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BS1 ©Verlag Anton Pustet


UmBau 26
Status Quo Vadis
Die Zukunft der Architektur als Prognose und Programm. A Prospectus on the Future of Architecture.  Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für Architektur. Verlag Anton Pustet
128 Seiten/Englisch broschiert
 ISBN 978-3-7025-0713-8

Die Serie UmBau erscheint seit 1979 mit dem Anspruch, Hintergründe und Zusammenhänge in der Architektur sichtbar zu machen. Nach längerer Zusammenarbeit mit dem Institut für Architekturtheorie an der Technischen Universität Wien ergab sich wohl durch das überraschende Ableben von Professor Kari Jormakka die Situation, dass die ÖGFA die volle redaktionelle Verantwortung übernommen hat.
    Allem vorangestellt sind Thesen von Wilfried Wangs, Architekt und ehemaliger Direktor des deutschen Architekturmuseums, zu Paradigmenwechsel und Zukunft der Architektur – durchaus kontrovers, vor allem, wenn man sich die tatsächlichen Kräfte in der Produktion von Gebautem vor Augen führt und dabei die relativ kleine Rolle des Architekten objektiv bewertet. Geht man davon aus, dass ein Konsens mit den Produktions- und Nutzungszyklen von Bauwerken gefunden werden kann, bedarf es einer Mobilisierung breiter Teile der Gesellschaft, um hier etwas bewegen zu können.
    Die Ausgabe UmBau 26 versammelt zehn Beiträge, zum Teil auch in Englisch, die sich aus völlig unterschiedlichen Startpunkten dem Titel anzunähern versuchen – beginnend bei der Kategorisierung von Landschaften über aktuelle Perspektiven der Wiener Stadtplanung bis hin zum Konzept der „non-serving architecture“, die der Gesellschaft abseits der kapitalistischen Logik dennoch dienlich ist. Als sehr wertvoll habe ich zwei kurze Beiträge am Buchende eingestuft: eine Abhandlung von Eva Maria Froschauer zur Darstellung der Architektur in Medien, besonders in Architekturzeitschriften, und eine Analyse zur Wohnmobilität im Alter von Nicola Hilti, einer Soziologin an der ETH Zürich, die einiges an aktueller Wohnungsproduktion in Frage stellt.
    Bei manchen Beiträgen ist mir die Zuordnung zum Begriff „Zukunft“ nicht nachvollziehbar – wenn beispielsweise Technikutopien abgehandelt werden und die Betrachtung präzise und lesenswert die Anfänge behandelt, aber mit Beginn der 1990er Jahre endet.

DAVID PASEK




BS2 ©Verlag Dr. Kovac


Daniel Grünkranz
Architektur und Bewegung
Verlag Dr. Kovac, Hamburg
2013, 264 Seiten
ISBN 978-3-8300-6945-42010

Der Wiener Architekt und Architekturtheoretiker Daniel Grünkranz untersucht im vorliegenden Debütwerk Architektur und Bewegung die Wechselwirkung von architektonischen Objekten der gebauten Umwelt auf Menschen in ihren Bewegungen und ihrem alltäglichen Leben. Das Buch ist eine theoretische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, wie wir mit dem Angebot von Architektur als Objekt im Alltag umgehen.
    Bewegung ist weit mehr als ein Sinnbild architektonischer Formensprachen oder digitaler Entwurfsprozesse, sie führt zum Verständnis der Dinge im Kontext ihrer Welt. Dabei unterstreicht der Autor den Unterschied zwischen dem Konzeptuellen der architektonischen Disziplin und dem Ziel der Architektur: das menschliche Dasein.
    Architektur ist in ihren Formen, Techniken, Instrumenten und Konzepten durch den Fortschritt der Moderne sehr vielfältig geworden. Jenseits von Entwurfsprozessen, wie z.B. der Praxis digital generierter Formen, wirft Grünkranz die Frage auf, was konkrete architektonische Objekte leisten können. Effekt und Sinnhaftigkeit des architektonischen Objekts werden erst durch die Bewegung der Menschen erreicht und sinnlich wahrnehmbar.
    Im ersten Teil führen Beispiele aus der Philosophie u.a. von Maurice Merleau-Ponty, Martin Heid-egger, Emmanuel Lévinas und Graham Harmann in die Mensch-Architektur-Beziehungen ein. Die Phänomenologie öffnet unsere ureigene Beziehung zur Welt und zu den Dingen, die die Welt  bilden: der „gelebte Ort“ und „gelebte Raum“. Die Ontologie erfasst die Dinge an und für sich, wie sie sind, welche Effekte sie generieren.
    Im zweiten Teil werden konkrete Projekte und Entwürfe, die sich auf digitale Entwurfswerkzeuge und -methoden beziehen, thematisiert: Topographie und gebaute Landschaft, parametrisch generierte Architektur sowie  technologisch veränderbare Architektur.
    Ein theoretisches Werk, dessen Vielschichtigkeit sich auch in der Sprache des Autors widerspiegelt. Das Buch ist empfehlenswert für alle, die sich mit der aktuellen Vielfalt architektonischer Formensprachen die Frage gestellt haben, welche Beziehung Architektur zum Menschen in seinem Alltag hat.

PANAJOTA PANOTOPOULOU


 

BS3 ©Scheidegger & Spiess
 

Meret Oppenheim
Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln
Hg. Lisa Wenger und Martina Cortignati
1. Auflage 2013
452 Seiten, Deutsch/Französisch
Scheidegger & Spiess, Zürich
ISBN 978-3-85881-375-6

Ein starkes Gesicht, eine schöne Frau und eine der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts (1913–1985). Meret Oppenheims legendäre Pelztasse Déjeuner en forrure wird bereits 1936 ins MoMA in New York aufgenommen. Max Ernst, Marcel Duchamp, Leonor Fini, André Breton, Hans Arp, Alberto Giacometti und die Tänzerin Irène Zukinden zählen zu ihrem engen Freundeskreis, der die künstlerischen Avantgarde-Bewegungen der 1930er und 1950er Jahre mitbestimmt.
    Nun liegen ihre über 27 Jahre unveröffentlichten Notizen, Collagen und Briefe vor: Von der Kindheit bis 1943 ist die Quelle (zum Verständnis) ihres nicht sehr umfangreichen, aber vielseitigen Werks. Mit 45 Jahren collagiert Oppenheim ein 96-seitiges Album, mit Hand geschrieben, eine gezeichnete und mit Bildern eingeklebte Autobiografie, die eine beeindruckende Einheit und Kontinuität in ihrem gesamten Schaffen erkennen lässt.
    Entscheidend für ihre Entwicklung war die Zeit in Paris, über die bislang wenig bekannt war. Ihr reger Briefwechsel mit ihrer Familie, ihrem späteren Mann Wolfgang La Roche, den sie liebevoll „Wolfgängli“, er sie wiederum „Meretli“ nennt, und ihren Künstlerfreunden wurde in intensiver, zehnjähriger Recherche- und Archivarbeit zusammengetragen.
    Zum exzentrischen Schriftsteller und Dandy André Pieyre de Mandiargues entbrennt sie in Leidenschaft. Die Briefe aus sieben Jahrzehnten sind im Originalwortlaut abgedruckt und gewähren Einblick in ein tiefes Gefühlsleben.
    Der Buchtitel ist einer Notiz entnommen. Meret Oppenheim schreibt: „Man muss aufpassen, dass man die Wörter nicht in giftige Buchstaben einwickelt, sonst werden sie durchsichtig.“ Diese Notiz inspirierte sie 1970 wiederum zu einem Objekt mit dem Titel: Wort, in giftige Buchstaben eingepackt (wird durchsichtig).
    Das Buch ist der Schlüssel zu Oppenheims Methode und exakter Ausarbeitung ihrer Werke, denen ein langes „Brüten“ vorausging, gefolgt von einer schlagartigen, unabänderlichen Formgebung.
Ein starkes, schönes Buch.

DORIS LIPPITSCH