Die Macht der Bilder

Ob weißer oder schwarzer Rauch über der Sixtinischen Kapelle im Vatikan – vor Ostern war dieses Bild zwei Tage lang in allen Medien. Die Welt wartete gespannt auf das Zeichen, auf das Rauchzeichen, das die Wahl des neuen Papstes verkünden sollte.

Bilder – ob in Büchern oder in Galerien und Museen – zogen immer schon die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich. Als Kult-, Andachts-, Wunderbild, zu dem man eine Wallfahrt macht oder bei dem man vor Ort mit Kerzen seine Zuflucht nimmt, als Mittel der Meditation, Propaganda und Polemik, als Schmuck und Symbol: Bilder wurden immer gebraucht, benutzt – nicht nur in der Religion.


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Inhalte von Bildwerken mit religiöser, besser, spiritueller Affinität, werden mit Farbe und Symbolik transportiert. Die weiße Lilie steht in der christlichen Ikonographie für Reinheit, Unschuld und als Symbol der Unbefleckten Empfängnis. Gold und (Ultramarin-)Blau – jahrhundertelang die kostbarsten Pigmente – demonstrierten Macht. Bilder waren Ausdruck des Glaubens und einer nonverbalen Vermittlung sowie auch eines Bekenntnisses: Das Altarbild war und ist die Bibel der Analphabeten. Über diese Macht der Bilder leitete die Kirche jahrhundertelang die Menschen (zur Religion).
    Diese vielen religiösen Bildern zugeschriebene Macht führte – nicht nur im Calvinismus – zum Kampf gegen eben diese Bilder, bis hin zu ihrer Zerstörung. Historisch bekannt ist eine solche bei der Plünderung Roms durch die Vandalen im Jahr 455 n. Chr. und im byzantinischen Bilderstreit. Taliban-Milizen zerstörten 2007 in Afghanistan mit Sprengsätzen jahrtausendealte Buddha-Statuen der Gandharakultur im Bamiyan-Tal und auch zahlreiche buddhistische Werke des Kabul-Museums. Vor kurzer Zeit geschah Ähnliches in Mali, wo Islamisten unter anderem die Mausoleen von Sidi Mahmud, Sidi Moctar und Alpha Moyaunter zerstörten und eine Bibliothek mit 20.000 einzigartigen Manuskripten in Brand setzten. Würden die Streitparteien den Bildern nicht diese geradezu ,magische‘ Kraft zugestehen, erübrigte sich auch deren Zerstörung.


Wie Bilder die Welt verändern

Im Gegensatz zu sakralen Werken lässt sich bei zeitgenössischen Bildern aufgrund der Darstellung sowohl ästhetischer Ideen als auch von Emotionen keine endgültig abschließende Deutung dieser Werke vollziehen. Durch ihre Symbole und Zeichen, die über den zeitlichen Horizont ihres Entstehens hinausreichen, können sie Interpretationen und mögliche Deutungen geradezu herausfordern. Das Verständnis zeitgenössischer Werke ist immer eine Frage der Vermittlung.
    Walter Benjamin, deutsch-jüdischer Philosoph und Literaturkritiker (1882–1940), äußerte 1935 die Ansicht, dass die unbegrenzte Vervielfältigung des (Kunst-)Werks zum Verlust seiner Aura führe. Dies ist auch in der Öffentlichkeit zu beobachten: Die Bilderflut verursacht Reizüberflutungen und Stress durch die im Sekundentakt einströmenden Eindrücke aus Reklame, Zeichen, von Tönen und Messages. Dadurch stumpfen wir mehr und mehr ab. Wir verlieren die Fähigkeit der Aufnahme, Konzentration und Reaktion: Können uns Bilder heute noch irritieren, provozieren oder gar schockieren? Was kümmern uns die Krisen- und Gräuelbilder dieser Welt? Das Medium schiebt sich zwischen uns und die Wirklichkeit.
    Mit Photoshop werden Celebrities für den Boulevard retuschiert, schlanker gemacht, geschönt, werden Architekturfotos für Hochglanzmagazine aufgepeppt. Aber auch Geschichte wird „bearbeitet“. Ein bemerkenswerter Photoshop-Schwindel flog etwa 2010 auf: Die regierungsnahe ägyptische Zeitung Al-Ahram brachte ein Bild von den Friedensgesprächen im Weißen Haus. Präsident Obama wurde auf jenem Foto einfach durch den damals amtierenden Präsidenten Mubarak ersetzt. So werden Medien wie Bilder zum Instrument der Manipulation. Sind Inhalte austauschbar, beliebig, wenn Auflage und Gewinn den Diskurs bestimmen?
    Die zentrale These des kanadischen Philosophen und Kommunikationstheoretikers Marshall McLuhan lautete: „Das Medium ist die Botschaft.“ Und diese Botschaft ist heute allgegenwärtig – außer während der Papstwahl in der Sixtinischen Kapelle – einer extraterritorialen Welt.

Text: PETER REISCHER