Mit natürlicher Neugierde und Hingabe

Das französische Magazin 6Mois (dtsch: 6Monate) definiert sich selbst als „das 21. Jahrhundert in Bildern“. In einer Zeit, in der Fotojournalismus seinen Niedergang erlebt, ist diese Publikation, die zwei Mal jährlich erscheint, in vielerlei Hinsicht bemerkenswert.

Von Mark Kidel

Das Magazin ist in seinem achten Jahr und veröffentlicht Beiträge von Fotojournalisten, die weltweit tätig sind. Sie produzieren nicht nur aufsehenerregende oder informative Bilder, sondern erzählen vielmehr Geschichten, die sich durch seltene Menschlichkeit auszeichnen und mit sozialer wie politischer Aussagekraft ineinander greifen. Das ist eingebetteter Journalismus, der Bände über die menschliche Konditionierung in der Gegenwart spricht: etwa von der ersten Welle weiblicher Pastoren in Schweden bis zum Alltagsleben von Senioren, der größten Bevölkerungsgruppe im heutigen Japan, um nur zwei Beispiele aus der aktuellen Ausgabe zu zitieren.

6Mois ist ein Spross von XXI, des wohl originellsten französischen Magazins seit Jahren. Patrick de St. Exupéry, Mitbegründer beider Magazine, betont, dass sich beide Publikationen vielmehr an „Leser“ denn an „Informationskonsumenten“ adressieren. Darum sind sie in Buchhandlungen und nicht auf neuen Märkten zu finden. Weder XXI noch 6Mois haben Werbeschaltungen. Die Grafik ist funktional und hochinteressant. Mit jeder Ausgabe werden Themen aufgegriffen, die im Mainstream-Journalismus – wenn überhaupt – nur kaum aufgegriffen werden.

Cover 6Mois © Foto: 6Mois

Cover von 6Mois N°14 - Herbst 2017 / Foto: © 6Mois
 

Die aktuelle Ausgabe von 6Mois enthält einen Beitrag der US-amerikanischen Fotografin Natalie Keyssar über die Arbeit des Aktivisten Robert Longa in Caracas und stellt persönliche Geschichten seit dem Tod des Präsidenten Chávez in den Zusammenhang politischer Ereignisse; eine lebendige Reportage des italienischen Fotojournalisten Paolo Verzone über Wissenschaftler, die auf der Insel Spitzbergen in einem abgelegenen Forschungszentrum zur Klimaerwärmung forschen oder das spannende Trio über das aktuelle Japan, auf dem mit den Überlebensstrategien der Tsunami-Opfer, der anschließenden nuklearen Katastrophe von Fukushima und über der geschlossenen Welt von Yakuza-Frauen, zu der der Französin Chloé Jafé erstmals Zutritt gewährt wurde, ein dunkler Schatten liegt.

Die Fotojournalisten, die in 6Mois veröffentlichen, verbringen Monate, wenn nicht Jahre in den Welten und Themen, in die sie eintauchen, was bei Printjournalisten oder Dokumentarfilmern meist nicht der Fall ist, die Unmittelbarkeit in den Fokus ihrer Recherchen stellen (müssen) und/oder nicht über die nötigen Mittel verfügen um tiefer in eine Materie einzutauchen. Diese Hingabe und natürliche Neugierde scheint in deren Arbeit durch und bringt den Leser zum Kern gewöhnlicher (und außergewöhnlicher) Menschen. So wird Fotografie mit Journalismus bestmöglich verbunden. 

Titelbild: Aus dem Beitrag ‚Femmes de yakuzas‘ (dtsch: Yakuza-Frauen) / Foto: © Chloé Jafé