Wenn skandinavisches Design auf die disparate Buntheit Indiens trifft

Dann ergibt das die einmalige Handschrift der dänischen Architektin Mette Lange. Ihre Lecture bildete den Auftakt zu den „November Talks 2017“ in Graz und nahm die Zuhörer mit auf eine schwungvolle Reise zwischen Kontinenten, Kontrasten und Konstruktionen.

Von Susanne Ary

In Skandinavien stehen dunklen, kalten Wintern milde Sommer mit langen Tagen gegenüber. Sie treiben die Bevölkerung seit Jahrhunderten in Scharen hinaus auf das Land, wo Sommerresidenzen zum traditionellen Kulturgut geworden sind – erst für die Reichen, und heute für jederman. Mette Lange, geboren in Gentofte, nördlich von Kopenhagen, stimmt das Publikum mit poetischen Bildern auf ihren Vortrag ein. Dänische Sommerhäuser stehen für das Skandinavische am Design. Sie sind mit klaren Formen, praktisch und ästhetisch auf das Wesentliche reduziert. „Diese Häuser sind für uns das Tor zur Natur. Sie reflektieren, wer wir sind“, unterstreicht Lange die Eindrücke an der Leinwand, die Bilder endloser Natur und das sanfte Sonnenlicht nordischer Sommertage zeigen. Dazwischen schwarze Holzhäuser mit strahlend weißen Fenstern und Türen sowie mit Strohdächern gedeckt. Das auffälligste klassische Sommerhaus besteht überhaupt nur aus einem riesigen, spitzen Dach. Ja, das Dach: Es spielt in Langes Architektur eine tragende Rolle. „Dach, Plattform, Licht“ – das ist ihre persönliche Triade der Architektur. „Und das Dach spielt die erste Geige!“

Mette Lange bei den "November Talks 2017" an der TU Graz 03 ©Foto: Marius Sabo


Dänische Tradition am Puls der Zeit

Mette Lange absolvierte ihr Studium an der Royal Danish Academy for Fine Arts im Jahre 1990 und gründete 2002 ihr eigenes Studio: Mette Lange Architects. Heute hat sie sich auf eine kleine Nische spezialisiert, in der sich ihre Ideen in einem ganz speziellen Stil entfalten: Sie gestaltet Sommerhäuser, inspiriert von dänischer Tradition, aber immer am Puls der Zeit, und erweitert um moderne und mutige Elemente. Das Haus Havblik etwa, erbaut 2015, steht auf einem Hügel und blickt in die unendliche Weite der Natur hinaus. Dennoch wirkt es nicht dominant, es fügt sich zurückhaltend in die Landschaft ein. Die Holzkonstruktion bleibt im Inneren bewusst entblößt – Bewohner und Besucher spüren hier das urige Handwerk alter dänischer Ferienhäuser. In Nekseløbugten wurde 2012 ein weiteres Lange-Sommerhaus erbaut. Es steht auf einer Landzunge, und das Meer hat man von der Terrasse nicht nur im Blick sondern direkt vor dem Haus: Das Gestein für den Zugangsweg stammt von der lokalen Küste. Augenfällig ist der Eingang des Hauses, der im Vergleich zum zarten Bau eher dominant ist – offen wie ein Scheunentor, ist man versucht zu sagen: „Die Scheune ist der Archetyp menschlichen Bauens.“ Und damit liegt man richtig. Der große Eingang ist also ein weiteres Zitat aus dem fülligen Geschichtsbuch skandinavischer Bautradition.

Mette Lange bei den "November Talks 2017" an der TU Graz ©Foto: Marius Sabo   

In den Projekten der dänischen Architektin trifft klares skandinavisches Design
auf die chaotische Buntheit Indiens / Foto: © Marius Sabo


Indische Baukunst

Bei den Sommerhäusern in Spættevej und in Præstø, die beide 1997 gebaut wurden, blitzt bereits ein weiteres Element von Langes Architektur durch: ihre Verbindung zu Indien. Die beiden Häuser grenzen an eine Blumenwiese, die wie das Meer unendliche Weite vermitteln. Beide Sommerhäuser sind auf Pfählen errichtet. Die schwarz getäfelten Wände und die Säulen sind es, die wenig skandinavisch anmuten. Sie erinnern eher an eine antike römische Villa oder eben vielmehr an indische Baukunst. Seit über 25 Jahren ist Indien Langes zweite Heimat.

Eines ihrer ersten Projekte in Indien war das Kiranpani-Haus, das 2000 fertig gestellt wurde. Langes Auftraggeber war eine europäische Familie, die den Winter im Nordteil von Goa verbringt. Die Residenz steht auf einem Hügel, von wo man den Dschungel und den Tiracol-Fluss sehen kann. Roter Lavastein dominiert den Bau, auf der Terrasse spürt man die Frische des Urwalds, ein überaus willkommener Kontrast zur herrschenden Hitze. „Ich möchte alle Sinne ansprechen, und ich liebe die Einfachheit“, betont Lange. Statt auf eine Klimaanlage setzt das Gebäude in den Schlafräumen auf natürliche Belüftung durch Schlitze. Die Straße verläuft an der Oberseite des Hügels – von wo das Haus unsichtbar ist. Es verschwindet perfekt in der umgebenden Natur.

Mette Lange bei den "November Talks 2017" an der TU Graz - Portrait ©Foto: Marius Sabo

Mette Lange, geboren im dänischen Gentofte, absolvierte die Royal Danish Academy for Fine Arts in Kopenhagen. 1996 gründete sie mit Anders Linnet das Studio Linnet & Lange ApS und spezialisierte sich auf Fassadenrenovierung. Nach der Gründung ihres eigenen Studios, Mette Lange Architects, im Jahre 2002 teilt sich ihr Arbeitsjahr in einen Sommer in Dänemark und einen Winter in Indien, wo sie ebenfalls ein Studio betreibt. Das Projekt Moving Schools bietet nomadischen Kindern eine Schulbildung und gewann schon mehrere Preise und wurde u.a. bei der Biennale in Venedig ausgestellt.


Mehr Informationen zu Mette Lange unter: www.mettelange.com

Mehr Informationen zu den diesjährigen November-Talks unter: www.fassaden-blog.at

Fotos: © Marius Sabo