Sechs Hände, eine Stimme

Die Ära der solo-berühmten Architekten scheint vorbei zu sein – drei Freunde, die vor 30 Jahren in ihrer katalonischen Heimatstadt Olot, nördlich von Girona, gemeinsam ihre erste Wände planten, niemals getrennte Wege gingen oder Spanien verließen, haben die höchste Architektur-Auszeichnung gewonnen. Damit ehrt der Preis, der zum ersten Mal in seiner Geschichte an ein dreiköpfiges Team geht, das Kollaborative in der Architektur. 

Von Jennifer Lynn Karsten

Bisher waren viele Architekten bereits zumZeitpunkt der Pritzker-Preis-Verleihung als Star-Architekten bekannt, darunter Renzo Piano, Jean Nouvel und Sir Norman Foster. Denn der Pritzker-Preis, der „Nobelpreis der Architekten“, der 1979 von Jay A. Pritzker, dem Besitzer der Hyatt-Hotelkette, ins Leben gerufen wurde, galt bisher als Würdigung des Gesamtwerks eines einzelnen Architekten.

Dieses Stardenken früherer Pritzker-Jurys verhinderte lange, Architektur-Teams auszuzeichnen. Mit Herzog & de Meuron wurde 2001 erstmals ein Zweierteam geehrt. Das Architektenteam SANAA erhielt 2010 den Preis.

Selten wurde ein Büro erst durch den Pritzker-Preis bekannt und noch dazu ein Dreierteam.

Geteilte Kreativität

Rafale Aranda (56), Carme Pigem (55) und Ramon Vilalta (57) gründeten 1988 ihr Architekturbüro und arbeiten seitdem unter dem Namen „RCR Arquitectes“ zusammen – das Akronym steht für die Vornamen der drei Firmengründer. Bisher waren die Architekten international nur wenig bekannt, sie haben keine großen öffentlichen Projekte entworfen oder oft außerhalb Spaniens gearbeitet.

Rafael Aranda, Carme Pigem and Ramon Vilalta ©Foto: Javier Lorenzo Domínguez

Büro von RCR Arquitectes (2008) / © Foto: Hisao Suzuki

oben: Rafael Aranda, Carme Pigem and Ramon Vilalta / © Foto: Javier Lorenzo Domínguez
unten: Büro von RCR Arquitectes (2008) / © Foto: Hisao Suzuki
 

Dennoch wurde die Pritzker-Jury auf sie aufmerksam und hob gerade das Kollaborative in ihrer Arbeit hervor. Denn in dem konkreten architektonischen Werk ist nicht mehr die Handschrift eines Einzelnen erkennbar. Die überragende Qualität dieser Werke entsteht im Prozess der Diskussion und der Kooperation, im Prozess des Sich-Einbringens und des Zuhörens sowie des Zusehens der drei Beteiligten, heißt es in der Begründung.

„Für uns ist die Zusammenarbeit fundamental – eine der wichtigsten Dinge über die wir sprechen, ist die geteilte Kreativität“, sagte Carme Pigem in einem Telefoninterview. „Es ist nicht die Frage von einer Person; es sind alle drei. Manchmal sagen wir: Sechs Hände, eine Stimme.“ Das Motto der Architekten findet man auch auf ihrer Homepage:  „Univers de la creativitat compartida“ – Universum der gemeinsamen Kreativität.

Weingut in Bell-lloc in Palamós (2007) ©Foto: Hisao Suzuki

Weingut in Bell-lloc in Palamós (2007) / © Foto: Hisao Suzuki

Rotzig aber ästhetisch

Ihre Projekte sind eine Gratwanderung zwischen Archaik, regionaler Tradition, Poetik und materieller Frechheit – aber immer poetisch und ästhetisch. Da trifft kaputtes Mauerwerk auf neuen Beton, treffen Metallsäulen auf meterlange Glaswände. Mal ducken sich die Bauten tief in die katalanische Landschaft, mal heben sie sich monolitisch und skulptural hervor, mal sind sie schwarz, mal weiß, mal wirken die Gebäude pur und roh, mal überdesignt, dann machen sie wieder durch eine bizarre Material- und Farbmischung auf sich aufmerksam: Kunststoff, recycelte Baustoffe und Neonfarben. Ihre Gebäude sind ungewöhnlich, schockierend, radikal und teilweise martialisch.

Zu den bekanntesten Arbeiten, zählen das Weingut in Bell-lloc in Palamós (2007), die Joan-Oliver-Bibliothek, ein Altersheim in Barcelona (2007) und der Kindergarten in Besalú (2010). Das Soulages Museum (2014) im französischem Rodez und das La Cuisine Art Center in Nègrepelisse (2014) gehören zu den Projekten außerhalb ihrer Heimat. 

Besondere Beachtung fand das 2011 eröffnete Open-Air-Theater La Lira in Ripoll.

Wie ein überdimensionierter Käfig aus rostigem Stahl, prangt die urbane Theaterbühne kompromisslos und rotzig zwischen den Brandwänden und Wäscheleinen der umgebenden Wohnhäuser.

Joan-Oliver-Bibliothek, Barcelona (2007) ©Foto: Hisao Suzuki

Joan-Oliver-Bibliothek, Barcelona (2007) © Foto: Hisao Suzuki
 

Lokal und universell

Die Arbeiten von Aranda, Pigem und Vilalta haben immer einen direkten Bezug zur regionalen Kultur. Das findet auch die Jury, der der australische Architekt und 2002-Pritzker-Preisträger Glenn Murcutt vorsaß, wenn er auf den starken Bezug der Bauten zur Umgebung hinweist und in diesem Zusammenhang von einer „tiefen Integrität“ spricht. Die Jury betonte ebenfalls, dass die Architekten „bewundernswert und poetisch die traditionellen architektonischen Anforderungen an die physische und räumliche Schönheit mit Funktion und Handwerk erfüllen. Was sie hervorhebt, ist ihre Herangehensweise, Gebäude und Orte zu schaffen, die gleichermaßen lokal und universell sind.“ 


„Wir leben in einer zunehmend globalisierten Welt, in der wir auf internationale Geschäfte, Einflüsse und Diskussionen angewiesen sind. Und immer mehr Menschen fürchten genau das, denn wir sind dabei, unsere lokalen Werte, lokale Kunst und lokalen Bräuche zu verlieren. Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramon Vilalta jedoch sagen uns mit ihrer Arbeit, dass man diese Gegensätze auch vereinen kann. Sie helfen uns auf wunderschöne und poetische Art zu verstehen, das die Antwort auf eine Frage nicht entweder / oder ist, und das Architektur beides erreichen kann.“
Glenn Murcutt



Les Cols Restaurant Marquee (2011) ©Foto: Hisao Suzuki

Les Cols Restaurant Marquee (2011) / © Foto: Hisao Suzuki
 

Neuausrichtung des Preises

Der Pritzker Preis stand schon häufig in der Kritik: würden doch ohnehin nur berühmte, ältere, weiße und männliche Architekten damit ausgezeichnet. Inzwischen versucht die Preisjury, dieses verstaubte Image loszuwerden. Letztes Jahr gewann der chilenische Architekt Alejandro Aravena den Preis. Zwar war dieser auch weiß und männlich, aber immerhin jung mit seinen 48 Jahren, und in der Architekturszene als „Architektur-Aktivist“ bekannt.

In dem langjährigen Bestehen des Preises waren Zaha Hadid (2004) und Kazuyo Sejima (2010) die einzigen Frauen, die den Preis erhielten.

Sicher war die Entscheidung der Jury, dieses Jahr den Preis an eine gemischtgeschlechtliche Gruppe zu vergeben kein Zufall, sondern auch ein Zeichen dafür, dass der Preis endlich in der Gegenwart angekommen ist.

Mit den Juroren Glenn Murcutt, Stephen Breyer, Yung Ho Chang, Kristin Feireiss, Peter Palumbo, Richard Rogers, Benedetta Tagliabue, Ratan N. Tata und Martha Thorne entschied wieder dasselbe Team wie das Jahr zuvor.

Der Pritzker Preis ist mit einer Prämie von 100.000 Dollar dotiert und wird am 20. Mai im Akasaka-Palast in Tokio verliehen.

Titelbild: Open-Air-Theater La Lira in Ripoll (2011) / Foto: Hisao Suzuki