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Weinerliche Weltarchitektur

Paolo Baratta ©Carlo Biasia / la Biennale di Venezia
Wolf D. Prix hat zur diesjährigen Architekturbiennale des David Chipperfield eine dezidierte Meinung öffentlich abgegeben. In der Tageszeitung Der Standard, unter anderem. Nun behaupten die jenigen, die sich von der Dezidiertheit betroffen fühlen, darunter Chipperfield selbst, Prix sei gar nicht in Venedig gewesen. Er schreibe über etwas, was er nicht gesehen habe. Gut möglich.

Laurids Ortner hingegen war ganz sicher in Venedig. Ortner zählt zu jenen Eingeladenen, die dafür verantwortlich sind, dass diese Biennale so belanglos geworden ist, wie es Prix voll zutreffend beschreibt. Nehmen wir also an, Prix hatte tatsächlich diese Biennale nicht besichtigt. Dann bestünde die denkwürdige Situation, dass die dezidierte Meinung desjenigen, der dort war, völlig daneben ist. Jene von Laurids Ortner. Und vice versa – die dezidierte Auffassung desjenigen, der nicht dort war, vollkommen richtig ist. Jene von Wolf D. Prix.
     Dafür, dass Prix recht hat, ist keine besondere Hellsichtigkeit notwendig gewesen. Es reicht einfache Extrapolation. Er hat ja an einigen vorherigen Biennalen aktiv und auch aus dem Hintergrund agierend teilgenommen und hat sehen können, wie rapid die Qualität der Biennalen abnimmt. Besonders deutlich sehen können, weil er ja diesen Trend mit verursacht hat.
     Bereits die vorhergehende 12. Biennale von Kazuyo Sejima war von der gleichen Mittelmäßigkeit und Belanglosigkeit wie die diesjährige. David Chipper field setzt nur fort, was Sejima angefangen hat, und beruft sich dabei auf den Erfinder der Architekturbiennale Paolo Portoghesi, einen besonders beredsamen Apologeten der Postmoderne. Die damals, 1980, allerdings noch halbwegs frisch und zumindest in Ansätzen wichtig war.
     Die Chipperfield-Biennale ist daher eine Veranstaltung einer neuen Postmoderne, also einer Postpostmoderne oder genau genommen Postpostneomoderne, eine Propagandaschau für konservative, mitunter reaktionäre Haltungen. Sie ist das Abbild einer ratlosen Gesellschaft, die auf die ökonomische und politische Krise nicht mit radikalen Reformen reagiert, sondern durch Flucht in die Vergangenheit. Eines der auffälligsten Stücke im Arsenale ist die bühnendekorationsartige Nachbildung der Villa Rotonda von Palladio.
     Und so trumpft Ortner in seiner Prix-Erwiderung mit dem römischen Pantheon auf, das er als Maß - stab für die heutige Architektur preist. Für seine eigenen Vorbilder reist er nicht so tief in die Vergangenheit zurück. Er speist seine Phantasie aus der Pittura metafisica, wie er mit seinen Nachahmungen der Giorgio de Chirico-Bilder selbst überaus anschaulich illustriert.
     Völlig unabsichtlich, aber umso eindringlicher macht die 13. Architekturbiennale in Venedig eine andere Auslegung des dehnbaren Architekturschau-Mottos „Common Ground“ deutlich. Man sieht, wohin man schaut: Nicht nur die Weltwirtschaft, sondern auch die Weltarchitektur befinden sich in einer fundamentalen Krise. Noch etwas macht dieses Neopostmodernefest deutlich. Die erstaunliche Belanglosigkeit der hier präsentierten Architekturkonzepte für die Gesellschaft. Das hier so theatralisch vorgetragene Staunen über die eigene Bedeutung gerät zum Abbild einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit eines Berufsstandes. Die tiefe Verunsicherung, die aus den Beiträgen von Peter Eisenman, Norman Foster, Rem Koolhaas etc. geradezu herausfunkelt, ist der neue Zeitgeist.
     Diese Krise der Biennale zeichnet sich bereits seit einigen Doppeljahren ab. Allerdings muss man sagen, dass diese Feststellung nur eine Hälfte der Biennale betrifft. Jene Hälfte, der die entscheidende Portion der öffentlichen Aufmerksamkeit gilt, nämlich diejenige, die von einem von den italienischen Veranstaltern eingesetzten, sogenannten künstlerischen Leiter geplant oder auch gestaltet wird. Meist von einem Star, ob Architektin oder Theoretiker, der gerade als opportun erscheint. Die andere Hälfte der Architekturbiennale, die Beiträge in den Länderpavillons, vermittelt zum Großteil ein anderes Bild des aktuellen Architekturzustandes.
     Man muss sich daran erinnern, wie diese Trennung entstanden ist. Sie kommt von der Kunst biennale von Harald Szeemann und dessen genialem Zug, das Arsenale unter dem Titel Aperto, Geöffnet, zu öffnen. Er öffnete das Arsenale, und er öffnete es für die jungen, unbekannten, kontroversiell arbeitenden Künstler. Sofort war es der interessantere Teil, während man auf die althergebrachte Unterteilung nach Nationalitäten – zu Recht, wiewohl oft völlig unbegründet – herabgeschaut hat.
     Die Architekten haben dieses Trennungsschema verdreht zur Selbstdarstellung der Arrivierten. Es ist mittlerweile zu einer bemerkenswerten Inversion gekommen, indem die sogenannten nationalen Pa villons längst und ohne großes Aufsehen international geworden sind. Die Kommissäre nennen sich nicht mehr Kommissäre, sondern Projektkuratoren oder künstlerische Leiter. Meistens werden sie nicht mehr ernannt, sondern müssen sich mit ihren Konzepten vor einer Fachjury behaupten. Nur im österreichischen Pavillon herrscht noch das alte autokratische Prinzip vor, dass eine Politikerin oder ein Politiker den Kommissär ernennt und dann nur zittern kann, wie sich die Partie ausgeht. Dieser Anachronismus besteht, weil die kulturtragenden Politiker und Politikerinnen dem seltsamen Ritual der Selbsthuldigung vor dem Alter des österreichischen Pavillons des Architekten Josef Hoffmann verfallen zu sein scheinen. So wie dem Begriff Kulturnation.
     Diesmal, mit Wolfgang Tschapeller, ist es mit dem antidemokratischen Vorgang der Suche nach einem kulturnationalen Beitrag gut gegangen. Sehr, sehr gut. In der vorherigen Ausgabe, mit Eric Owen Moss, ist es ein international viel beachtetes Desaster geworden. Schwer zu sagen, ob der österreichisch-chauvinistische Tick mit der Selbstbeweihräucherung „Österreicher bauen im Ausland, Ausländer bauen in Österreich“ die alleinige Erfindung des egomanischen Amerikaners war, oder ob er doch nur eine Marionette der ministeriellen Einflüsterer aus der legendären MAK-Seilschaft, also ein Opfer, gewesen ist, ein österreichisches Äraropfer sozusagen.
     Wie es die normative Kraft der Glückszahl 13 will, findet heuer zugleich auch die 13. documenta statt. Nach fünf Jahren wieder. Die Qualität ist stets etwa fünfmal so hoch wie jene der beiden Biennalen für Kunst und Baukunst. Es ist wirklich eine Illusion, von architekturüberforderten Menschen – das heißt auch Architekten selbst – zu glauben, dass jedes zweite Jahr etwas Neues, Interessantes zum Zustand der Architektur gesagt oder gar gezeigt werden kann.
     Die Kasseler documenta, die weltwichtigste Manifestation der bildenden Kunst, ist stets vortrefflich theoretisch fundiert und organisatorisch vorbereitet. Ein documenta-Beitrag von Haus- Rucker-Co, also auch von Laurids Ortner, der Rahmenbau von 1977, war derart gut, dass man diese vortreff liche Architekturinstallation in die fixe emotionelle Ausstattung der Stadt übernommen hat. Weil sie eine Pantheon-Antithese ist.

Text: JAN TABOR