Die Performance ist zurück.

Bolshevik Train ©-In der Kunst liegt die Abkehr von Bild und Objekt hin zum Spiel mit dem Körper bereits einige Zeit zurück. In der Architektur erfolgt sie jetzt. Nach dem „spatial turn“ der 1990er Jahre (die abstrakte, computeranimierte Formfindung) ist in Planungsdisziplinen heute ein „performative turn“ zu beobachten.

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Vielleicht kehren wir zurück zu den futuristischen Gemälden Umberto Bocconis, der nicht den Stadtraum und die Häuser malte, sondern die Luft, die verdrängt wird, wenn sich Körper in der Stadt bewegen.

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etiennejulesmarey ©etiennejulesmareyStadt wird, so der Ausgangspunkt jener, die diesem „turn“ folgen, nicht von Gebautem bestimmt, sondern durch das, was dazwischen stattfindet, durch eine Summe aus Bewegungen, Ereignissen, Aktionen und Aneignungen. Das ist nicht neu, diese Sichtweise kommt aus den 1960er und 1970er Jahren. Die Theorien von damals dienen heute als Referenzen: das „As Found“ der Architekten Peter und Alison Smithson (Stadt ist das, was schon da ist), das Dérive der Situationisten (Stadt ist dort, wo du gehst), die Spaziergangswissenschaft des Soziologen Lucius Burckhardt (Stadt ist auch im Hinterhof) und der Strukturalismus eines Henri Lefèbvres (du selbst produzierst Stadt). Mit solchen Referenzen im Gepäck werden heutige Städte zur Bühne und werden Planende wie auch Stadtbenutzende zu Akteuren erklärt. Top-down-Planung ist passé, was zählt, sind individuelle oder kollektive, kurz- oder längerfristige Raumaneignungen im Spielfeld Stadt. Regie führt, wer gerade vor Ort ist. Dabei bedient man sich neben alten Theorien auch durchaus neuer Praktiken. Mit Flashmobs werden konsumistisch geprägte Zonen durchbrochen, in Stadtbrachen werden Parcours und Freerunning injiziert, für Aktionen wie „Reclaim the Street“ setzen sich Architekten auch einmal selbst vor ihr Gassenlokal, und Begriffe wie Guerillagardening, -cooking und -knitting gehören längst zum Alltagsvokabular neuer Architektengenerationen.

souslespaveslaplage ©souslespaveslaplage

Popowa ©Popowa

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Die Analogien zwischen Stadt und Bühne oder Planung und Performance sind näher (und kritisch) zu betrachten. Weder sollen Aktivitäten geschmälert noch Taktiken verharmlost werden. Im Gegenteil gilt es, sie ernst zu nehmen und nachzudenken, wie daraus Entwurfsmittel für eine neue, noch nicht fertige, potentielle Stadt werden könnten. Die deutsche Stadtforscherin Sophie Wolfrum definierte kürzlich „performativen Urbanismus“ als Disziplin. Performativer Urbanismus würde, so Wolfrum, das Interesse von der gebauten Stadt hin zu einem immateriellen Bezugsraum aus Praktiken und Wahrnehmungen lenken. Dabei bringe eine möglichst neutrale Stadt nicht zwingend auch eine maximale Nutzung mit sich. Zusehen und abwarten, ob etwas passiert, ist nicht genug. Es geht auch um die Planung oben genannter Aktivitäten bzw. um die Integration von Ereignissen und Bewegungen in planerische Überlegungen. Wie aber plant man Ereignisse? Wie dokumentiert man Aktionen? Welche Flächen, Räume und Wege definiert man, welche nicht? Wer provoziert was, und wie?

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Die Abkehr vom Kunstwerk und Hinwendung zur Aktion in der Stadt war auch eines der Grundmotive konstruktivistischer Kunst im revolutionären Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in jenen wenigen Jahren zwischen Oktoberrevolution und stalinistisch geprägter Umkehr zu traditionellem Monumentalismus. Eine wie nie zuvor interdisziplinär aufgestellte Kunst erklärte die Stadt zur Bühne und die Bühne zur Stadt. Mit Mitteln des Theaters aktivierte der Agitprop (Agitation plus propaganda) Stadtraum und Massen, im Theaterraum vermittelte die Bühnenmechanik die neue Stadt, Züge wurden zu Kinos, Arbeiterclubs zu Theatern, die Autorenschaft wurde für tot erklärt und alles integrierte sich in die Gesamtmaschinerie Bühne-Theater-Stadtpolitik-Revolution. 1920 rief Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold, Vorstand der Theaterabteilung (TEO), den Theateroktober aus, also die Revolution des Theaters. Die von Liubow Popova entwickelten Bühnenbilder glichen Industrieanlagen und bedienten die Meyerhold’sche Biomechanik, eine abstrahierte Ausdrucksform, deren Ursprünge der Regisseur auf den Taylorismus der USA bezog. Die neue Kunst basierte also auf amerikanischen Effizienzstudien, das ist vielleicht nicht unwichtig, wenn es um Referenzen geht.

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Bernard Tschumi, USA-basierter Schweizer Architekt, war Mitte der 1990er Jahre einer der Ersten, die versuchten, Ereignis, Aktion und Bewegung in die Architektur zu re-integrieren. In seinen Theorien, die auch heute durchaus noch lesbar, relevant, provokant sind, bezog sich Tschumi unter anderem auf den russischen Filmemacher Sergej Eisenstein, der Ende der 1920er Jahre den Konflikt als Grundmotiv der Montage und damit des neuen Filmschnitts festlegte. Mit der Parole „Montage ist Konflikt. Die Basis jeder Kunst ist Konflikt“, ließ Eisenstein Richtungen, Massen und Maßstäbe miteinander kollidieren und erreichte eine wirksame Übersetzung revolutionärer Geschichten. Im Parc des La Villette im Nordosten von Paris setzte Tschumi das Konzept von Ereignis und Konflikt auch baulich um. Das theoretische Konzept überzeugte, der gebaute Park weniger. Die roten Punkte (Folies) blieben grafisch, abstrakt und überformt. Überzeugender wurde es, wenn es um tatsächliche Ereignisse ging, also um ephemere Räume wie etwa das von Tschumi konzipierte Feuerwerk zur Eröffnung des Parks. Dies sei, so der Architekt selbstkritisch, wohl das überzeugendste Beispiel einer Architektur des Ereignisses gewesen: „Good architecture must be conceived, erected, and burned in vain.“
     Eine Performance lässt sich schwer verräumlichen, also in Wände und Ebenen übersetzen. Sie erzeugt keinen eindeutigen Raum, lässt sich nicht funktional festlegen und bewegt sich nicht entlang von Punkten und Promenaden. Performances definieren eher Felder und bewirken Strömungen, man beschreibt sie eher vektorial als planlich. Der „performative turn“ in der Architektur schreit also geradezu nach neuen Mitteln. Vielleicht kehren wir zurück zu den futuristischen Gemälden Umberto Bocconis, der nicht den Stadtraum und die Häuser malte, sondern die Luft, die verdrängt wird, wenn sich Körper in der Stadt bewegen. Ein medialisierter, digitaler Futurismus also? Dann aber bitte ohne Frauenverachtung, Heroentum und Weltverbesserungsgehabe. Der Plan ist tot, es lebe die Bühne Stadt, was wir damit tun, ist noch offen.

Einzigartige Formen ©-

Text: SABINE POLLAK