Wild wachsender Kristall
Lumenart, Pula
Wienerberger Brick Award
Lumenart, Pula. Der ungewöhnliche, im Sonnenlicht fast blendende Bau überrascht in der kroatischen Kleinstadt, die sich über viele Jahre de facto nicht verändert hat und den Eindruck erweckt, dass die Zeit spurlos an ihr vorüber gegangen ist, sie sich vielmehr an der Vergangenheit orientiert.
Jedem, der von der Küstenstraße kommt, sticht seine extravagante Form sofort ins Auge, auch sein Weiß, das charakteristische Weiß mediterraner Architektur. Gerade hier, inmitten von Weingärten, historizistischen Villen, Wohnbauten aus dem ehemaligen Jugoslawien und den Marine-Kasernen, haben Architekt Andrija Rusan und Designer Dean Skira den Firmensitz von Lumenart durchgesetzt, ein durch und durch zeitgenössischer, postmoderner Bau.
Schenkt man regionalen Stimmen Glauben, schwebt hier ein Mantra des Unmöglichen über jeder Änderung und Neuerung. Restriktive Bauvorschriften, ein knappes Haushaltsbudget und ein wenig entwickelter Technologiesektor scheinen hier alles bestimmend. Keine idealen Voraussetzungen für einen innovativen Bau. Aber gerade hier zeigt die führende kroatische Lichtfirma Lumenart, dass beides auch ohne großes Budget realisierbar ist: „Keine Sorge, das ist möglich“, haben Rusan und Skira, Lumenart-Eigentümer, schon öfter wiederholt. Gesagt, getan.
WENIGER IST MEHR
Ein einfacher Kubus auf einem Sockel, ein Nutzbau mit einem Gehäuse aus Ziegel, innen und außen verkleidet, beide autonome Elemente. Form does not follow function: Der Pavillon spiegelt weder die Konstruktionslogik noch das Konzept der Innenräume wider, vielmehr scheint er dem Leitsatz „Weniger ist mehr“ zu folgen: weiß die Außenhaut, weiß die Innenräume, ideal für Projektionen jeder Art.
Die Idee für das Gebäude soll auf einer Fähre zwischen Split und der Insel Hvar in Dalmatien entstanden sein. Während Skira das Gebäude laut imaginiert, hört Rusan zu und zeichnet dabei vor sich hin. Als Skira diese Skizze sieht, weiß er: Das ist es!
Daraufhin visualisiert Rusan einen wild wachsenden Kristall, der erst in seine geometrischen Formen gebracht werden muss. Trotz der Tatsache, nie zuvor einen so gewagten Bau in der Region Pula realisiert zu haben, schrecken beide keineswegs von dem Vorhaben zurück.
ZOOM IN DEN KRISTALL
Lumenart ist ein Haus der kroatischen Lichtkultur und wurde als architektonisches Licht-Laboratorium konzipiert. Seit Jahren arbeitet das Unternehmen an neuen Ideen für Lichtdesign, an innovativen Beleuchtungskonzepten in der Innenarchitektur und im urbanen Raum. Seine technischen und kreativen Möglichkeiten sind gebäudeimmanent. Mit der Außenhaut wird der ursprünglich einfache Zweckbau zu einer Hightech-Architektur.
Nanopartikel in den Farbpigmenten sichern dauerhaft sein strahlendes Weiß. Schmutz und Staub „perlen“ ab. Die Fassade wirft Schatten und ist von hoher Plastizität, nachts wird sie mit Licht bespielt und so ihre Tiefenwirkung betont. Licht ist Sinnbild für Energie.
Mit etwas Fantasie entsteht der Eindruck, dass hier die physikalischen Eigenschaften der Lichtbrechung mit einer streng geometrischen Anordnung der Strukturen – Kern/Kubus undAußenhaut/Kristall – umgesetzt worden sind, quasi gezoomt.
Kristalle haben eine besondere Eigenschaft: die der Metamorphose, auch Umklappvorgang genannt. Führt man Energie, Strahlung, also Licht hinzu, klappen Bausteine um, entweder in ein raum- oder in ein kubisch rhombisches Gefüge. Sie stehen unter Spannung, in direkter Beziehung zueinander. Der Kubus aus Ziegel wiederum erdet den Bau. Der biologische Werkstoff Lehm, im Wesentlichen aus Aluminiumoxiden, erfährt durch Hitzeeinwirkung, thermische Energie, den Übergang von einem weichen zu einem festen Baustoff. Ein Zusammenspiel von Materialien und Energie, eine Raum- und Zeitachse für jeden Besucher und Kunden, der das Gebäude betritt. Die Unternehmensphilosophie wird über die unmittelbare Raumerfahrung vermittelt.
Lumenart in Kroatien ist eines von insgesamt 50 weltweit nominierten Projekten für den kommenden Wienerberger Brick Award ’14, der in fünf Kategorien vergeben wird. Prämisse: Einzigartigkeit in der Verwendung von Ziegel sowie Innovation in seiner zeitgenössischen Interpretation. Darunter sind auch zahlreiche Bauten aus China, Indien, Kambodscha, Thailand, Bangladesch und Indonesien. Jurymitglieder sind Pritzkerpreisträger Wang Shu (China), Pavol Paňák (Slowakei), Ewa Kuryłowicz (Polen) und Vera Yanovshtchinsky (Niederlande). Noch sind die Siegerprojekte unter Verschluss, Anfang 2014 erscheint das Buch brick ’14.
Text: DORIS LIPPITSCH