Brian Clarke, der gläserne Rebell und „Rockstar in der Glaskunst“

In seinem Londoner Studio produziert Brian Clarke herausragende Glasarbeiten für Kirchen, Moscheen, Synagogen, Villen, Unternehmen, Shopping-Malls und Flughäfen weltweit. Seit über 40 Jahren entwickelt Clarke mit den weltweit besten Experten neue Verfahren für „transmitted light“, übertragenes Licht, in Gebäuden. Damit hat er ein traditionelles Medium wiederentdeckt, das seit dem Mittelalter viel seiner Kraft eingebüßt hatte und mit großem Ideenreichtum neu erfunden.

Von Mark Kidel

Die Anfragen bei Brian Clarke sind vielfältig: Für den jüngsten Papstbesuch in England wurde er angefragt, Glasfenster für eine Kapelle der Apostolischen Nuntiatur zu entwerfen, Architekten wie Norman Foster oder Arata Isozaki arbeiten mit Clarke, der für seinen Freund und Musiker George Harrison etwa einen Gehweg aus Mosaik gestaltete. Clarke ist ein Mann der Renaissance. Seine Interessen zielen weit. Er zeichnet, malt, entwirft Mosaike. Die alte traditionelle Glaskunst hat er regelrecht neu erfunden und in die Gegenwart übertragen. Clarke hat einen scharf ausgeprägten Sinn dafür, wie seine zahlreichen Tätigkeiten mit den Jahrzehntelangen Erfahrungen zukunftsfähig funktionieren können. Entscheidend für ihn ist, dass sie sich weder den Fluktuationen des Kunstmarktes beugen noch den Verlockungen des schnellen Geldes oder dem Haschen nach Celebrity erliegen. „Der Künstler ist heute mittlerweile ein Unternehmer und gibt nur vor, inspiriert zu sein“, sagt Clarke mit seiner bemerkenswert direkten Art, Dinge an- und auszusprechen. „Viele Künstler arbeiten eng mit Kunsthändlern, Museen und Sammlern zusammen und produzieren folglich farblose Werke, die nichts als ein Bedürfnis stillen oder eine Lücke füllen. Das geschieht natürlich auf Kosten möglicher Innovation, Originalität und – nicht zu vergessen – Aufrichtigkeit. Ich bewege mich dahingehend entschieden in einer Parallelwelt. Meine Rolle ist, mit einer Arbeit so gut wie möglich ich selbst sein zu können. So lange ich auf die Kraft zurückgreifen kann, mit meiner Vorstellungskraft und individuellen Sicht auf die Dinge frei zu sein, habe ich auch das Gefühl, überall hingehen zu können“, davon ist Brian Clarke felsenfest überzeugt.

Brian Clarke, ‚Leipzig‘, Stained Glass Screens. 2017. 204 x 252 cm. ©Foto: Brian Clarke

‚Leipzig‘, Stained Glass Screens. 2017. 204 x 252 cm.
Brian Clarke entwickelte neue Techniken mit verschiedenen Glasschichten. Daraus entstand eine Serie für gefaltete Paravents. Clarkes bahnbrechende Glasarbeiten werden von Juni–August 2018 im Sainsbury Zentrum der East Anglia Universität ausgestellt und dann in Südkorea, China und Japan touren. / Foto: © Brian Clarke
 

Clarkes individueller Weg als Künstler ist untrennbar mit der Suche zu sich selbst verbunden, mit Authentizität und der unerschütterlichen Hingabe an eine Vision, die ihn schon seit seiner Kindheit im Norden Englands begleitet und die sich ihm einen Augenblick lang in York Minster offenbarte. Vor einem der größten Kunstwerke in der traditionellen englischen Glasmalerei hatte er ein entscheidendes Erlebnis: „Ein solcher Moment offenbart sich plötzlich, unerwartet und ermöglicht den Zugang zu einer Erfahrung, die deine Gedanken öffnet und deine bisherige Weltsicht grundlegend verändert. Ich hatte dort das Empfinden, dass Architektur, Licht und Kunst einen flüchtigen Eindruck vom Paradies wiedergeben können! Ein solches Erlebnis wird in der Mystik als Glückseligkeit bezeichnet. “ Diese Verbindung zwischen Architektur, Licht und Kunst wollte Brian, noch ein Kind, später in seiner Arbeit erreichen und mit „transmitted light“, übertragenem Licht, sichtbar machen. Licht in Gebäuden bewusst zu gestalten, verändert die Wahrnehmung von Architektur radikal.

Brian Clarke, ‚Linköping Domkyrke‘, Schweden. Stained Glass. 2010. ©Foto: Brian Clarke

‚Linköping Domkyrke‘, Schweden. Stained Glass. 2010. 29 qm. / Foto: © Brian Clarke

 

Clarkes Kindheit in Lancashire

Brian Clarke wurde 1953 geboren und verbrachte seine Kindheit in Lancashire, genauer in Oldham, der Stadt der Baumwollspinnereien. Sein Vater war Grubenarbeiter, seine Mutter verdingte sich in einer Fabrik. Clarkes Vater liebte Kunsthandwerk und fertigte in seiner Freizeit Einlegearbeiten aus Holz mit verschiedensten Schattierungen und Maserungen. Clarke war davon sehr angetan. Diese Tätigkeit war keineswegs außergewöhnlich für eine Familie der englischen Arbeiterklasse, die als fromm, stolz und aufstrebend galt. Es war in den 1950ern durchaus üblich, entweder zuhause oder in Pubs zu Klaviermusik zu singen. Außerdem wurde Spiritualismus in seiner Familie groß geschrieben. Der junge Teenager Brian soll die Fähigkeit gehabt haben, Stimmen von Toten zu kanalisieren. Folglich wurden Verstorbene wie lebende Familienmitglieder behandelt. Medium zu sein, war nicht sein einziges Talent: Clarke zeichnete außerordentlich gut. Mit nur 13 Jahren wurde er in das lokale Art Collage, eine berufsbildende Schule, aufgenommen, die von ansässigen Philanthropen gegründet worden war. Dort hatte er bald eine wichtige Entscheidung zu treffen: weiterhin als Medium zu arbeiten oder eine Künstlerlaufbahn einzuschlagen.

Brian Clarke, ‚Pfizer Pharmeceuticals‘, New York, USA. Stained Glass. 1996. 600 qm.‚P zer Pharmeceuticals‘, New York, USA. Stained Glass. 1996. 600 qm. ©Foto: Brian Clarke

‚Pfizer Pharmeceuticals‘, New York, USA. Stained Glass. 1996. 600 qm. / Foto: © Brian Clarke
 

Brian Clarke war immer schon sehr offen für spontane Inspirationen und die Stimme der Intuition. Seine ersten Glasarbeiten entwarf er für Kirchen im Norden Englands, ehe er sein Kunststudium abgeschlossen hatte. Später ermöglichte sein Churchill-Stipendium es ihm, bedeutende Kunstwerke aus Glas in Europa und den USA zu studieren. Von Matisses Werk im südfranzösischen Vence war er zutiefst beeindruckt. Den größten Einfluss übte der deutsche Künstler Johannes Schreiter auf sein Werk aus, der Fensterglas von seiner primären, funktionalen Funktion befreite um vielmehr lebendige, gezeichnete Linien zu transportieren.
Das Zeichnen steht in Clarkes Schaffen stets im Mittelpunkt. „Das Zeichnen verleiht der Seele eine Stimme. Dabei geht es nicht darum, eine lebendige Form auf eine lineare Ebene zu bringen, sondern mit der Natur einer Linie poetische Ideen zu transportieren.“

Brian Clarke, Garten für George Harrison, Chelsea, London. Mosaik. 2008. 30 qm. ©Foto: Brian Clarke

Garten für George Harrison, Chelsea, London. Mosaik. 2008. 30 qm. / Foto: © Brian Clarke
 

Lancashire wurde ihm bald zu eng. Clarke ging 1976, in der Zeit der Punk Rock Explosion, nach London. Seine Spiritualität stand keineswegs in Widerspruch zum rebellischen Zeitgeist, der die Hippie-Generation einläuten sollte. Bald wurden Clarkes Malereien vom gefeierten Londoner Kunsthändler Robert Fraser gehandelt. Fraser machte mit der neuen kunstbeflissenen Klientel ein Vermögen. Mick Jagger und Paul McCartney kauften Werke von Clarke und wurden beste Freunde ebenso wie viele andere. Clarke war plötzlich der „Rockstar in der Glaskunst“. Er malte  hauptsächlich, nahm aber immer wieder Aufträge für Glasarbeiten entgegen. Weit mehr Aufträge lehnte er allerdings ab. Dabei konnte er mitunter durchaus anmaßend werden. So tauchte er eines Tages unangemeldet in den BBC-Studios auf und verkündete, dass sie doch eine Doku über ihn machen sollten, was dann auch tatsächlich geschah. Als beispielsweise der Kunstbeirat der Derby Kathedrale die Empfehlung machte, für zwei Fenster, die sie ihm in Auftrag gegeben hatten, andere Farben zu verwenden, antwortete er postwendend mit seinem typisch unverschämten „Fuck you!“ auf einer Postkarte, die er dem Beirat als Absage zukommen ließ.

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Titelbild: Brian Clarke, ‚The Al Faisaliah Complex‘, Riyadh, Saudi Arabia. Stained Glass. Foster & Partners. 2000. 2021 qm. / Foto: © Brian Clarke