Sounding Berlin

Es gibt viele Arten des Reisens. Vom Museen-Hopping bis zum Shopping-Marathon ist oft schnell ausgemacht, was eine Stadt zu bieten hat. Doch wer ein auditiver Feinschmecker ist, eine Oper für die Ohrmuscheln sucht oder eine Massage für die Bauchdecke, muss sich schon umhören.

Von Luise Wolf 

In Berlin gibt es so manche Orte, an denen sich Architektur und Instrumente die Türklinke in die Hand geben, die den Geist, das Ohr und den Körper auf unterschiedlichste Weise bespielen. Dabei ist die Stadt selbst das größte Orchester. Der kanadische Klangforscher Raymond Murray Schafer meint, dass „die ganze akustische Umwelt als eine große musikalische Komposition angesehen werden müsste“, in der man Hörer, Aufführender und Komponist zugleich sei. Denn viele Klangumgebungen sind heute durch und durch designt – von der Autotür bis zum Fahrstuhl. Moderne Städte entwickeln sich zu akustischen Signalräumen. Es piepst, hupt, tickt und rauscht an jeder Ecke –  Klänge, die uns informieren, warnen, anhalten oder locken, wie zum Beispiel Werbemusik. 

Kraftwerk, Berlin – Innenansicht ©Foto: Fineartberlin

Kraftwerk, Berlin – Erdgeschoss © Foto: Fineartberlin

Das Kraftwerk Berlin – eine Event-Location der Superlative in der Köpenicker Straße. Im Erdgeschoß des Kraftwerkes  nden oft Konzerte, Ausstellungen und Installationen statt. / Fotos: © Fineartberlin
 

Die Verkehrsadern hinterlassen akustische „Narben“ in der Stadt, so der oberösterreichische Klangkünstler Sam Auinger. Zwischen den Stadtteilen, die sie trennen, kann kein Austausch mehr stattfinden. Die Gebäudearchitektur einer Stadt bestimmt letztlich, wie die Echos und Reflexionen ihren Weg durch diesen Ort nehmen, wo sie sich bündeln, zirkulieren oder verflüchtigen.


„Die Atmosphäre eines Ortes erleben wir prägend über den Hörsinn.“ 
Klangkünstler Sam Auinger


Die Materialien einer Umgebung – Stein, Beton, Glas oder Pflanzen – manifestieren sich im Klang, weil sie ihn reflektieren oder absorbieren, mitschwingen oder dämpfen, und sie verändern sein Timbre und seine Halligkeit. „Die Atmosphäre eines Ortes erleben wir prägend über den Hörsinn“, bemerkt Auinger.

Ehemalige Abhörstation am Teufelsberg im Grunewald © Foto: Luise Wolf

Ehemalige Abhörstation am Teufelsberg im Grunewald 3 ©Foto: Luise Wolf

Teufelsberg im Grunewald – Antennenkuppeln wie riesige Flüstergewölbe in der ehemaligen Abhörstation für Flug- und Funkverkehr des US-Geheimdienstes. Flug- und Funksignale konnten bis 600 Kilometer hinter dem Eisernen Vorhang abgehört werden. Heute wird der Ort von Filmemachern und Musikern für besondere Aufnahmen genutzt. / Fotos: © Luise Wolf
 

Was wir hören, betrifft uns auch körperlich, rauscht durch uns hindurch – eine reale Bewegung bis ins Innere unserer Organe. Und wir können uns diesen Reizen nicht entziehen, denn die Ohren haben keine „Lider“. Wir bemerken heute oft gar nicht mehr, wie wir unseren Hörsinn permanent variieren und einstellen. Unbewusst springen wir zwischen einem nach Ursachen suchenden Hören, einem Lärm-Überhören, einem „Flüstergesprächshören“ oder „Lautsprechermusikhören“, wie der deutsche Musikwissenschaftler Holger Schulze schreibt. Gerade weil unsere alltäglichen Hörerfahrungen heute so fordernd und funktionell bestimmt sind, steigt das Bedürfnis nach besonderen Hörerlebnissen, nach Genuss und Körperlichkeit im Klangerleben...

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