Gespräche Teil 7

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Blick in die Zukunft
Innovationen


SEPP FRÖHLICH, INNOVATIONS­FORSCHER  &  SYSTEMANALYTIKER,  AIT   Die Innovationsforschung hat über die letzten 30 Jahre methodologisch einen ziemlichen Paradigmenwechsel vollzogen. Begonnen hat sie mit Vorstellungen, dass Innovationen in einfachen linearen Prozessen zustande kommen. Auf der Ebene der Makroökonomie dachte man, dass es ausreicht, wenn man den Universitäten genug Geld gibt, dann purzeln mit der Zeit neue Technologien, Produkte und Dienstleistungen heraus. Mittlerweile weiß man, dass das nicht so ist. Im Laufe der Zeit hat es mindestens fünf verschiedene Generationen von Modellen zu Innovationsprozessen gegeben. Die erste Generation dieser hieß übrigens „Tech­nology Push“. Sie wurde in den 1970er Jahren durch die Generation „Market Demand“ abgelöst. Diese geht davon aus, dass Innovationen vorwiegend durch Marktbedürfnisse zustande kommen, d.h. der Markt erzeugt, fordert sie. Dieses Modell findet man übrigens heute noch sehr häufig bei Managern, die in den 1970er Jahren sozialisiert wurden. Es beschreibt einen linearen, sequentiellen Prozess, nach dem Erneuerungen beziehungsweise Veränderungen entstehen. Heute geht man davon aus, dass der Innovationsprozess ein integrativer, sehr komplexer ist.


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PRIX   … Was ist der Unterschied?

FRÖHLICH   Der ehemalige Bundeskanzler Sinowatz hat einmal gesagt: „Es ist alles so kompliziert!“ Im Prinzip hat er damals etwas ziemlich Falsches gesagt, denn wenn die Systeme, die die Politik zu steuern versucht, komplizierte wären, wäre es relativ einfach, dafür Lösungen zu finden. Komplizierte Systeme kann man zerteilen in Einzelteile. Wenn man diese versteht und wieder zusammenfügt, versteht man das Gesamte. Nur hat er damals „komplex“ und „kompliziert“ verwechselt. Während also komplizierte Systeme in einfache zerlegt werden können, sind komplexe eben keine einfachen Systeme.
    Komplexe Systeme bestehen aus mindestens drei Akteuren, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie selbstorganisiert sind und in der Lage, sich selbst zu organisieren und aufgrund ihrer Erfahrungen auf unterschiedliche Situationen zu reagieren. Ihre Reaktionen sind durch ihre Rationalitäten beeinflusst. Komplexe Systeme bestehen aber nicht nur aus selbstorganisierenden Akteuren, sondern sie interagieren auf nichttriviale Weise miteinander.
    In komplexen Systemen ist Kausalität nicht immer enthalten, denn man kann die Auswirkungen von Eingriffen nicht plausibel erklären. Da stellt sich die Frage: Entweder passiert nichts, weil das System in der Lage ist, die Intervention wegzu­puffern. Wenn das komplexe System sich gerade in einem einfachen Zustand befindet, dann ist Kausalität gegeben, und dann passiert das, was man sich eigentlich erwartet. Oder selbst kleine Veränderungen können komplexe Systeme zum Kippen bringen – sie also von einem einfachen in einen chaotischen Zustand überführen. Das ist natürlich sowohl für die Politik als auch für das Management von Unternehmen eine schwierige Lage, wenn plötzlich nicht mehr vorhersehbar ist, welche Auswirkungen ihre Steuerungsversuche zeigen.

Komplexe Systeme sind auch in der Lage, aufgrund der Selbstorganisationsprozesse der Akteure wieder von einem chaotischen Zustand – in nicht vorhersehbarer Zeit – in einen einfachen zu wechseln. Das nennt man Emergenz in komplexen Systemen. Man kann nicht sagen, wie sie sich in Zukunft entwickeln. Die gesellschaftliche Entwicklung – da soziale Systeme komplex sind – ist somit nicht prognostizierbar …

Architektur stellt eine Intervention in einem Stadtteil dar, in einem komplexen System. So kann man Zukunft nicht vorhersagen, sondern mit jeder Intervention nur mitgestalten. Dementsprechend ist eine der Themenstellungen, mit denen wir uns intensiv beschäftigen, das Thema von Foresight-Prozessen. Dabei werden langfristige Entwicklungen aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert bzw. entwickelt. Daraus ergeben sich Szenarien für mögliche Zukünfte, die es ermöglichen, gewünschte von ungewünschten Entwicklungen zu trennen … Wir haben über 60 derartige Projekte durchgeführt, die meisten davon auf europäischer Ebene. Mittlerweile werden diese Foresight-Prozesse sehr intensiv für die Politikgestaltung und Strategieentwicklung verwendet, wobei wir Stakeholder zu einem Thema versammeln, also beispielsweise im Bereich „Transportsysteme der Zukunft in Europa“.
    Wir organisieren Stakeholder zu einem Thema, zum Beispiel: Wie schaut das Transportsystem der Zukunft unter der Voraussetzung des Anstiegs des Transportaufkommens bei gleichzeitig notwendiger CO2-Reduktion aus? Welche Möglichkeiten bieten sich dafür, welche Maßnahmen könnten sich dafür eignen? Wir diskutieren das zum Beispiel in Gruppen mit 100–150 Stakeholdern, die an diesem Thema interessiert sind, damit etwas zu tun haben, und etwas bewegen können. Das Ergebnis wird dann protokolliert und in der Regel veröffentlicht.
    Das Projekt „Freight Vision“ war übrigens eines, das besonders häufig publiziert worden ist, weil die Diskussionen lange sehr kontroversiell verlaufen sind, bis sich in einem intensiven Lern­prozess klare Szenarien für die Zukunft heraus­kristallisiert haben. Einer der Gründe lag darin, dass es bei dem Thema „Transport und CO²-Reduktion“ nicht ausreicht, die CO²-Bilanz ausschließlich durch den Verkehr zu berücksichtigen. Hier ist es wichtig, auch den CO²-Ausstoß bei der Zurverfügungstellung der Energie mitzuberücksichtigen. Foresight-Prozesse haben eine große Affinität zur Stadt und Stadtentwicklung.
    Wir haben das mit der Stadt Wien einmal probiert, das war ein erster Anfang. Unter dem Titel: „Wien denkt Zukunft“ wurde ein erster Foresight Prozess oder zumindest Teile eines Foresight Prozesses durchgeführt.

QUER Wann war das?

FRÖHLICH   Vor sechs Jahren, da haben wir ein Projekt für die Stadt Wien gemeinsam gemacht, wobei wir Forschungsergebnisse eines dreijährigen Forschungsprogramms nutzen konnten. Soziale Netzwerke haben viele Eigenschaften, die auch komplexe Systeme haben.
    Ein schönes Beispiel dafür ist das Science-Centers-Netzwerk. Science-Centers sind interaktive Museen der Zukunft, über Zukunft, über zukünftige Entwicklungen. Es gibt weltweit bereits tausende davon. Österreich war in den 80er und 90er Jahren diesbezüglich ein weißer Fleck in der Landschaft.
    Heute besteht unser sogenanntes Science Center Netzwerk aus rund 160 Spezialisten aus dem Bildungs- und Forschungsbereich sowie von den Medien. Sie treffen sich regelmäßig, diskutieren die unterschiedlichsten Themen, wie z.B. Ausstellungen für Science Center designt, entwickelt und organisiert werden sollen und bringen immer wieder Innovationen zustande. Dies alles passiert auf der Basis der Theorie von komplexen Systemen bzw. sozialen Netzwerken …
Ein Instrument reicht nicht aus, um ein komplexes Innovationssystem zu orientieren. Ein teilweise sehr erfolgreiches Beispiel dafür sind die Rahmenprogramme der Europäischen Union, in die viele Milliarden Euro geflossen sind, um einen europäischen Forschungsraum herauszubilden, der in der Lage ist, gegenüber Asien und den USA einen nachhaltigen Widerpart spielen zu können.
    Auch hier war die Konzeption der Rahmenprogramme, (Forschungs-)Netzwerke über Europa zu legen, um (komplementäre) Forschungskapazitäten auf der Basis gemeinsamer Forschungsprojekte zu bündeln und damit einen europäischen Forschungsraum zu entwickeln.
    So kooperieren z.B. in der grundlegenden Forschung Wissenschafter noch immer vorwiegend mit benachbarten Partnern, was sich anhand von Ko-Publikationen zeigen lässt, auch beim gemeinsamen Entwickeln von Patenten, d.h. in Bereichen, in denen der wirtschaftliche Nutzen im Vordergrund steht. Man kann also sagen, die Netzwerke, die durch Rahmenprogramme entstanden sind, bewirken leider noch nicht, dass sich auch die Kooperationsmuster in anderen europäischen Forschungsbereichen auswirken.
    Man erkennt daran, dass man komplexe Systeme nicht mit einem Instrument, einer Maßnahme orientieren kann, sondern Bündel von Maßnahmen notwendig sind.
    Die Auswirkungen von Interventionen in komplexe Systeme sind nicht vorhersehbar, daher ist ein kontinuierliches Monitoring und notfalls ein Nachjustieren der Interventionen für die Orientierung komplexer Systeme sehr wichtig.