Das Buch als Raum

Die Londoner Ausstellung Paginations präsentiert uns Buch-Exponate in großen, mit der Architektur des Raumes verschmolzenen Inkubatoren. Fast könnte man meinen, diese Quellen der Inspiration müssten geschützt werden, indem sie in einem kontrollierten Mikrokosmos gesichert vor äußerem Einfluss existieren.

Von Eva Sommeregger

Die zum Akt erklärte Zugänglichkeit der Bücher ist eine der besonderen Art: Die Bücher sind  aufgeschlagen, auf Buchständern und vom Betrachter durch Plexiglasscheiben getrennt.

Paginations - Ausstellungsansicht 2 ©Foto: Eva Sommeregger

Foto: © Eva Sommeregger
 

Mit Kurator Mike Aling über das Machen eines Buches zu sprechen, ist wie über ein Architekturprojekt zu sprechen – jedes Buchvorhaben wird zu einem eigenem Bauvorhaben, das auf andere Weise Raum zum Thema macht, jedoch anstelle von Problematiken, die Architekten im Alltag beschäftigen, bieten in diesem Fall Format, Materialität des Papiers, etc und die Produktion des Druckens und Bindens Reibungsflächen, an denen man sich architektonisch und räumlich abarbeiten kann. So wird zum Beispiel das sprichwörtlich weiße Blatt, mit dem sich ein Autor konfrontiert sieht, zum grau-weiß karierten Hintergrund – dem Entwerfer bekannt als alltägliche Hintergrundkulisse einer Photoshop-Software; eingesetzt als Weißraum der Buchseite hat das wiederum Auswirkungen auf die Gestaltung des Buches, da – der Logik des Programms folgend – das graue Schachbrett für einen transparenten Hintergrund steht. In Buchform umgesetzt bedeutet das nun, dass diese an sich durchsichtig ist – und die Inhalte, welche auf die Rückseite gedruckt sind, durchscheinen müssen. Einen Umstand, der für das Design ausschlaggebend war und digital vorproduziert wurde.

Paginations - Publikation Mike Aling ©Foto: Eva Sommeregger

In dieser von Mike Aling gestalteten Publikation der Greenwich University bildet statt der Papierfarbe die
grau-weiß karierte Fläche aus der digitalen Welt des Photoshop den Hintergrund. / Foto: © Eva Sommeregger
 

Eine andere Publikation zu Arbeiten von Neil Spiller  und Nic Clear reizt die Produktionsabläufe der Druckerstraße aus: Im Prozess des (in die Hälfte-)Faltens der großen Druckbögen kann die Maschine einige Grad abweichen, sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Das Buch verschränkt die Beiträge derart, dass die Bögen mit Clears Arbeiten maximal in die eine Richtung gefaltet werden, und jene mit Spillers Arbeiten in die andere. Beim Gebrauch des Buchs als Daumenkino bewirkt die schiefe Faltung, dass beim Durchblättern von vorne nach hinten nur Spillers Arbeit zu sehen ist, während beim Durchblättern in die andere Richtung nur Clears Beiträge aufscheinen. Clears und Spillers Bögen sind stets abwechselnd im Buch angeordnet, sodass der Betrachter beim Lesen der einen Arbeit jede zweite Doppelseite überspringen muss.

Aling ist Architekt, koordiniert den Architektur-Master-Studiengang an der University of Greenwich in London und kanalisiert seinen Hang zur Ausreizung des Machbaren in die Dissemination des dort ansässigen AVATAR-Forschungsprojektes. Er hat ein Faible für Bücher entwickelt, die ihre Materialität, ihre Organisation oder Gesamtkonzeption als räumliches Projekt inszenieren und hat selbst begonnen, eine Sammlung an derartigen Publikationen im Rahmen seiner eigenen Bibliothek anzulegen bzw. sein Wissen um bestimmte Arbeiten in diese Richtung für sich selbst inventarisiert. In den Galerieräumlichkeiten der Londoner University of Greenwich, der Stephen Lawrence Gallery, hat Aling eine Ausstellung zum Thema des Buches als Raum kuratiert, die eine umfangreiche Auswahl der Produkte seines Spürsinnes versammelt ...

Paginations - Publikation zu Arbeiten von Nieil Spiller und Nic Clear ©Foto: © Eva Sommeregger

Mike Alings Publikation zu Arbeiten von Neil Spiller und Nic Clear publiziert im Rahmen des
AVATAR-Forschungsprojekts der Greenwich University. / Foto: © Eva Sommeregger
 

Zu sehen sind unter anderem Greg Lynns Buchcover zu Paris Dior Homme, welches das Buch in geschlossenem Zustand sowohl hält, als auch schweben lässt; Peter Eisenmans transparente, schichthafte An Architecture of Absence; eine Reprint-Ausgabe von Vitruv aus dem Jahr 1486 mit Aussparungen im Text für Bemerkungen und Skizzen des Lesers; Stefan Sagmeisters ferngesteuertes Buch auf vier Rädern für BMW; Auch andere Publikationen, die mit der Erscheinungsform des Buches als Objekt spielen, sind ausgestellt -  wie Marcel Duchamps Museum in a Box. Ein anderer Bereich der Ausstellung setzt sich mit dem Raum auseinander, welcher innerhalb oder mittels eines Buches entstehen kann, und stellt unter anderem das Print Wikipedia Projekt von Michael Mandiberg vor – oder auch Fluxus-inspirierte Projekte, sowie topologisch konstruierte Erzählweisen; Filmstills von Künstlern, wie die von Mike Snow, die sich in der Linearität der Buchform von erster bis letzter Seite abbilden; die altertümlich-Chinesische Publikation I-Ching, die es Lesern erlaubt, eigene Wege innerhalb des Buches zu bestreiten; David Foster Wallaces Fußnoten, die als Labyrinth durch den Haupttext führen; das Kinderbuch About two squares von El Lissitzky; und die ganz eigene Spielart von Comics, mit Bild, Raum und Text zu verfahren. Auch sind Alings eigene Publikationen zu sehen. Zudem wird ein Blick in die Zukunft der Buchproduktion geworfen: das erste 3d-gedruckte Buch und sogenannte Augmented Reality Projekte sind ausgestellt, sowie John Halls Buch als intelligentes, lernendes Objekt.

www.greenwichunigalleries.co.uk

Titelbild: © Robbie Munn