Das verlorene Paradies

Fortsetzung: Anima, das verlorene Paradies von André Heller

Der Weg zu Anima ist nicht weit, ich lasse die tosenden Geräusche von Marrakesch hinter mir. Dort angekommen, betrete ich eine andere Welt, eine leise, subtile und farbenprächtige Welt. Ich werde herzlich von Geschäftsführer und André Hellers Partner Gregor Weiss sowie Elisabeth Stark, die das Team verstärkt, begrüßt. Sie führt mich zum Portal mit marokkanischen Holzschnitzereien aus Palmenholz, hinter dem sich André Hellers Garten öffnet.

Von Doris Lippitsch

Pfade winden sich in Mäandern durch die üppige Vegetation, sie geben keine Richtung vor. Es ist still in diesem Garten, hie und da vernehme ich Vogelrufe. Kurz verweilen wir vor einer Skulptur aus dem Benin, eine Trouvaille einer Brocante in Marrakesch. André Heller ist passionierter Kunstsammler. Nicht weit davon entfernt sehe ich eine Skulptur vor einer riesigen Euphorbia. Die Skulptur ist „ein Keith Haring“. Die Euphorbia ist über 100 Jahre alt und wurde aus der französischen Neustadt Gueliz in Marrakesch von einem Villengarten aus den 1920ern in Hellers Garten transportiert. „Alle Pflanzen wurden von der zum Abriss freigegebenen Villa zum Verkauf angeboten. Anima feilschte mit den anderen großen marokkanischen Pflanzenhändlern um die Palmen. Aber niemand sonst wagte den Transport dieser Euphorbia. Gregor Weiss schweißte mit den Anima-Gärtnern einen Stahlkäfig und schützte die Wurzelballen mit Gips und Stahl. So konnte der sechs Meter hohe und vier Meter breite Käfig mit einem Kran auf den Tieflader gehoben und nach Anima transportiert werden. Dabei gingen nur wenige Äste verloren, eine Meisterleistung“, erzählt Elisabeth Stark. Jede Pflanze, jeder Baum hat hier eine Geschichte zu erzählen. Kakteen und Agaven bilden in sich einen eigenen Skulpturengarten.

Anima - Andé Heller 06 © Foto: ANIMA

Anima - Cafe Paul Bowles ©Foto: ANIMA

ANIMA Café Paul Bowles. Architektur von propeller z, Carmen Wiederin.
 

Sogar ein Arganbaum befindet sich bei Anima. Diese Bäume, aus deren Früchten das kostbare Arganöl gewonnen wird, gedeihen sonst nur an der Atlantikküste zwischen Agadir und Essaouira. Ein schmaler Pfad führt zum arabisch-andalusischen Garten mit seinem Brunnen und den Orangenbäumen. Das Duftgemisch aus Orangen, Geranienblüten, Chili- und Currypflanzen – eine Mischung aus süß, würzig und scharf – ist einzigartig und für mich neu. Um uns nur das Rauschen und Plätschern des Brunnens. Der Weg durch diesen Wundergarten führt weiter zu einem Bassin der Wiener Werkstätte, in dem Edelrosen im Wasser schwimmen, deren zarter Duft sofort an Gertrude Steins Gedicht Sacred Emily, 1913, denken lässt: Rose is a rose is a rose ...,  vorbei an einer riesigen, wasserspeienden Skulptur, einem beschatteten Pfad mit einer Skulptur des Denkers nach Auguste Rodins berühmtem Penseur oder Denker, vorbei am chinesischen Zodiakus zum Teich mit Schilf und Seerosen und wieder zurück zum Skulpturenpark der Kakteen und Agaven, wo sich am höchsten Punkt ein Berberzelt befindet. Von dort ist der Blick auf die Palmen und den Hohen Atlas atemberaubend. Stille. Wir begegnen Gregor Weiss mit zwei Kollegen vom marokkanischen Fernsehen. Später trinken wir im Café Paul Bowles Minzetee.

Anima - Andé Heller 06 ©Foto: ANIMA

Skulpturen aus dem Benin, Trouvailles aus Marrakesch / Foto: ANIMA
 

„MAROKKO ETWAS ZURÜCKGEBEN“

Marokko kennt der Wiener Universalkünstler, Schriftsteller und „manische Verwirklicher“ André Heller seit 1972. Schließlich wollte er dem Land, in dem er „Glücksluft“ atmet, etwas „zurückgeben“. Und auch Marrakesch, Marrakech-la-Rouge, jener Stadt, die ihm über die Jahre schon „so viel Wertvolles und Unvergessliches“ zuteil werden ließ. André Heller hauchte der Brache einer ehemaligen Rosenfarm bei Marrakesch neues Leben ein und gestaltete den über zwei Hektar großen Garten Anima, der seit Frühjahr für Besucher geöffnet ist.


Schließlich muß ein Genie in einem Land entstehen das sich
selbst formt um zu sein was es ist aber noch nicht soweit ist
das heißt das was es ist noch nicht Allgemeingut.
Gertrude Stein


Anima bedeutet Atem oder Seele – Le paradis perdu, das verlorene Paradies. Nicht eine Pflanze, nicht ein Strauch oder Baum wuchs auf der einstigen Rosenfarm. Schon 1988 kaufte er den Botanischen Garten mitsamt dazugehöriger Villa des Naturforschers Arthur Hruska am Gardasee. Am Gardone gelegen, sind in diesem Garten über 2.000 Pflanzenarten aus allen Kontinenten und Klimazonen auf über 10.000 Quadratmetern zu bestaunen. Hellers Ambition: ein Zentrum für ökologisches Bewusstsein schaffen. Warum also einen neuen Garten in Marokko anlegen? „Immer wieder neue Schienen legen“, so beschreibt Hellerseine vielseitigen Aktivitäten und Projekte, der den Garten am Gardasee nicht aufgibt und auch weiterhin „kuratieren“ wird. Schon als Kind suchte er das barocke Gewächshaus im Schlosspark Schönbrunn immer wieder als „veritabler Pilger“ auf, das nicht weit von seinem Elternhaus entfernt war. Die Farben, Formen und Parfums der exotischen Pflanzen aus Asien, Afrika und Lateinamerika faszinierten ihn, dort stillte er seine Sehnsucht nach Bäumen „mit der Qualität des Südens“.

Anima - Rodin Skulptur ©Foto: ANIMA


Nach all diesen Jahren und einigen Projekten in Marokko wollte ich Marokko etwas zurückgeben. Die Menschen sind dort freundlich und wollen, dass etwas gelingt!
André Heller


Marokko kennt André Heller seit 1972. Er bereiste das Land von der Mittelmeer-Küste zur Sahara, vom Rif-Gebirge zum Atlantik, nach Essaouira, wo Jimi Hendrix 1969 einen Sommer lang in Diabat lebte, die Musik der Gnaoua (Anm.: Berber-Sprache Tamazight für ehemals westafrikanische Sklaven aus dem Raum Ouagadougou) aufspürte und rauschende Feste feierte.

Heller war von der Schönheit des Landes und der Vielfältigkeit der Landschaften schlicht hingerissen. Diese Vielfalt inspiriert ihn bis heute. Er wollte einen Ort der Schönheit und Ruhe schaffen, der die Besucher zu „Sinnlichkeit, Kontemplation, Staunen, grenzenlosem Genuss und Inspiration führt – zu einer unvergesslichen Erfahrung“. Einen magischen Ort. Von seiner ersten Marokko-Reise zeigt mir André Heller eine Zeichnung, ein Geschenk des Kostümausstatters Paul Hubert, die ihm mit einem „Servus Du“ gewidmet ist. „Von dieser ersten Marokko-Reise habe ich nicht ein einziges Foto, aber ich war wirklich dort“, erzählt er schmunzelnd und ist gleich wieder bei Huberts Kostümen für Billy Wilders Sunset Boulevard aus dem Jahre 1950. Schon sind wir bei Paul Bowles, dem amerikanischen Schriftsteller in Tanger, und seinem Gesang der Insekten, der uns kurz zum Tanz in schimmernden Insektenkostümen aus Fellinis Casanova abtauchen lässt. Anima ist auch ein Ort, der Assoziationen weckt. „Jedes Jahr war ich zumindest ein Mal in Marokko um das Land zu ergehen und über das Land zu staunen – um dort Energie zu tanken. Und nach all diesen Jahren und einigen Projekten in Marokko wollte ich dem Land etwas zurückgeben ...“

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André Heller - Portrait © Foto: Suzy Stöckl

André Heller, 1947 in Wien geboren, zählt zu den erfolgreichsten Multimediakünstlern der Welt. Seine Verwirklichungen umfassen Gartenkunstwerke, Wunderkammern, Prosaveröffentlichungen und Prozessionen ebenso wie die Erneuerung von Zirkus und Varieté, Millionen verkaufter Schallplatten als Chansonnier eigener Lieder, große fliegende und schwimmende Skulpturen, den avantgardistischen Vergnügungspark Luna Luna, Filme, Feuerspektakel und Labyrinthe sowie Theaterstücke und Shows, die vom Broadway bis zum Wiener Burgtheater, von Indien bis China, von Südamerika bis Afrika ihr Publikum fanden. André Heller lebt in Wien, in Marokko, in der Lombardei und auf Reisen.
Foto: © Suzy Stöckl