Gespräche Teil 9
Der öffentliche Raum
HARNONCOURT Es gibt ein Riesen Manko in Wien oder überhaupt in Österreich: das Bewusstsein für öffentlichen Raum, das Denken in Einzelobjekten statt in Umfeldern.
In Wien geht es um Nutzungsmix, aber es sollte meiner Ansicht nach um einen Benutzermix gehen. Diesen monokulturellen Umgang mit der Gesellschaft verschiedener Altersstufen finde ich vollkommen falsch. Er entmündigt und lässt die Möglichkeiten zur Selbstorganisation nicht zu!
PRIX Wie lege ich über dieses soziale Netz einen Raster? Wenn ich keine Ahnung habe, dann gibt es keine Planung. In dem Wort „Planung“ steckt die Wurzel Vorausahnung … Also, wie gehe ich damit um, wenn ich sage: „Ich kann die Zukunft eh net voraussehen?“ Dann is’ mir das wurscht und ich klotz’ das hin und sag’: „O.k., die müssen dann halt hantieren mit diesen Gegebenheiten!“ …
FRÖHLICH Man kann Zukunft nicht vorhersagen, aber man kann sie mitgestalten und wir brauchen Instrumente der Mitgestaltung …
Ich benötige Mechanismen, wo diese Vielfalt, die Differenziertheit auch miteinbezogen ist. Deshalb sind aus meiner Sicht Foresight-Prozesse für eine langfristige Entwicklung so wichtig …
HARNONCOURT Ich denke, dass es beim Einbeziehen der Öffentlichkeit nur um Bedürfnisartikulation und nicht um Gestaltung oder Raumerzeugung gehen kann. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Definition der Bedürfnisse der Nutzer ist ja oft nicht vorhanden. Das ist auch ein Prozess, eigentlich das Thema, und das wird oft falsch artikuliert und braucht eine gute Moderation, damit die Gestalter, die Architekten und Architektinnen oder Landschaftsplaner und Landschaftsplanerinnen – sozusagen die Spezialisten –, die Raum- und Nutzungsbedürfnisse räumlich umsetzen können.
RIEDER Die Frage ist: Wie kommt man sozusagen zum Zugang, der den Menschen auch erreicht im öffentlichen Raum?
Jeder Verkehrsteilnehmer weiß, was er macht, jeder Infrastrukturplaner, jeder Landschaftsplaner … Aber wer bringt’s alle(s) zusammen?
Dies ist eigentlich das Spannende. Wie entsteht daraus ein spontanes System? Eine neue Ordnung sozusagen? Irgendeiner muss entweder radikal moderieren oder radikal entscheiden und sagen: „Die oberste Hierarchie ist Ästhetik“ oder: „Stadt ist ein Kunstwerk. Stadt ist ein sozialer Akt. Stadt ist ein Business.“ Solche Grundbedingungen muss man vorher setzen, sonst rennen wir ja im Kreis.
STIEFEL … Wir wissen, dass Thesen nicht zu stimmen brauchen, um Entwicklung zu ermöglichen oder um Wirkung zu entfalten – und umgekehrt stimmt es auch: Wenn keine wirklichen Statements vorliegen, wird die Entwicklung schleppend sein. Wenn man diese wichtigen Grundbedingungen den unterschiedlichsten Entscheidungsträgern verständlich machen kann, dann wird es ein echtes Angebot. Dann wird die Differenz auch bezahlbar. Nur, das können wir als Architekten nicht alleine erreichen, sondern wir brauchen ein interdisziplinäres Team dazu.
HARNONCOURT Ich glaube, dass es in Wien ein starkes subversives Potenzial gibt! Soho in Ottakring und viele informelle Aktionen, die wir in unserer Zeit der 1990er Jahre gemacht haben. Immer wieder gab es Zeiten mit Interaktionen in der Stadt und selbstorganisierten Projekten … Das existiert, aber es ist immer in der künstlerischen Ecke angesiedelt und wird nicht genützt, um sich weiter zu entfalten.
STATTMANN Dass in Wien doch einiges drinnen ist, sieht man an Großereignissen wie der EM, da war Wien im Ausnahmezustand, wo dann plötzlich auch seitens der Stadt alles möglich war. Da werden Aktivitätszonen geschaffen, am Donaukanal und rund um das Rathaus wird alles zum öffentlichen Raum umfunktioniert und alle haben kein Problem damit – mit dem „Mehr“ an Chaos.
Man sollte auch über Ereignisse, über Prozesse reden, die stärker sind als die Baumasse. Wahrscheinlich braucht Architektur eine permanente Irritation durch Ereignisse, um aus dieser Starre der vollständig konfliktfreien Erwartungserfüllung herauszukommen.
QUER Die Stadt braucht den Underground ja, das ist ihr Nährboden …
FUCHS Es gibt die angewandte Architektur, da geht es ums Bauen, da wird realisiert. Da ist dieses disziplinübergreifende Denken, Arbeiten und Einbinden ganz schwierig, weil alles in gedeckelten Honoraren abgerechnet werden muss …
Im Grunde genommen ist jeder Wettbewerb dafür prädestiniert, dass du möglichst viele Spezialisten reinnimmst in das Boot, von der Stadtforschung, von der Soziologie … Deswegen hole ich mir ja Leute aus anderen Disziplinen dazu. Wir denken automatisch in einem Team, nur wird das oft über solche Verfahren ausgeschlossen. Und dieses Dilemma geht noch viel weiter zurück in die Aus-bildung. Prozessdenken müsste forciert werden, übergreifendes Denken.
FUCHS Wie bindet man die öffentliche Meinung ein? Das hat sehr viel mit öffentlichem Raum und den Menschen zu tun, was sie wollen, welche Bedürfnisse sie haben.
RIEDER Wenn es keinen Platz gibt …
PRIX Wenn es keine Adresse gibt, versammeln sich die Leute im Internet. Aber das ist virtuell. Und das ist eine andere Geschichte. Zum öffentlichen Raum nur ein Beispiel: Was ist denn der öffentliche Raum in Los Angeles? Das Auto …
FUCHS Ich muss sagen, wie wir damals den Workshop gemacht haben an der SCI-Arc … da ist ja auch referiert worden über die Geschichte von L.A. und die Parzellierung über die Wüste, das war mir dermaßen fremd und absurd. Das ist drüberg’rastert, ein Feld nach dem anderen, eine Parzellierung! Und da steht überall ein Einfamilienhaus drauf!
PRIX Das ist das amerikanische Rasterdenken, das wissen wir eh, woher das kommt. Von den Römern, und die waren net grad die Humansten. Also, das wissen wir. Also, die Römer, unsere Helden, haben als Erstes immer Bibliotheken der eroberten Städte zerstört. Dann noch 40.000 Druiden umbracht … Die Amerikaner glauben noch immer an das rechtwinkelige System, das ist wahrscheinlich calvinistischer. Aber was ist die Metaebene? Was ist jetzt Wien? Wird das die Weltstadt?
FUCHS Es wird laufend in den Medien prognostiziert, dass Wien wächst, in nächster Zeit auf zwei Millionen …
PRIX (liest Headline von Bericht) Der Brückenbau im Osten verliert an Glanz! Also, was sind wir jetzt? Headquarter-Politik (liest Vorspann): Wien muss neue Schwerpunkte setzen und sich globaler ausrichten. Was heißt das? Ich frage, sagt uns wer oder sagen WIR, wie sich die Stadt zu entwickeln hat? Es gibt Instrumente, dass man eine Stadtplanung clever(er) betreiben kann …
Warum sollen die Chinesen herkommen und sagen: Das ist ein Stadtmodell, das tragbar ist für die nächsten Schritte?
RIEDER Das europäische Stadtmodell ist das nachhaltigste Modell der kompakten Stadt, weltweit …
Wie kann etwas besser werden? Wie die Politik etwas frei gibt, am Gewerbepark und Biosphärenpark, so sollen sie endlich auch stadtplanerisch etwas erproben!
Entwicklung braucht Zeit und Überformung, denn in Wirklichkeit ist der öffentliche Raum ganz selten durch: „Der Erzbischof hat g’sagt!“ entstanden, sondern vielmehr durch jahrhundertelange Überformungen.
Wir sind heute nur so wahnsinnig und sag’n: „Das ist a geile Achsen!“ Die geilen Achsen funktionieren halt net, weil nur geile Straßen, nur geile Radlweg’, geile Kindergarten, geiles Shopping … ist alles parallel und voneinander isoliert und optimiert.
SCHREIECK Ich bin der Meinung, dass es nicht nur an der Peripherie möglich ist. Man kann auch mit der historisch gewachsenen Stadt forcierter umgehen, aber das ist extrem restriktiv, da läge viel Potenzial drinnen … Ich finde das eine unglaublich positive Initiative, dass es überhaupt einmal ein Gespräch (wie das heutige) gibt! In der Stadt gibt
es lauter Einzelkämpfer, die für sich versuchen, etwas zu bewegen. Aber das ist zu wenig. Wenn man erreicht, dass man sich in städtebaulichen Fragen etwas vernetzen kann, das ist dann ein Ergebnis, das extrem viel bewirkt. Also, heute eine neue Stadt zu denken oder zu neuen Ergebnissen zu kommen, ist ein nicht realistischer Anspruch!
PRIX Wir arbeiten jetzt in einer chinesischen Stadt an einem riesigen Masterplan, wo der Vizebürgermeister zufällig auch Architekt ist und sich gegen die momentanen Trends in China wehrt, große amerikanische Büros einzukaufen und Klein-Amerika dort zu bauen, was sie ja unheimlich lieben! Wir haben ihn da beraten, ein vernetztes System von Innovationszellen – so habe ich das genannt – zu etablieren.
Ich kenne den Anspruch der Chinesen, nämlich auch grade der jüngeren chinesischen Architekten, dass sie eine Leitkultur etablieren wollen. Wenn es uns nicht gelingt, auch neue Systeme in die Politik und in die Stadtplanung – auch in die Architektur – einzuführen, dann haben die vielleicht Recht. Aber eine chinesische Leitkultur möchte ich nicht haben, auch nicht für meine Kinder.
Die chinesischen und arabischen Kulturen haben – und das ist keine Evaluierung oder Wertschätzung oder Nicht-Wertschätzung – den Gedanken der Aufklärung nicht gehabt. Sie haben das Wort Selbstbestimmung – ob sie das verwenden oder nicht, ist ihnen fremd. Und daher denke ich mir doch, dass unsere Kultur zumindest nachhaltig – ich hasse dieses Wort – irgendwelche seriösen Entwicklungen provozieren sollte, wo wir dann nicht überlaufen werden. Und wenn es von mir aus die kompakte Stadt ist, dann müssen wir es auch wirklich so sagen. Sonst haben wir auch solche Blumengärten. Wir fangen ja auch schon an mit den Seen in der Mitte einer Stadt, das komischste Konzept … (Schreieck kurz dazwischen: Das urbanste, was man sich denken kann!) … und ungeeignetste, von Herrn Gerkan, das er nach China gebracht hat, und die waren ganz begeistert! Da ist irgendetwas passiert. Deswegen frage ich: Was haben wir, was hast du für ein Bild von einer Stadt, wo du gerne sein möchtest? Wir alle wissen: In Wien ist es so was von komfortabel …
HARNONCOURT Ich habe immer nur so Bilder, wo ich drinnen bin. Mittendrinnen. Das Gefühl, wenn du in den Straßen gehst. Wo eine Vielfalt, eine urbane Vielfalt erlebbar ist …
Es geht um eine Vielfalt der Möglichkeiten … Diese Leerfelder in der Stadt, die natürlich einen extremen Charakter haben, sind eine gute Voraussetzung, um Vielfalt entstehen zu lassen …
SCHREIECK Wobei es ist in Wien schon sehr schwer … Wien hat eine vollkommen andere Substanz. Alles muss absolut gestaltet, reguliert und festgelegt werden. In Wien hält man keine Leere aus und schon gar keine Gstetten … In Wien würde ich mir wünschen, dass der Außenraum eine andere Bedeutung bekommt. Der Außenraum, der Straßenraum ist in Wien nicht wirklich Lebensraum und sehr gut nutzbar – im Vergleich zu anderen Städten.
Wenn ich an Städte wie Lyon oder Barcelona denke, die systematisch den Außenraum … (Stimmen durcheinander ) …
QUER Die Plätze in Lyon sind erstaunlich leer und groß …
SCHREIECK Genau, ich kenne in Wien nur ein einziges positives Beispiel einer gelungenen Platzgestaltung – den Judenplatz.
STIEFEL Wir waren kürzlich im 21. Bezirk draußen und haben uns die Siedlung Compact City (vormals Homeworkers) von BUS angeschaut. Da gibt es diese öffentlich zugängliche erhöhte städtische Ebene, wo versucht wurde, urbanes Leben innerhalb einer gemischtgenutzten Struktur auch oberhalb des Erdgeschoßes zu etablieren. Aber da passiert gerade überhaupt nichts! Selbst an einem Sommerabend. Wie kann man das lösen? Das hat mit Wien, mit der Wiener Mentalität zu tun.
SCHREIECK … Das glaube ich nicht wirklich. Das hat sehr damit zu tun, was die Stadtverwaltung oder die Bauträger glauben zu wissen, was der Mensch zum Leben braucht – im Außenraum, zum Beispiel beim vorhin angesprochenen Kabelwerk – es gibt nichts, was es dort nicht gibt, ein absolutes Desaster! Eine Anhäufung von Stadtmöblierung, aber nirgends Aufenthaltsqualität.
FUCHS Das ist die Realität, Wien hat diese 13 definierten Zielgebiete, Entwicklungsgebiete.
PRIX Steppdecken!
RIEDER Wenn ich mir anschau’, wo was in Wien passiert, so ist das in sonderbarer Weise wirklich in den alten gründerzeitlichen Strukturen (Ottakring, Leopoldstadt).
Man hat dort begonnen, die Erdgeschoßzone für alle Nutzungen wieder freizugeben, kleinkörnige Grätzlnutzungen und vorgelagerte Outdoorflächen.
SCHREIECK Meiner Meinung nach gibt es keine Rezepte. Was in einer Situation richtig ist, kann in einer anderen falsch sein.
RIEDER Die Lasallestraße auf der linken Seite …
SCHREIECK Traurig, ja – aber es ist auch eine Illusion zu glauben, dass alle Erdgeschoßzonen von Anfang an belebt sein können. Man kann Potenziale schaffen und im Laufe der Zeit werden diese auch genutzt werden. Die Veränderungen der Erdgeschoßnutzung der Gründerzeitbebauung sind ein gutes Beispiel dafür. Am Anfang war da erst einmal gar nichts.
RIEDER Stimmt ja net, Gewerbe war im Erdgeschoß. Stimmt einfach net.
SCHREIECK
Mir geht es darum, dass die Erdgeschoßzonen so konzipiert werden, dass irgendwann einmal eine urbanisierende Nutzung möglich ist. Nicht eine kommerzielle, wie hauptsächlich praktiziert. Abgesehen davon, die Belebung der Erdgeschoßzonen alleine generiert noch keine lebenswerte Stadt.
STIEFEL Ich wäre da nicht so pessimistisch. Wenn Wien in 20 Jahren zwei Millionen Einwohner haben wird, dann werden es 300.000 zusätzliche Ausländer sein, die zugezogen sind. Dort, wo etwas passiert in dieser Stadt, gibt es einen großen Ausländeranteil in der Bevölkerung.
Der Wallensteinplatz zum Beispiel ist ja, wenn auch erst vor wenigen Jahren, umgebaut, als gestalteter öffentlicher Raum ein, sagen wir mal höflich, schwieriger Platz. Aber das ist einer, der super funktioniert – weil dort so viele kulturell unterschiedlich geprägte Menschen leben. Wenn wir auf diese Entwicklungen reagieren und dadurch neue, andere Formen für den öffentlichen Raum entwickeln, die auf Diversität und Differenz basieren, dann werden die Leute das Angebot auch annehmen … dass große Teile dieser Einwohnerschaft mit ihren Familien auf engstem Raum in Kleinwohnungen leben und geradezu gezwungen sind, den öffentlichen Raum intensiver zu nutzen, ist eine andere – bedenkenswerte – Geschichte …
QUER Christoph Chorherr hat gestern von Segregation, von Trennung, gesprochen.
FUCHS Mei, das Wort tut mir so weh!!
QUER Er hat das mehrmals betont. Wie wird das in Wien in den nächsten Jahren ausschauen?
HARNONCOURT Interessant, weil wir im zweiten Bezirk im Stuwerviertel wohnen und da gibt es diese Überlagerung ganz stark. Wir haben damals bei dem Wettbewerb Wilhelmskaserne mitgemacht. Da war für uns das Thema öffentlicher Raum ein großes, weil Ausländer, egal, ob Erwachsene oder Kinder, ganz anders mit dem öffentlichem Raum umgehen als wir „Österreicher“. Da entstehen starke Konflikte. Wir haben über das Thema des Außenraums die Baukörper entsprechend konzipiert … Außenraum, der unterschiedlichste Gruppierungen zulässt. Man kann viel tun, um Konfliktpotenziale mit stadträumlichen Maßnahmen zu entschärfen.
PRIX Es geht aber auch um die Trennung durch die Donau von Transdanubien und der gewachsenen Stadt. Es ist deswegen so lebendig in New York! Es heißt zwar „Little China“ und „Little Italy“, aber da gibt es keine Trennung, nur eine Straße dazwischen. Das macht schon die Dichte der Stadt … der Hintergrund der Vernetzung war schon eine Idee, dass man sich wehren muss gegen das, was nicht passieren darf, nämlich, dass die Genossenschaften das Stadtbild gestalten. Und dass die Architektenbüros Rechtsanwaltsbüros mit angeschlossenen Bauabteilungen werden.
SCHREIECK Ich habe gehört, dass jährlich 2.000 neue Normen entstehen, das ist unglaublich!
FRÖHLICH Im Innovationsbereich, wo wir uns intensiv damit beschäftigen, ist einer der Schlüssel: gemeinsame Lernprozesse! Was ich gerne hätte aus meiner Forschungsperspektive, ist so was wie die Möglichkeit, Exzellenz zu fördern und weiter zu entwickeln in einem globalen Rahmen. Wenn man solche Potenziale schafft, wäre das aus meiner Sicht attraktiv.
PRIX Das hat wirklich architektonische, stadtplanerische Auswirkungen, wenn man das weiterdenkt. Ich habe nur einen Wunsch: Ich möchte gern die Stadtplanung aus der politischen Umklammerung des Rathauses rausgenommen sehen. Nicht unpolitisch, aber aus der Umklammerung rausgenommen.
SCHREIECK Du sagst, du wünschst dir eine Stadtplanung aus der Umklammerung der Politik. Ich sage, ich wünsche mir überhaupt eine Stadtplanung in der Stadt, eine, die agiert und nicht reagiert! Aber ich sehe sie nicht!
PRIX Aus der Umklammerung des Rathauses, nicht der Politik.
RIEDER Stadtplanung funktioniert ja eigentlich so als Wahlwerbung der Politik. Es wird nix g’macht, was verändern darf und so verstehen sie ihren Job. Deshalb existiert diese Stagnation – wie du sagst –, wird systemimmanent und strukturbildend … Erst die Verknüpfung der Zonen lässt erlebbaren Raum entstehen. Dies ist das Manko der gegenwärtigen Stadt(planung).
PRIX Was mich momentan fasziniert, ist, dass unser Hirn, je nach Problem, sich hierarchisch oder basisdemokratisch organisiert. Wenn das die Verwaltung könnte und die Planung könnte erkennen, welches Problem wir wie durch Erfahrung lösen können …! Das wäre in der Stadtstrategie ein großer Schritt nach vorn. Net alles mitbestimmen und net alles ich-bestimmen, sondern je nach Problem.
Was ich mir von dem Gespräch über komplexe Systeme gemerkt habe, ist, dass es wahnsinnig schwer ist, das zu kommunizieren. Einfache Lösungen sind populistisch.
Früher war das einfacher. Warum war das in den 1960ern relativ einfach? Der Kreisky hat was g’sagt, und die Medien sind am Boden g’legn.
FUCHS Bei Bewerbungsverfahren ist es ja mittlerweile oft so, dass der Bewerbungsaufwand größer ist als letztlich das Wettbewerbsprojekt und der Verfahrenszeitraum länger dauert als die effektive Planungszeit. Das hat sich total umgedreht.
PRIX Ihr, die Delugans, wir … bauen viel zu viel in der Stadt. Also, ich komm’ jo gar nimmer ins Ausland, weil ich da von Baustelle zu Baustelle renne!
Und zum Abschluss: Wien ist eine Zwergpudelstadt mit einer gewissen Zwergpudelästhetik!
Was mich echt erstaunt am Beispiel vom autoritären Regime in China: Dort haben die Politiker nie das Bedürfnis danach, innovative Lösungsansätze von anderen Leuten zu erfahren. Wir machen gerade Städteplanung in China. Dort arbeiten viele nicht kooperativ, sondern im Netzwerk an verschiedenen Problemlösungen mit. Und es wundert mich, dass diese Stadt, die so überschaubar ist und dieses Potenzial, das ja vorhanden ist und sich nicht orientiert im Zirkel, dass man da nicht darauf zurückgreift! Das erstaunt mich. In China, wo sie jetzt die gleiche Augenhöhe erreicht haben, haben sie plötzlich ein Netzwerk, das ich vorher nicht gekannt habe.
HENKE Du meinst die Architekten?
PRIX Nein, auch die Politiker. Manche der Politiker sind Architekten.
Bei uns heißt es dann, wenn du dir die Entwicklung im Städtebau oder in der Architektur anschaust: „Pfui Teufel, jetzt gemma, groß ist schlecht! Ich gehe jetzt zur Bienenwachsarchitektur!“ Kuhstall umbauen in Gemeindezentrum, das ist das Ziel! Und deine Freunde bauen ostdeutschen Wohnraum, das ist das Ziel. Das ist in China ganz anders.
Und da fürchte ich – so unangenehm mir das ist –, dass das irgendwann unsere Leitkultur wird. Und das ist nicht gut, Chinesen haben keine Aufklärung gehabt! Wenn wir es nicht schaffen, dieses offene vernetzte System zu einem Erfolg zu führen, wo Ergebnisse als Trial-and-Error-Systeme realisiert werden, dann haben wir verloren, im Sinne von kultureller Entwicklung. Und dann ist der Traum von Erdgeschoßzonen und der bürgerlichen europäischen Stadt, die von der Bürgerlichkeit der Ideen lebt. Wir dürfen nicht vergessen, wir benutzen die Substanz des reichen Bürgertums. Wenn wir es nicht schaffen, diese Bürgerlichkeit zu ersetzen, dann sehe ich keine tolle Zukunft für unsere Kinder!