Warum wir heute noch Kirchen bauen und brauchen

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In jeder Kultur gehören Sakralbauten zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Architektur. Die Verbindung von Ästhetik und Spiritualität macht sie zu Gebäuden von gesellschaftlicher Relevanz. Kirchen sind auch Stein gewordener Glaube, mit Worten nicht fassbare Orte der Hoffnung und des Trostes. Früher waren sie auch im physischen Sinn Orte der Zuflucht.

Auch heute sind Kirchen Topoi des Unfassbaren, selbst die kleinsten und unscheinbarsten werden an Kirchenfeiertagen zu besonderen Stätten, an denen sich Menschenmengen (wie große auch immer) versammeln. Etwas schwingt in ihnen, dessen Einfluss sich auch die größten Agnostiker kaum zu entziehen vermögen. Ist es die Ehrfurcht vor den zum Himmel ragenden Türmen, vor diesem Ausdruck einer Macht? Ist es der Respekt vor dem vielen Gold und den Kostbarkeiten, die über Jahrhunderte angesammelt und zur Schau gestellt werden? Ist es die Stille, die den Menschen zum Schweigen und Reflektieren bringt? Ist es die Abgeschlossenheit der Kirchenräume, die Möglichkeit, sich von der materiellen Welt abzugrenzen – die Meditation?
    Eine Kirche heute zu entwerfen, bedeutet nicht nur den ästhetischen Aspekt und die offensichtlich religiöse Symbolik wie den Kirchturm zu berücksichtigen, sondern auch ein Herantasten an die mystischen Inhalte der jeweiligen Religion. Eine Kirche muss ebenso Gefühle und Bedürfnisse der Menschen, die sie benutzen werden, berücksichtigen. Sie soll eine lebendige, vitale Botschaft der Liturgie sein und sie sollte auch Geborgenheit vermitteln.

    KIRCHEN DER HEUTIGEN ZEIT
In Mexico City wurde vom mexikanischen Architekten Javier Sordo Madaleno Bringas eine Kirche entworfen, die in ihrer sowohl äußeren wie auch inneren Anmutung eine Transparenz, ein bildlich gesprochenes Streben nach oben, erkennen lässt. Es ist wohl kein Zufall, dass hier, wie auch in der Kirche von Heinz Tesar bei der Wiener Uno-City, das Holz im Innenraum ein gewisses Wohlbefinden entstehen lässt. Im Gegensatz zu Mexiko, wo doch – durch die zum Himmel aufstrebende Form – ein Machtanspruch spürbar ist, sucht die Kirche von Tesar – fast bildlich gesprochen – die Nähe des Menschen. Sie ist „klein“ im Vergleich zu den machtvollen Hochhäusern der Donauplatte im Hintergrund, aber sie ist ein Bau mit Charakter, der auch die nötige Angemessenheit ausstrahlt. Architekt Tesar sieht sie in einem zeit- und umraumbezogenen Kontext: „Sie ist zeitgemäß wegen der Materialität in ihrem Umfeld, nach außen nicht aufdringlich. Sie macht von außen neugierig. Man kann von außen in sie hineinsehen, weil sie Fenster bis zum Boden hat und nicht mit einem, sondern mit einer Vielzahl von Lichtern arbeitet, und weil sie zwischen den verschiedenen Lichtern differenziert, weil sie innen nicht kalt ist, sondern das helle Holz eine angenehme Atmosphäre schafft. Weil sie nicht mit dem Absolutkontrast zwischen Außen und Innen spielt. Sie gibt den unterschiedlichsten Menschen unterschiedlichste Antworten.“
    Bei der Kirche im burgenländischen Podersdorf der Lichtblau.Wagner Architekten aus Wien kommt das auch von Tesar erwähnte „Offen-Sein“ und „Antworten-Geben“ auf eine moderne, fast psychologische Art zum Tragen: Die für ihr Erscheinungsbild zeichengebende Glasfläche war anfangs mit einer Art Schleier versehen, unbestimmt, einfach eine Scheibe, die zwei Baukörper zusammenhielt. Für einen späteren Zeitpunkt sollte es die Aneignungsfläche der Gemeinde werden, über die sie sich definieren konnte. Ein Textbild mit basisdemokratischen, problembezogenen Aussagen in Gold war das Ergebnis. Gold hat Signalwirkung: Das kann nur eine Kirche sein! Natürlich auch im ironischen Sinne, denn Gold ist ja die Hoheitsfarbe der Macht.

    KIRCHENBAU IN ANDEREN RELIGIONEN
Andere Länder, andere Sitten – die etwa fünf bis acht Millionen Anhänger der weltweit verbreiteten Religion der Bahai leben heute vor allem in Indien, Afrika, Nord- und Südamerika. Die ursprünglich aus dem persischen Babismus hervorgegangene Universalreligion hat in ihrem Mittelpunkt den Glauben an einen transzendenten Gott, die mystische Einheit der Religionen und an die Einheit der Menschheit. Für sie ist das Licht die fundamentale Verbindungskraft des Universums.
    Der Bahai-Tempel in Santiago/Chile wurde von Hariri Pontarini Architects entworfen. Er verwendet einen durchscheinenden Stein und die neueste Glastechnologie, um sowohl ein physisches wie auch ein spirituelles Leuchten in der Architektur zu vereinen und sichtbar zu machen.
    Während des Tages bestimmen die sanft gewellte Alabasterhaut und das Glas den äußeren Eindruck. In der Nacht dreht sich das Bild um – das gesamte Volumen strahlt ein warmes sanftes Glühen aus, und das Innenleben ist durch das Glas sichtbar.
    Moscheen sind – anders als christliche Kirchen – keine Gotteshäuser, sondern multi­funk­tionale Begegnungsstätten ohne einheitlichen Formenkanon. Einzig unverzichtbares Element
für die Gläubigen ist die exakt nach Mekka aus-gerichtete Gebetswand, die Qibla mit der Gebetsnische (Mihrab). Durch das gemeinschaftliche Gebet entsteht die Sakralität. Als Ort des Betens, Lernens und Lehrens paart die Eiserne Moschee in Putrajaya, Malaysia, traditionsbewusste Religiosität mit zeitgemäßer Identität. Eigenständig in Formensprache und in funktionaler Ästhetik gilt sie schon heute als Meisterwerk zwischen Nostalgie und Moderne.

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    DIE ZUKUNFT DER KIRCHEN
In unseren Breiten werden bestehende Kirchen zunehmend zum Ballast, umgewidmet und für weltliche Nutzungen verändert. Oder an andere Religionsgemeinschaften, die offenbar noch mehr Finanzmittel haben, weiter gegeben. In Wien soll die Kirche Neulerchenfeld an die serbisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft veräußert werden. Die Neu-apostolische Kirche Süddeutschlands hat seit 2001 sechzig Kirchen und Kapellen verkauft.
    Der Architekt und Jesuitenpater Gernot Wisser SJ, der Architektur in Wien studiert hat, sieht das Problem eher als ein städtebauliches: „Eine Kirche ist ein ,Nahversorger‘, wie es eben andere auch gibt. Sie versorgt die Menschen mit Spirituellem, damit ihr Leben besser gelingt. Dass im innerstädtischen Bereich dann Kirchen leer stehen, ist ein ganz normales städtebauliches Problem. Natürlich tut es mir auf der einen Seite Leid, wenn die Kirche nicht mehr genützt wird, weil es nicht mehr genug Gläubige gibt und kein Bedarf mehr vorhanden ist – aber so spielt ganz einfach das Leben.“

    KUNST UND KIRCHENRAUM
Ein wichtiger Teil des Sakralen, des Kirchenraumes und des Kirchenbaus, war und ist immer die Kunst. In der Antike sollte sie zur Freude, zur Erhöhung der Götter dienen, in der römisch-katholischen Kirche „vom Wesen her auf die unendliche Schönheit Gottes gerichtet sein“ (2. Vatikanisches Konzil).
    Auf meine Frage an Pater Gustav Schörghofer SJ, Künstlerseelsorger der Wiener Jesuiten, über die Verbindung von zeitgenössischer Kunst und Kirche heute, meinte er: „Das Christentum kennt die Trennung zwischen Sakral und Profan nicht mehr. Der Angelpunkt ist das Wort ,Schönheit‘, auch in den Äußerungen der Päpste. Das kommt wohl aus dem theologischen Denken. Es lässt sich aber – so wie es in den Dokumenten steht – auf die
zeitgenössische Kunst nicht so recht anwenden. Im 20. Jahrhundert ist ja auch ein ganz neuer Schönheitsbegriff entstanden. Man hat Schönheit in den unscheinbaren, auch in den hässlichen Dingen entdecken gelernt. Und es ist eine Aufgabe der Kirche, zwischen den Künstlern, den Werken und dem Betrachter zu vermitteln – im Raum der Kirche.“
    „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters“, sagte einst schon der kleine Prinz von Saint-Exupéry, womit sich die Rolle des Sehenden auch als eine aktive, mitentscheidende entpuppt.
    Die meisten Architekten sind nicht unbedingt konfessionelle Gläubige mit einem lebendigen Bezug zu einer Kirchengemeinde. Das heißt aber nicht, dass sie keinen Zugang zum geistig-mystischen, zum spirituellen Bereich haben. Le Corbusier zum Beispiel – den man bei der Einweihung fragte, ob er überhaupt religiös sei – antwortete: „Manche Dinge sind heilig, manche sind es nicht.“

    BESCHEIDENHEIT UND ZURÜCKHALTUNG
Die Bilder und Vorstellungen alter Kirchen und Dome sind im Menschen wie Archetypen im Bewusstsein verankert: Der hohe Raum, die Bögen der Architektur, verputzte weiße Wände, Steinquader, Säulen, einfach Spuren der Zeit und des Gebrauchs. Egal, ob es sich um gotische oder barocke Bauten mit Prunk und Gold oder um eine schlichte romanische Kapelle handelt: In diesen Räumen schwingt etwas, das zu Transzendenz führt.
    Kirchenbau durch moderne Architekten ist wahrscheinlich eine Frage des Formates. In diesem Sinne ist die Kirche gut beraten, sich nicht auf den Jahrmarkt der Eitelkeiten und des Wettbewerbes der Bilder zu begeben. Bescheidenheit, Zurückhaltung und Demut sind in der heutigen Zeit Werte, die sich – ohne moralisierend zu wirken – immer noch lohnen. Zuviel zu wollen, bringt immer einen Verlust an Bodenhaftung mit sich und für den, der sich ganz oben wähnt, einen Kontrollverlust über die (eigene) Realität.
    Auf der ganzen Welt werden täglich Kirchen zerstört und geplündert, Heiligtümer verschieden-ster Religionen verwüstet – die Welt schaut weg.
    Glauben heißt aber Stellung zu beziehen, zu handeln. Glauben heißt nicht, es den anderen zu überlassen und zu einer Sammlung von Wahrheiten wohlmeinend zu nicken, glauben heißt, diesem Inhalt einen Raum zu geben. Einen Raum der Zuflucht, der Geborgenheit, einen Raum zum Gespräch mit Gott. Genau aus diesem Grund brauchen wir Kirchen und deswegen werden auch heute noch Kirchen gebaut.

Text: PETER REISCHER