Leistbar trotz höchster Ansprüche
Mit dem Projekt Eurogate im 3. Bezirk will die Stadt Wien eine Vorreiterrolle im großvolumigen Wohnbau einnehmen: Mit hohen ökologischen Ansprüchen, leistbarem Wohnraum und innovativen, zukunftsorientierten, architektonischen Konzepten. Die größte Passivhaussiedlung Europas wächst rasant.
Passivhäuser sind teurer als konventionelle Häuser – teils wahr, teils Gerücht, so die Experten. Die Stadt Wien will mit dem Wohnprojekt Eurogate beweisen, dass auch der geförderte Wohnbau in puncto Nachhaltigkeit on top sein kann. Eine aktuelle Studie von wiko bestätigt die Bereitschaft der Österreicher, für ökologische Maßnahmen Geld in die Hand zu nehmen. Mehr noch: „Ein überraschendes Ergebnis ist die Tatsache, dass ein Großteil der Konsumenten bereit wäre, für ein Blue Building mehr zu bezahlen“, erklärt Philipp Kaufmann, Gründungspräsident der Österreichischen Gesellschaft für nachhaltige Immobilienwirtschaft, ÖGNI. „Dies jedoch nur dann, wenn nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische und soziale Qualitäten wie Kostenfaktoren, Gesundheit und Lebensqualität gegeben sind.“ Als Blue Buildings werden Gebäude bezeichnet, die nicht nur ökologisch einwandfrei sind, sondern bei denen der gesamte Lebenszyklus von der Planung über die Bau- und Nutzungsphase bis zum Abbruch berechnet wird. Das heißt, alle Kosten sind auf einen Blick klar.
Bei den sieben Bauplätzen der größten Passivhaussiedlung Europas, dem Eurogate, ist die Erfüllung aller nachhaltigen Aspekte – ökologisch, ökonomisch und sozial – gefordert. Die Stadt Wien unterstützt das Projekt mit rund 40 Millionen Euro Wohnbauförderungsmitteln. Auf Grundlage des Masterplans von Architekt Sir Norman Foster fand bereits 2004/2005 ein Ideenwettbewerb für die Bebauung der nördlich gelegenen Aspanggründe statt. 2005 fiel die Entscheidung für das Projekt von Architekt Albert Wimmer als Grundlage für die städtebauliche Weiterentwicklung und die Festsetzung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes. Die Bundesimmobilien GesmbH und die Bauträger Austria Immobilien GmbH lobten 2007 in Kooperation mit der Stadt Wien, vertreten durch die Magistratsabteilung 21 A und den Wiener Bodenbereitstellungs- und Stadterneuerungsfonds, den Bauträgerwettbewerb Eurogate aus. Die Freiraumplanung setzt auf dem Masterplan der Architekten Wimmer und Ganahl-Ifsits-Larch auf und berücksichtigt die Studie „Rahmenbedingungen zur Grün- und Freiraumplanung im halböffentlichen und privaten Grünraum – Eurogate“ von Indrak-Lacina.
„Diese Passivhauswohnanlage ist ein Vorzeige-projekt, das besten Wohnkomfort mit hohen öko-logischen Standards verbindet. Im geförderten Wohnbau Wiens widmen wir ökologischen Aspekten seit vielen Jahren höchstes Augenmerk. Denn nicht nur Klima und Umwelt werden dadurch entlastet, auch die niedrigen Heizkosten schlagen sich sehr positiv in den Haushaltsbudgets der Bewohner nieder. Die große Nachfrage macht deutlich, dass ökologisches Wohnen voll im Trend liegt“, so Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. Das Ziel der Stadt: Leistbarer Wohnraum mit hohem architektonischem Anspruch und zugleich dem neuesten Stand in puncto Passivhaustechnologie.
Ökologische Bauweise
Vor wenigen Wochen erfolgte die Übergabe von zwei der bisher vier fertiggestellten Objekte des Eurogate. Insgesamt entstehen auf den 20 Hektar großen, ehemaligen Aspanggründen auf sieben Bauplätzen rund 2 000 Wohnungen. Die Heimbau ist der Bauherr von Bauplatz 1, die Architektur stammt von Dietmar Feichtinger. Der Wohnbau umfasst 71 von der Stadt Wien geförderte Genossenschaftswohnungen mit Eigentumsoption. Vasko+Partner zeichnet u.a. für die örtliche Bauaufsicht wie auch für die gesamte Haustechnikplanung verantwortlich. Insofern bei diesem Projekt bemerkenswert, da der Anspruch an die Energieeffizienz wie auch an die ökologische Bauweise sehr hoch war und interdisziplinäres Arbeiten erforderte.
Die Wohnungen variieren von zwei bis fünf Zimmern, mit Loggien, Terrassen und Gärten. Eine energieeffiziente Lüftung, optimale Wärmedämmung und bester Schallschutz sorgen für einen hohen Wohnkomfort. Offenheit und Transparenz zählten für Architekt Dietmar Feichtinger zu den wichtigsten Anliegen: „Es geht um die Gestaltung eines städtischen Entrees in das neue Wohngebiet, einen Übergang der gewachsenen Stadtstruktur in die Stadt des 21. Jahrhunderts. Großzügige, qualitativ hochwertige Freiräume in Verbindung mit einer kompakten Bebauung, Passivhausstandard und gleichzeitig helle, sonnige Wohnungen mit großen Loggien- und Terrassenflächen und offene, einladende Gemeinschaftsbereiche als halböffentliche Zonen des Treffens im Erdgeschoß sind die Mittel, um diesem Anspruch gerecht zu werden.“ Ein zentraler Gemeinschaftsraum unter dem freigestellten Bauteil der Stiege 1 stellt völlig verglast den Bezug zum Außenraum dar. Die Drei-Scheiben-Verglasung hält in Kombination mit den Beschattungen durch Loggien und Laubengänge die Temperatur – im Winter wie im Sommer.
Roland Jahn, Projektleiter von Vasko+Partner, beschreibt die Herausforderungen in puncto technischer Details: „Trotz sehr kompakter Bauweise mit großzügigen Glasflächen haben wir den Passivhausstandard erreicht. Wir entschieden uns für eine bis zu 36 Zentimeter dicke Wärmedämmung. Eine wärmeschutztechnische Optimierung der Auskragungen erreichten wir unter anderem mit speziellen thermisch getrennten Konsolenlösungen.“
Bewusstsein für Energieeffizienz steigt
Das Österreichische Siedlungswerk, ÖSW, ist der Bauträger des zweiten Bauteils. Nach Plänen von Architekt Adolf Krischanitz wurde das Projekt „Passivhaus Plus“ mit 110 Mietwohnungen vor wenigen Tagen an die Bewohner übergeben. Das architektonische Konzept beeindruckte Wohnbaustadtrat Michael Ludwig bei einem Lokalaugenschein ebenso wie die Umsetzung der ökologischen Aspekte: „Dadurch entlasten wir nicht nur das Klima und die Umwelt, auch die niedrigen Heizkosten schlagen sich positiv in den Haushaltsbudgets der Bewohner nieder.“ Ludwig bestätigt eine große Nachfrage nach ökologischen Bauten und das Bewusstsein der Bevölkerung für Energieeffizienz.
Die kompakte Baukörperform mit den abgerundeten Gebäudeecken sowie die optimierten Fensterflächen tragen zur Minimierung von Wärmeverlusten bei. Es gibt keinerlei Einschränkungen für die Nutzer: Eine Fensterlüftung ist möglich – aber nicht nötig. Durch die Querlüftung ist der Wohnkomfort jeder Wohnung gesichert. Die Wohnungsgrößen liegen zwischen 60 und 106 Quadratmetern. Die Geschoßwohnungen konnten flexibel mitgestaltet werden. Die Wohnküchen erschließen sich zum Freiraum mit Loggien, Balkonen und Terrassen.
Wohnkomfort als oberstes Ziel
Die größten Vorteile des ÖSW-Passivkomforthauses liegen im Bereich der Lebens- und Wohnqualität. Die Tatsache, dass keine Kältestrahlung von Fenstern und Wänden ausgeht und die Temperatur im Raum gleichmäßig verteilt ist, sorgt für Behaglichkeit und Wohlgefühl und dank ausgereifter Filtersysteme für eine hohe Raumluftqualität. Pollen und Feinstaub werden aus der Raumluft entfernt. Durch die Erdkühlung im Dachgeschoß wird bei starker Sonneneinstrahlung die Überhitzung des Objektes verhindert. Michael Pech, ÖSW, legte besonderen Wert auf eine großzügige
Information der Bewohner im Umgang mit der neuen Technologie: „Wir haben ein nutzerfreundliches, sogenanntes ,Passivkomforthaus‘ entwickelt. Die kompakte Baukörperform mit den abgerundeten Gebäudeecken sowie die optimierten Fensterflächen tragen zur Minimierung von Wärmeverlusten bei. Mit der Umsetzung dieses Passivkomforthauses ist ein wesentlicher Beitrag zur Akzeptanz des Passivhausstandards im mehrgeschoßigen Wohnbau geleistet worden.“ Die Aufklärung der Bewohner erfolgte im Rahmen von speziellen Informationsveranstaltungen im Beisein aller Experten vor Bezug der neuen Häuser. Weiters wurden den Bewohnern Info-Broschüren zur Verfügung gestellt, die den Umgang mit der neuen Technologie erleichtern.
Architekt Krischanitz erläutert seinen Entwurf: „Die beiden parallel situierten Baukörper auf dem Bauplatz 2 teilen sich ihre Lagen in eine straßenbegleitende und eine parkbegleitende Bebauung. Dazwischen liegt der Wohnhof als distanzbildende, intime Fläche mit einem leicht terrassierten Hügelzug. Der auf dem Kamm von den Wohnbauten bewusst abgesetzt positionierte Fußweg erschließt die Gemeinschafts- und Kinderspielplatzflächen im Osten des Baufeldes. Durch horizontale Teilung der Fassadenflächen und die minimale gestalterische Maßnahme der ,gerundeten Ecke‘ wird die leistungsfähige umlaufende Außenhaut gefasst und thematisiert. Die Zonierung der Außenhaut durch horizontale, geschoßweise differenzierte Streifen, durch aufgesetzte, technisch getrennte Loggien- bzw. Balkonelemente sowie durch ein expressiv skulpturales Attikageschoß verleiht den Baukörpern sowohl virulente Spannung als auch innere Kompaktheit. Diese in der Wohnbauarchitektur durchaus anzustrebenden Faktoren bilden sich trotz der durch die besonderen bauphysikalischen Eigenschaften veränderten Balance zwischen Öffnung und Geschlossenheit. Diese Differenz zum herkömmlichen Wohnbau muss als neue künstlerische Herausforderung begriffen und gestalterisch sublimiert werden.“
Ausgeklügelte Grundrisse
Der Bauplatz 3 – Architektur von s&s architekten, Bauträger Sozialbau – gliedert sich in drei Baukörper. Das Projekt umfasst 165 geförderte Mietwohnungen. Insgesamt wurden drei Gebäudeteile errichtet. Das L-förmige Wohnhaus an der Aspangstraße und ein parallel dazu verlaufendes Gebäude umschließen den Innenhof. Der dritte Teil ist ein Solitärgebäude in Dreieckform auf dem südlichen Teil des Bauplatzes. Um nachhaltige Flexibilität gewährleisten zu können, entschieden sich die Architekten für ein hybrides Erschließungssystem, das 59 verschiedene Grundrissvarianten ermöglichte. Die Wohnungen sind jeweils zwischen 66 und 106 Quadratmeter groß, vorwiegend mit Balkonen, Loggien oder Eigengärten. Die privaten Freiräume sind großzügig dimensioniert – in zwei Bereiche geteilt. Im Hofbereich entwickelten die Architekten eine sogenannte „Aktivzone“ – dazu gibt es im Solitärgebäude einen Fitnessraum und einen Gemeinschaftsraum. Die vorhandene Erdwärme wird über Wärmetauscher durch Zuluftvorerwärmung genutzt. Im Sommer strömt die kühle Luft über einen Erdwärme-Tauscher in die Wohnräume. Die kontrollierte Wohnraumlüftung ermöglicht eine individuelle Regelung – die Beheizung erfolgt über zuschaltbare Plattenkonvektoren. „Das Energiekonzept senkt den ganzheitlichen Primärenergiebedarf inklusive Haushaltsstrombedarf über den normalen Passivhausstandard hinaus ab“, erklärt Architekt Rudolf Szedenik.
Architektur steigert Akzeptanz
des Passivhauskonzeptes
Bauplatz 7 – Architektur von Tillner & Willinger ZT GmbH, Bauherr BAI – ist noch in Bau. Bilfinger Berger errichtet als Generalunternehmer eine Passivwohnhausanlage mit einer Bruttogeschoßfläche von ca. 8 200 Quadratmetern. Die 78 Wohneinheiten und die 130 Stellplätze teilen sich dabei in sieben Obergeschoße und zwei Untergeschoße auf. Die zweilagige, schwingungsgedämpfte, ins-gesamt 2,10 Meter starke Fundamentplatte überbrückt dabei die unterirdisch verlaufende Trasse der Flughafenbahn. Architekt Willingers Ziel ist, die Akzeptanz des Passivhaus-Konzeptes im städtischen Raum durch attraktive architektonische Gestaltung zu stärken. Das Gebäude ist vertikal in drei klare Teilbereiche gegliedert: Dachwohnungen, ein kompakter Wohnungsblock und ein zurückgesetzter Sockelbereich. Um den Wohnungen durchwegs die Möglichkeit direkt vorgelagerter, optimal orientierter Freiflächen gewährleisten zu können, ist die südwestliche Fassade um 1,90 Meter zurückgesetzt. Optimierte solare Gewinne, Orientierung zur Sonne, hohes Wärmedämmniveau, Luftdichtheit, kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung und Pufferzonen bei Stiegen, Foyers und Gemeinschaftsräumen zeichnen das Gebäude aus. „Die den Wohnungen vorgelagerten Loggien bzw. die Konstruktion der Balkone bilden die durch die Bebauungsplanung intendierte städtebauliche Flucht der Gebäude an der Baulinie. Sie bieten als Verschattung Schutz vor Überhitzung im Sommer und erzeugen im Tagesverlauf ein spannendes Licht-Schatten-Spiel. Durchdachtes Design und Flexibilität sind Grundlagen für Nachhaltigkeit und sollen die Akzeptanz des energieeffizienten Bauens im urbanen Raum erhöhen“, erklärt Architekt Willinger sein Konzept.
Allein, die größte Passivhaussiedlung Europas zu errichten, ist ein hehrer Anspruch, die bunte Vielfalt der Architektur eine Bereicherung für die Stadt. Dass ökologisch wohnen langsam „in“ wird, belegt auch die eingangs zitierte Studie von wiko: Immerhin sind 83 Prozent der 950 Befragten davon überzeugt, dass nachhaltige Gebäude in Zukunft noch stärker nachgefragt sein werden.
Text: GISELA GARY
Eurogate auf einen Blick (Fertigstellung aller Bauplätze bis 2019)
• Bauplatz 1: Heimbau – Feichtinger Architectes Wien, 2012
• Bauplatz 2: ÖSW – Architekten Krischanitz&Frank, 2012
• Bauplatz 3: Sozialbau – s&s architekten Schindler&Szedenik, 2012
• Bauplatz 4 + 5: BAI – Architekt Johannes Kaufmann
• Bauplatz 6: Arwag Holding – Architekt Albert Wimmer, 2012
• Bauplatz 7: BAI – Architekten Tillner & Willinger
• Nettobauland: rund 131.000 m2
• Wohnen: rund 36 Prozent
• restliche Nutzung: gewerbliche Bauten, Schule, Kindergarten