In Stein gemeißelt

Die Universität für Musik und Darstellende Kunst in Graz begeht ihr 200-jähriges Gründungsjubiläum. Die Singschule des Steiermärkischen Musikvereins, eine Vereinigung musikliebender Amateure, wurde 1816 gegründet. Sie wird von der heutigen Kunstuniversität Graz als Vorläufereinrichtung bezeichnet. Die Universität wurde 1963 von Erich Marckhl gegründet. Ein Anlass, historische Zusammenhänge genauer unter die Lupe zu nehmen.

Von Boris von Haken

Als eigentlicher Gründer der heutigen Kunstuniversität gilt Erich Marckhl (1902–1980), der das ehemalige „Steirische Landeskonservatorium“ 1963 in eine staatliche „Akademie für Musik und darstellende Kunst“ umwandelte. Im Foyer des Palais Meran, Hauptgebäude der Universität und vormaliger Hauptwohnsitz des Erzherzogs Johann und der Gräfin von Meran, steht eine Bronzebüste ihres Gründungspräsidenten Marckhl. Sein Name findet sich ebenso auf der in Stein gemeißelten Liste der Ehrenmitglieder, zusammen mit so illustren Persönlichkeiten wie den Komponisten Darius Milhaud, Luigi Dallapiccola und Ernst Krenek, dem Pianisten Alfred Brendel oder dem Jazzmusiker Joe Zawinul.

Wer war jedoch dieser Erich Marckhl, mit dessen Büste an exponierter Stelle die Studierenden der Hochschule tagtäglich konfrontiert werden? Marckhl wurde 1902 in Cilli, einer mehrheitlich deutschsprachigen Stadt in der Untersteiermark geboren – in der Sprache der Zeit das so genannte „Unterland“. Heute heißt diese Stadt Celje und ist Teil Sloweniens. Sein Vater Richard Marckhl, ein Verwaltungsjurist, der in Graz Jura studiert hatte, war führendes Mitglied der „Deutschen Volkspartei“, einer völkisch-altdeutschen Gruppierung, die die Aufteilung der k. u. k. Monarchie und die Gründung eines deutsch-österreichischen Staates zum Programm erhoben hatte, wobei die Südsteiermark wesentlicher Bestandteil dieses erhofften Staates sein sollte. Dieses Programm ging einher mit vehementer, antisemitischer Agitation, die Loslösung von den osteuropäischen Territorien der k. u. k-Monarchie sollte die als gefährlich geltende Einwanderung von Juden endgültig beenden.

Portrait Erich Marckhl ©Foto: Winkler, Wien

Erich Marckhl (1902-1980), Gründer der Kunstuniversität Graz im Jahre 1963 / Foto: © Winkler, Wien
 

Personalakte Marckhl verschollen, unveröffentlichte Memoiren

In seinen unveröffentlichten Memoiren wird Erich Marckhl den Antisemitismus seines Vaters herunterspielen. 1905 muss die Familie Cilli verlassen, da der Vater nach Klagenfurt versetzt wird; offenkundig eine Maßnahme der Behörden, um dem Agitator Richard Marckhl die politische Wirksamkeit zu entziehen. Bereits zwei Jahre später, 1907, verlässt Richard Marckhl den Staatsdienst und zieht als Abgeordneter der Deutschen Volkspartei in den Reichsrat ein; ab diesem Zeitpunkt lebt die Familie in Wien. Richard Marckhl wird 1912 ein weiteres Mal in den Reichsrat gewählt, 1919 wird er noch für kurze Zeit Staatssekretär in der ersten provisorischen Nachkriegsregierung Österreichs. In der Republik Österreich kann er jedoch keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden.

Erich Marckhl gehörte damit zu jener Generation, die den Ersten Weltkrieg und die anschließenden Verwerfungen zwar bewusst miterlebte, jedoch nicht aktiv als Soldat am militärischen Geschehen teilnehmen musste oder konnte. Er besuchte Schulen in Wien und legte dort die Reifeprüfung ab. 1918 reiste er nach einem Aufruf der Deutschen Studentenschaft, dem Dachverband der völkischen Studenten, zu einem Grenzlandlager nach Eibiswald an die zu diesem Zeitpunkt umstrittene und blutig umkämpfte neue österreichisch-slowenische Grenze. Diese Lager verknüpften Ideen der Jugendbewegung mit politischer Radikalisierung und waren damit ein zeittypisches Phänomen. Was sich in diesem von Marckhl besuchten Grenzlandlager abgespielt hat, ist nicht dokumentiert. Wichtig für Marckhl ist jedoch, dass er in diesem Lager auf gleichgesinnte junge Männer und Knaben trifft, die es ihm nach 1945 ermöglichen werden, in der Steiermark seine Karriere, die in Wien beendet sein wird, fortzusetzen. So lernt er in Eibiswald Hanns Koren kennen, später Volkskundler an der Karl-Franzens-Universität und einflussreicher Kulturpolitiker in der Steiermark, der die Gründung der heutigen Kunstuniversität maßgeblich vorantreiben wird. Seit 1977 ist Koren Ehrenmitglied der Kunstuniversität Graz.

Ehrentafel im Palais Meran ©Foto: © Alexander Wenzel

Ehrentafel im Palais Meran – Erich Marckhl ist in Graz mit der Jazzlegende Joe Zawinul oder dem weltberühmten Pianisten Alfred Brendel in Stein gemeißelt. / Foto: © Alexander Wenzel

An der Universität Wien studierte Marckhl Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft und wird 1925 mit einer musikästhetischen Arbeit zur deutschen Romantik promoviert. Parallel zu seinem Studium besucht er die Klasse für Komposition an der Wiener Musikakademie, ohne jedoch einen Abschluss anzustreben. Ausgeprägte künstlerische Ambitionen scheint Marckhl zu diesem Zeitpunkt nicht entwickelt zu haben. Nach Studienabschluss wird Marckhl zunächst beschäftigungslos und betätigt sich journalistisch für diverse Zeitungen in Wien, schließlich erhält er eine Anstellung in der Bundeserziehungsanstalt XIII in Wien, einer ehemaligen k.u.k. Kadetten-Anstalt. Marckhl fehlt die formelle Qualifikation für das Lehramt an Oberschulen und kann folglich nur untergeordnete Funktionen annehmen. Die meiste Zeit erteilt er Musikunterricht. Zu diesem Zeitpunkt war diese Bundeserziehungsanstalt bereits für völkische und nationalsozialistische Aktivitäten bekannt. Marckhl schließt sich hier im Frühjahr 1933, von der Machtübernahme im Deutschen Reich inspiriert, dem NS-Lehrerbund an. Dieser NS-Lehrerbund ist eine der Para-Organisationen der NSDAP in Österreich, in Wien existieren zu diesem Zeitpunkt drei so genannte Zellen. Mit dem Eintritt in den NS-Lehrerbund beantragt Marckhl auch die Aufnahme in die NSDAP. Im Frühjahr 1936 wird er als illegaler Nationalsozialist enttarnt und vom Schuldienst suspendiert. Ihm wird die Beteiligung an Bombenanschlägen auf Sendemasten des österreichischen Rundfunks vorgeworfen. In den polizeilichen Vernehmungen bleibt unklar, ob Marckhl aktiv beteiligt oder nur Mitwisser war. Marckhl flieht im Herbst 1936 in das Deutsche Reich, was als Schuldeingeständnis zu werten sein dürfte. Wie viele andere geflüchtete österreichische Nationalsozialisten wird Marckhl im Dritten Reich gut versorgt und erhält eine akademische Anstellung an der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund. Stark beeinflusst wird er von seinem Vorgesetzten Edgar Rabsch, einem Prominenten in der völkischen Jugendmusikbewegung. In Dortmund erkennt Marckhl, dass die Pädagogik im Nationalsozialismus weitaus mehr darstellt als eine untergeordnete akademische Disziplin. Pädagogik wird für ihn jetzt zu einem Machtinstrument. Erziehung ist ein Mittel zur Menschenführung ...

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Titelbild: Kunstuniversität Graz im Palais Meran, vormaliger Hauptwohnsitz des Erzherzogs Johann und seiner Gemahlin, der Gräfin von Meran, seit 1963 Sitz der Universität für Musik und darstellende Kunst. / Foto: © KUG / Wenzel