschäft zu eröffnen. Der Erlass der Castro-Brüder klingt besser, als er ist, denn fast niemand kann sich die Verwirklichung einer eigenen Geschäftsidee leisten. Gut gehende Paladars wie jenes im 11. Stock basieren auf dem Kapital, das ein nach Portugal emigriertes Familienmitglied erwirtschaftet hat. Allzu häufig werden Bestimmungen auch plötzlich verschärft und Hindernisse gefunden, die zu rasches Wachstum stoppen und zu gut gehende Geschäfte wieder schließen. Die Paladars in Privatwohnungen verändern das Stadtbild kaum. Sie machen einen Aufenthalt lediglich angenehmer, aber auch touristischer. Farbe ist nun erhältlich, nicht in großen Mengen, aber immerhin. Dies habe zur Folge, so Mario Coyula, Architekt und emeritierter Professor der CUJAE, der Technischen Universität Havanna, dass die kubanische Hauptstadt, seit jeher als weiße Stadt geplant, nun aussehe wie ein kreolisch-karibischer Verschnitt.


Was jedoch auffällt, sind Straßenzüge von kleinen Häusern aus dem 19. Jahrhundert, die in buntesten Farben frisch gestrichen sind. Farbe ist nun erhältlich, nicht in großen Mengen, aber immerhin. Dies habe zur Folge, so Mario Coyula, Architekt und emeritierter Professor der CUJAE, der Technischen Universität Havanna, dass die kubanische Hauptstadt, seit jeher als weiße Stadt geplant, nun aussehe wie ein kreolisch-karibischer Verschnitt. Dazu kämen ganze Fertigteilladungen von neuen Balkonelementen, die auf bestehende (oder fehlende) Brüstungen montiert würden und das Bild nachhaltig verändern. Es wäre vermessen, einem zerfallen(d)en, aber original anmutenden Havanna nachzutrauern. Eine Ruine als Wohnhaus hat nichts Romantisches an sich, sondern ist schlichtweg ein Desaster in der (Be)Nutzung. Im historischen Stadtteil Habana Vieja werden nun auch sukzessive ganze Straßenzüge restauriert. Die Finanzierung erfolgt über ein Investment, das vorsieht, etwa die Hälfte der sanierten Häuser als Hotels oder Apartments auszubauen und die andere Hälfte an die Bewohnenden saniert zurückzugeben. Die Rechnung hakt. Auch wenn viele dieser Häuser zuvor halb leer standen, ist zu vermuten, dass Bevölkerung aus dem touristischen Zentrums Havannas abgesiedelt wird.

 

HABANA DEL ESTE, DIE „GRÜNE STADT“

Wirklich Neues sieht man hingegen in jenen Stadterweiterungsgebieten der 1950er Jahre, wo damals sensationell moderner durchdachter Städtebau entstand. Habana del Este wurde als typische „grüne Stadt“ geplant. In sieben Sektoren gruppieren sich in Gehdistanz von je 150 Metern elegant geknickte Scheibenwohnhäuser unterschiedlicher Proportionen, dazwischen liegen Gemeindehaus, Kindergarten, Einkaufszentrum, Krankenstation, eine administrative Einheit und Sportanlagen. Man sieht dem Städtebau an, dass Platz da war und auch Mut zum Experiment. Eine dem Klima gut angepasste Architektur mit Verschattungselementen, zugigen Laubengängen und überdachten Freiräumen hat auch bei beachtlichen Höhen von bis zu 14 Geschoßen annehmbare Proportionen. Nun, ganz aktuell, wird wiederum erweitert, in Richtung Playas del Este, der lang gezogenen Strandzone nahe der Stadt. Eine Reihe neuer Wohnhäuser, etwas niedriger als die Scheiben, steht bereits. Man erkennt sie an den Farben (die neuen Farben tun Havanna insgesamt nichts Gutes) und an der Form. Ein leichtes Satteldach auf großen, dicken Klötzen imitiert ein Einfamilienhaus, ein Fensterformat wird durchgezogen und von den klimatischen Bedingungen und nachhaltig klugem Bauen ist nichts zu spüren.

 

ARCHITEKTEN HABEN ES NICHT LEICHT IN KUBA

Die Gebäude der CUJAE gehören zu den beeindruckendsten Brutalismus-Bauten der Stadt, die Studierenden sind höchst engagiert, denn sie erfahren eine gute und intensive Ausbildung. Bauen lässt man sie jedoch nach Abschluss ihres Studiums nicht. Ein eigenes Architekturbüro zu eröffnen ist (bis dato) unmöglich, Planung erfolgt staatlich und nach vorgegebenen Schemata. Und dennoch scheint alles besser als die Vorhaben ausländischer Investoren: Hoteltürme am Malecon (wo ist nun das Weltkulturerbe?), Golf plätze am Stadtrand und Marinas. Vor allem der längerfristige Plan für die Stadt wird alles verändern. Industriehafen und Raffinerie, derzeit direkt im Anschluss an Havanna Vieja gelegen, sollen abgesiedelt werden, und ein riesiges Terrain vague wird entstehen. Die großen Kreuzfahrtschiffe, die dann hier anlegen können, will man sich lieber erst gar nicht vorstellen. Die bestehende Skyline wird dann wirklich Geschichte sein und von schwimmenden Hochhäusern überragt werden. Aber die fahren ja wenigstens auch wieder ab.