Das Museum des 20. Jahrhunderts Berlin

Für die Kunst der Moderne soll auf dem Berliner Kulturforum, in einem der faszinierendsten Ensembles der Moderne, ein neues Museum entstehen. Doch ein denkwürdiges Wettbewerbsverfahren brachte ein seltsames Siegerprojekt hervor, bar eines jeden modernen oder avantgardistischen Anspruchs. Wo sich viele internationale Architekturstars mit ihren Projekten um mutige Neuinterpretationen der Moderne für das 21. Jahrhundert bemühten, soll nun ein rural-industriell anmutender Vexierkörper vollenden, was einst als Aufbruch in eine neue Gesellschaft begann und zu völlig neuartigen Kulturräumen geführt hatte.

Von Claus Käpplinger

Viel wurde in den vergangenen Jahrzehnten über das Kulturforum in Berlin gestritten,  mit dem sich West-Berlin in Zeiten der Mauer eine ganz eigene Kulturakropolis jenseits des alten Stadtzentrums schuf. Nach einem Masterplan von Hans Scharoun entstanden dort seit den 1960ern nicht nur viele moderne Kulturgebäude, sondern auch ein neuer Stadttypus. Den Gegensatz von Stadt und Land überwindend, entwickelte Scharoun eine organische Stadtlandschaft für eine offene demokratische Gesellschaft. Mit der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe, der Philharmonie, der Neuen Staatsbibliothek und dem Kammermusiksaal von Scharoun verwandelten sich hier Gebäude in artifizielle Hügel und Straßen wie Plätze in Täler.

Doch die Zeiten und Architekturen änderten sich. Scharouns Masterplan blieb unvollendet, weshalb das Zentrum des Forums nie mit dem terrassenförmigen Künstlergästehaus bebaut wurde, das Scharoun für das Forum vorgesehen hatte. Alternative Projekte wie Hans Holleins preisgekröntes Arkadenprojekt von 1983 wurden ebenfalls nicht realisiert. Folglich glich das Zentrum unweit des Potsdamer Platzes einer zumeist menschenleeren Stadtbrache. Diesen Zustand zu ändern, war 2016 das erklärte Ziel eines recht seltsamen dreistufigen Architekturwettbewerbs der Bundesrepublik Deutschland, der darauf zielte, den Raum zwischen den bestehenden Kulturbauten mit einem Museum des 20.Jahrhunderts zu füllen.

Siegerprojekt Herzog & de Meuron

Von der Jury und allen Vertretern der Politik euphorisch begrüßt, gewann das äußerst erfolgreiche Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron den absehbar letzten großen Museumsbau Berlins. So seltsam bereits das überhastete Wettbewerbsverfahren war, das einem bizarren Dreiklassen-System der Teilnahme folgte, so bewusst ambivalent ist nun auch ihr Siegerprojekt, das die Schweizer wie folgt beschreiben:


"Ist es eine Lagerhalle? Oder eine Scheune? Oder vielleicht eine Bahnhofshalle? Ist es nicht vielmehr ein Tempel mit den exakt gleichen Giebelformen wie die Alte Nationalgalerie von August Stüler? Tatsächlich ist es ein Ort des Lagerns wie eine Lagerhalle, ein Ort der Vorräte und der Nahrung wie ein landwirtschaftlicher Betrieb, ein Ort der Begegnung und der Verbindung wie eine Bahnhofshalle. Und – wie ein Tempel – ist es auch ein Ort der Stille und des Nachdenkens, der Wahrnehmung von Kunst, der Wahrnehmung von sich selbst."
Herzog & de Meuron


Anders als von ihnen beschrieben, ist ihr Projekt weitaus weniger multivalent als ambivalent – im Inneren wenig mehr als eine verkleinerte Kopie der großen Halle der Tate Modern, die Herzog & de Meuron bereits vor 16 Jahren erfolgreich transformierten, und außen eine überdimensionierte Scheune, die nun von den Berlinern als „Kunst-Lidl“ in Anspielung auf einen deutschen Discountermarkt verspottet wird. Der Spott greift jedoch zu kurz. Unbestreitbar sind die architektonischen Qualitäten von Herzog & de Meuron, die für ihr Museum eine mehrschichtige, eine diaphane Hülle vorschlagen: Betonwände, die hinter einem Häkelkleid aus Backsteinen verschwinden sollen, um dann noch von einer weiteren Hülle aus perforierten Metall eingehüllt zu werden. So soll sich ihr Archetyp eines Hauses zu einem visuellen Vexierkörper verwandeln. 

Mit dem vorgesehenen Budget von 210 Millionen Euro scheint aber eine solche aufwendige Architektur auf 10.000 Quadratmetern kaum möglich, womit sich bereits ein weiteres deutsches Baudebakel abzeichnet.

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Titelbild: „Die Idee, ein Museum als ‚Zelt‘ aus Backstein anzulegen hat Esprit“, so die Jury zur Außenwirkung des Herzog & de Meuron Projekts. An Discountermärkte fühlen sich hingegen viele Berliner erinnert, die nun nicht zuletzt auch im Internet das völlige Verschwinden des Platzes inmitten des Kulturforums bedauern. / Visualisierung: © Herzog & de Meuron