London - frischer Wind nach den Olympischen Spielen

Die Olympischen Spiele brachten frischen Wind in die Metropole an der Themse. Die von Richard Rogers und Norman Fosters Architektur geprägte Stadt dehnt sich vor allem in den Osten aus. Die Verbindung zwischen Alt und Neu wirkt wie ein Symbol für die Multikulti-Hauptstadt Großbritanniens.

Georg Brenner ©Georg Brenner

„Wir brauchen an die 400.000 Wohnungen“, erklärt Jakob Hartmann, staatlich geprüfter Fremdenführer in London. Der Däne lebt seit über 20 Jahren in London – ursprünglich wollte er sechs Monate bleiben. So geht es vielen, die einmal auf Besuch kommen. Daraus ergibt sich die bunte Vielfalt an Kulturen, Menschen und Städtebaukonzepten: „London ist multikulturell – bei uns würde niemand sagen, dass wir viele Einwanderer haben, wir sind einfach Multikulti“, lacht Hartmann. Die Architektur- Studienreise, organisiert von Beton Marketing Süd, Betonsuisse Marketing und Zement+Beton, gewährte ungewöhnliche Einblicke in eine besondere Stadt. Frank Huber, Zement+Beton und Ulrich Nolting, Beton Marketing Süd, zeigen sich begeistert über den Mut und die Möglichkeiten der Stadt. „Bei unseren Auflagen sind viele der Projekte undenkbar. Allein, dass neue Gebäude so knapp an Altbauten stehen dürfen“, wundert sich Huber fasziniert. Doch Hartmann erklärt: „Das ist gar kein Problem in London – die Baubewilligung kennt keine Berührungsängste zum Bestand.“ Nolting meint dazu: „Die Vielfalt ist beeindruckend – da leben wir ja im Vergleich wirklich in einem konservativen, fast langweiligen Umfeld.“

Roca Galerie ©Roca Galerie

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Doch neben den architektonisch durchaus recht gewagten Projekten besteht ein akuter Wohnbedarf für die sich ausdünnende Mittelschicht – dem gegenüber steht die Einstellung der Briten, Immobilien zu kaufen. Mieten will man hier nicht. Obwohl die Immobilienpreise kontinuierlich steigen, wird immer noch mehr gekauft als gemietet. Zurzeit werden neue Stadtentwicklungsgebiete vor allem im Osten in Angriff genommen. Bis dato diente dieser vornehmlich als Industriestandort – hauptsächlich wegen des schlechten Wetters, wie Hartmann erklärt: „Der Wind weht die schlechte Luft über die Themse in Richtung Osten.“ Zurzeit konzentriert sich alles in Richtung Docklands – soeben fertiggestellt ist das neue Einkaufszentrum, Canary Wharf, von Norman Foster. Kombiniert mit einer Shoppingmall und Büros entstehen rundum unzählige Wohnungen und begründen so ein neues Stadtviertel – das immer noch zu London zählt.
     Gebaut wird, sobald es Interessenten gibt. Die Stadt lernte aus den Fehlern der 1990er Jahre, wo Projekte auf Halde gebaut worden sind. Die Region der Olympischen Spiele liegt im Osten und erlebt zurzeit eine enorme Aufwertung. Die ehemaligen 3.000 Wohnungen für die Sportler konnten an die Königsfamilie aus Katar erfolgreich verkauft werden. Nun müssen die Zweizimmerwohnungen adaptiert werden – die Küche fehlt. Für das Stadion gibt es noch keinen Käufer wie auch für die anderen mobilen Sportstätten, die London gern verkaufen würde. Das Schwimmbad von Zaha Hadid bleibt.
     Die Immobilienpreise explodieren. Eine 100 Quadratmeter große Wohnung im Osten kostet 500.000 Euro – im Westen zahlt man für die gleiche Größe zehn Millionen Euro. Da bleibt wenig Spielraum für Menschen, die weniger verdienen. Dieser Problematik wird nun mit Bauten im Osten entgegengewirkt, aber die Apartments sind sehr klein und locken kaum Familien an den Rand der Stadt – so das Fazit des Stadtführers Hartmann. Doch es gibt eine Regel: Wer mehr als 16 Wohnungen plant, muss auch Sozialwohnungen errichten, im Schnitt müssen 40 Prozent „günstige“ Wohnungen gebaut werden. Dennoch wird der Unterschied zwischen Arm und Reich immer krasser – „und was ist ,billig‘ oder leistbar?“, fragt Hartmann.

Laben Dance School ©Gisela Gary

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Die Olympischen Spiele – sehr erfolgreich für die Achtmillionen-Einwohner-Stadt – wie auch der Geburtstag der Königin, der medial wirksam zelebriert wurde, faszinierten Einheimische wie auch Millionen Touristen. Selbst der Däne Hartmann strahlt über das ganze Gesicht, als er von den Feierlichkeiten zu Ehren der Queen erzählt. Über 1.000 Schiffe kamen über die Themse herein und feierten mit – die 29 Medaillen der erfolgreichen Sportler wie auch den Geburtstag der Grande Dame.
     Bestaunt und von allen begrüßt wird auch die zurzeit größte Baustelle Europas: der 21 Kilometer lange innerstädtische Tunnel für das Crossrail-Projekt, eine Verbindung quer durch die Stadt – voraussichtliche Kosten rund 24 Milliarden Euro –, die bis 2018 fertiggestellt sein soll. Die Regionalexpresslinie verbindet zukünftig Shenfield im Osten und Maidenhead im Westen. Die acht größten Tunnelbohrmaschinen graben sich bereits durch die Stadt. Das Finanzierungskonzept klingt vielversprechend: Alle Arbeitgeber, die an die Strecke angrenzen, zahlen über Steuern an dem Bau mit – denn sie werden zukünftig davon profitieren.
     Gebaut wird aber in ganz London an allen Ecken und Enden – kaum eine Straße ohne Baustelle, kaum ein Blick von oben ohne Kräne. Vor allem sind noch einige Hochhäuser in der Linienführung der Pipeline, alle rund um Norman Fosters Gherkin. Eine der aktuellsten Bürohochhäuser-Baustellen ist der Walkie Talkie von Rafael Vinoly. Einzig akribisch eingehaltene Regel beim Bauen ist, dass der Blick auf die St Paul’s Cathedral frei bleibt.
     London liebt die Superlative – 2011 waren die Bauten für die Olympischen Spiele die größte Baustelle Europas. The Shard von Renzo Piano ist mit 310 Meter Höhe das höchste Gebäude Europas. Norman Foster ist der reichste Architekt der Welt – der Hausbootbewohner Damien Hirst der reichste Künstler weltweit.

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Es gibt keinen Masterplan, der zeigt, wie die Stadt weiter entwickelt werden soll. Der Däne Hartmann lacht, denn er weiß, dass das ungewöhnlich ist. Gebaut wird, wo es geht und wenn ein Bauherr Geld hat. Das ist nicht immer die Stadt, meist sind es ausländische Investoren, denn London gilt weltweit als sichere Stadt, als eine konservative Anlage, als ein verlässlicher Platz, an dem sich Werte halten. Doch die Stadt hat kein Geld mehr. So investieren verstärkt Ausländer, die sich jedoch gern bedeckt halten. Aber auch atmosphärisch ist London beliebt. Selbst z. B. russische Oligarchen, die einen Streit haben, kommen nach London, um mit Hilfe von britischen Rechtsanwälten einen gütlichen Weg zu finden, verrät Hartmann. So stark ist das Vertrauen in die Metropole. „Aber klar, wir sind keine Eurozone, hier fühlen sich die Menschen mit Geld sicher“, schmunzelt Hartmann.
     Doch so wie es in alten und neuen Stadtvierteln immer wieder nach Protzarchitektur und Geld aussieht, prallt ebenso Armut auf monumentale Glastempel und Alt auf Neu. Die Finanzkrise hat London im europäischen Vergleich weniger stark getroffen, dennoch gibt es die ersten Anzeichen, dass das Geld ausgeht. „Die Foster- und Rogers-Jahre sind nun vorbei. Junge Architekten werden beauftragt – und das ist auch gut so“, wagt Hartmann eine sanfte Kritik. Tatsächlich, eine Rundfahrt durch London zeigt allein rund um den Tower sieben Gebäude, die von Norman Foster geplant wurden. Aber auch Richard Rogers – leicht erkennbar an den außenliegenden Aufzügen und der bunten Haustechnik – ist prominent vertreten.

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Glas und Stahl dominieren bei neuen Gebäuden. Ein soeben fertiggestellter, vollkommen transparenter Wohnbau, direkt neben der Tate Galerie und geplant von Foster, gibt das Leben der Bewohner preis – die Londoner sind unübersehbar stolz auf ihre Wohnungen. „Doch eigentlich lieben die Londoner ihren Ziegel und wohnen gern in alten Häusern“, erklärt Hartmann. Deshalb haben viele sogenannte Kernsanierungen durchgeführt, bei denen die Fassade erhalten bleibt: „Es gefällt uns, wenn es alt aussieht.“ Die Briten regen sich selten über Gebäude auf, nur das Philips-Gebäude, das aussieht wie ein Elektrorasierer, das gefällt ihnen nicht und wurde von einer Architektenjury jüngst zum hässlichsten Gebäude der Welt gekürt. Neben den vielen Glasbauten ist London reich an viktorianischen Bauten. Dazwischen gibt es auch viele alt aussehende Gebäude, die jedoch kaum auf 100 Jahre kommen. Eine frühere Pumpstation wurde zum Beispiel als Restaurant und Kunstgalerie sensibel mit Sichtbeton adaptiert. Brandneu ist unter anderem der Anbau von C.F. Møller im Naturhistorischen Museum. Wie ein Riesensaurier-Betonei „liegt“ der nun zusätzlich gewonnene Ausstellungsbereich im westlichen Teil des Museums. Zaha Hadid konnte erstmals in London bauen: die Roca-Galerie, bei der die irakische Architektin die Spielmöglichkeiten mit Beton ausreizte. Ein bisschen wie Schlumpfhausen wirkt der geschwungene Eingang – um dann den Besucher im Innenraum mit seiner perfekten Sichtbetonqualität, den vielen Nischen und runden Formen sofort zu faszinieren. Die Galerie eines exklusiven Sanitärherstellers ist futuristisch und gemütlich zugleich.

Georg Brenner ©Georg Brenner
     Sichtbeton, Farben und Formen dominieren auch die Laban Dance School, eine Tanz- und Performance-Universität. Die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron planten ein buntes Gebäude mit spürbar viel Bewegung, wobei auch der Garten einbezogen wurde. London scheint grenzenlos kreativ zu sein – kein Wunder, wird doch die Stadt von Künstlern so geschätzt.

Text: GISELA GARY