Tormod Amundsen, der Grenzgänger

Als der norwegische Architekt Tormod Amundsen an den Polarkreis zog, um dort für Vogelbeobachter Unterstände zu bauen, hielten ihn die meisten für verrückt. Heute betreibt der Architekt, Ornithologe, Birder und Fotograf das weltweit erste und einzige Architekturbüro mit Fokus auf Vögel und Vogelbeobachtungen im Norden Norwegens.

Von Jennifer Lynn Karsten
 

Als Amundsen anfing, Architektur zu studieren, wunderte er sich darüber, dass es nur wenige Architekten gab, die sich sinnvoll mit Natur, Ökologie und Biologie auseinandersetzten. „Mir kam es vor, als würde sich die Architektur nur um Urbanität, Stararchitekten und pompöse Bauten drehen“, sagt er. „Ehrlich gesagt, wurde ich von der Rolle der Architektur desillusioniert. Es schien mir, dass die meisten Architekten sich nicht darüber bewusst waren, dass wir in einer Welt leben, in der wir Tierarten durch Ausrottung verlieren und ihre natürlichen Lebensräume in einem alarmierenden Tempo zerstören. Aber anstatt jemand zu sein, der sich über den Stand der Dinge beschwert, wollte ich eher versuchen, die Art von Architekt zu sein, die ich vermisse.“

Tormod Amundsen, Windschutz in Kongsfjord ©Foto: Tormod Amundsen © Biotope

Der Windschutz in Kongsfjord ragt über dem Steilhang empor. / Fotos: Tormod Amundsen © Biotop
 

2009 eröffnete er in Vardø, einem Ort dicht am Polarkreis mit nur 2.100 Einwohnern, das Architekturbüro Biotope. Das Besondere an dem Ort ist seine geografische Lage: Es ist der östlichste Punkt Norwegens und befindet sich teilweise auf einer dem Festland vorgelagerten Insel. Durch den warmen Golfstrom bleibt der Varangerfjord das ganze Jahr über eisfrei und bietet für Vögel einen idealen Platz zum Überwintern. Dort tummeln sich zeitweise bis zu 100.000 Vögel. Wellenläufer, Krähenscharben, Meerstrandläufer, Seeadler, Papageitaucher, Eiderenten, Schmarotzerraubmöwen und Eismöwen sind dort zu sehen.
Das Potential des Ortes sind die Natur und die Vögel. Amundsen, selbst Vogelbeobachter, wollte sich das zunutze machen. Seine Idee war es, die Fähigkeiten des Vogelbeobachters mit denen des Architekten zu kombinieren.

Tormod Amundsen, Windschutz in Steilnes ©Foto: Tormod Amundsen © Biotope

An diesem ansonsten sehr exponierten Ort findet man jetzt ein schützendes Versteck mit
Blick auf einige der vogelreichsten Gebiete Varangers. / Foto: Tormod Amundsen © Biotope

 

Individuelle Beobachtungsstände

Weil der Wind dort aber auch sehr stark wehen kann und es im Sommer dort recht kühl ist, kann man als Vogelbeobachter ungeschützt nur wenige Minuten an einem Ort ausharren, ohne dabei zu frieren. Daraufhin entwickelte der Architekt einfache Holzkonstruktionen, die den Vogelbeobachtern Schutz vor Regen, Wind und Schnee bieten, aber auch weil „jeder gern ein Dach über dem Kopf hat, damit die Vögel einem nicht auf die Mütze machen.“ Jeder seiner Unterstände hat ein eigenes Design, das auf den jeweiligen Standort und Vogelvorkommen abgestimmt ist. Einer ist beispielsweise so positioniert, dass man von dort aus 30.000 Eiderenten gleichzeitig sehen kann, ein anderer ragt ins Meer hinein, wieder ein anderer befindet sich am Rande einer Klippe, damit man direkt in den so genannten Vogelcliff sehen kann.

Tormod Amundsen, Windschutz in Båtsfjord ©Foto: Tormod Amundsen © Biotope

An diesem verwitterten Ort in Båtsfjord wird es weniger als ein Jahr dauern, bis die
Oberfläche des Unterstands grau wie die Felsen ist. / Foto: Tormod Amundsen © Biotope

 

Architektur als Werkzeug

Für Amundsen ist Architektur ein Werkzeug zum Schutz und zur Förderung von Vögeln, Wildtieren und der Natur. Aber das Studio Biotope ist nicht nur ein Büro, das kleine Architekturstücke entwirft. Amundsen sieht sich als Destinationsentwickler. „Unser Engagement in Vardø und Varanger ist ein Beispiel für unser ganzheitliches Denken. Wir entwickeln Ökotourismus-Konzepte für Tourismusunternehmen, veranstalten Workshops für Schulen und Kindergärten, entwickeln Websites, betreiben digitale Strategien und Branding. Wir organisieren sogar ein Vogelfestival. Architektur ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit, aber kein Selbstzweck“,  sagt Amundsen.  Es macht ihn stolz, wie sein Engagement Vardø positiv beeinflussen konnte. Bevor er sein Büro dort eröffnete, war das kleine Fischerdorf ein Ort des Niedergangs und der wirtschaftlichen Depression, obwohl es sich inmitten von reichen natürlichen Ressourcen befindet.
„Wir wussten, dass die einzigartige und sehr reiche arktische Vogelwelt in diesem Teil von Norwegen eine neue Ressource für Vardø und die Varanger Region sein könnte. Wir waren fest davon überzeugt, dass wir die Entwicklung des Nischentourismus in der Region fördern könnten, und dass dies, wenn es richtig gemacht wird, den lokalen Unternehmen zugute käme und die Entwicklung der Region durch die Förderung und Pflege der Natur und der Natur der Region fördern könne.“ Vardø und Varanger erleben heute ein wirtschaftliches Wachstum und einen neuen Optimismus.

Titelbild: Vogel- und Windschutz in Hasselnes – Polarlichter über Varanger. In der Ferne ist der Vogelfelsen Hornøya zu sehen. / Foto: Tormod Amundsen © Biotope