Wegbereiter der Moderne

Wrocław. Max Berg und Hans Poelzig haben 1913 mit der Jahrhunderthalle und dem Vier-Kuppel-Pavillon am Breslauer Ausstellungsgelände ein Gesamtkunstwerk geschaffen, ein totales Environment, bis heute Wahrzeichen der Stadt. Sie sind Wegbereiter des modernen Bauens im frühen 20. Jahrhundert. Poelzigs generalsanierte Kuppelhallen sind ein Meilenstein der Kulturhauptstadt Breslau 2016. Kuratorin Anna Chmielarz führte durch die lichtdurchfluteten Hallen.

Von Doris Lippitsch

Im realsozialistischen Polen war Poelzigs imposanter Vier-Kuppel-Pavillon Filmproduktionsstätte für propagandistische Zwecke, später lange  Zeiteinbaufälliges Depot. Die Filmfirma Wytwornia Filmow Fabularynch nutzte die Hallen jahrzehntelang als Filmarchiv und Lagerhalle. 2009 erwirbt das Nationalmuseum Wroclaw die Nutzungsrechte für die Kuppelhallen, die nun nach Jahrzehnten und zweijähriger Generalsanierung wieder öffentlich zugänglich sind. Die Sammlung für moderne und zeitgenössische Kunst der Nationalgalerie Wroclaw ist mit über 20.000 Exponaten aus Malerei, Grafik, Zeichnung, Skulptur, Konzeptkunst, Dokumentation von Happenings, Fotografie sowie Glas und Keramik eine der bedeutendsten in Polen. Die erste Dauerausstellung dieser Bestände wird 1969 von Pawel Banas initiiert und Anfang der 1970er Jahre von Mariusz Hermansdorfer übernommen, der das Nationalmuseum Wroclaw bis 2013 leitet. Als wichtigste Pfeiler der Sammlung gelten die Werke des Exilpolen Jan Lebenstein, der heute wiederentdeckten Künstlerin Alina Szapocznikow, die Arbeiten von Wladyslaw Hasior und der Bildhauerin Magdalena Abakanowicz. Eine Auswahl dieser Sammlung wird nun in den riesigen Hallen mit einer Ausstellungsfläche von rund 10.000 Quadratmetern präsentiert. Die wichtigsten Tendenzen der polnischen modernen Kunst sind vom Expressionismus und Surrealismus nach westeuropäischem Vorbild inspiriert, auch das künstlerische Erbe Wroclaws mit seinen Vertretern der Konzeptkunst und Werken aus den 1980ern ist erheblicher Bestandteil der Sammlung. Seit Ende Juni wird diese Sammlung mit internationalen Wechselausstellungen im Vier-Kuppel-Pavillon präsentiert.

Hans Poelzig – zweiter Generalplan der Jahrhundertausstellung ©Muzeum Architektury we Wrocławiu – Oddział Archiwum Budowlane Miasta Wrocławia

Hans Poelzig, zweiter Generalplan der Jahrhundertausstellung auf einer Fläche von 75 ha, Anfang 1913 / © Muzeum Architektury we Wrocławiu – Oddział Archiwum Budowlane Miasta Wrocławia
 

Nach dem Zweiten Weltkrieg hält Max Berg etwas sperrig in seinem künstlerischen Manifest Zukünftige Baukunst in Breslau als Ausdruck einer zukünftigen Kultur fest: „Entsprechend der Durchführung des Gedankens der Demokratie werden Bauten entstehen, in denen das Volk zum Beruf seiner Souveränität erzogen wird, und in denen es sie ausübt (....)“ in Jerzy Ilkosz Die Jahrhunderthalle und das Ausstellungsgelände in Breslau – das Werk Max Bergs, Oldenbourg, München, 2006. „Sozialismus ist hier in unpolitischem, überpolitischem Sinn gedacht und von jeder Herrschaftsform befreit, der Gedanke verbindet die Menschen mit den Menschen (...)“, merkt Bruno Taut in Die Stadtkrone an (Jena, 1919).
 

JAHRHUNDERTAUSSTELLUNG BRESLAU 1813

Die bedeutendsten deutschen Architekten jener Zeit, Hans Poelzig, Max Berg und Hans Scharoun, werden mit der Planung und Ausführung des Ausstellungsgeländes und Künstler, wie die Wiener Oskar Kokoschka und Max Reinhardt mit Dekorationsentwürfen und der Theaterinszenierung für die Eröffnungsfeierlichkeiten im Jahre 1913 beauftragt. Die deutsche Avantgarde ist bestrebt, ein Massenpublikum zu erreichen.

Für das künstlerische Großereignis der Historischen Ausstellung sollte ein eigenes Gebäude errichtet werden, folglich war der Pavillon der Historischen Ausstellung, wie die Kuppelhallen ursprünglich genannt wurden, neben der alles überragenden Jahrhunderthalle der wichtigste Bau am Gelände. Architekt Hans Poelzig, damals Leiter der Breslauer Kunstgewerbeschule, veränderte das Konzept des Ausstellungsgeländes und schriebdazu in Die Anlage (Anm. Nachlass Max Berg): „Der Innenraum der Festhalle, nicht mehr umringt von ängstlich zu hütenden, unendlich wertvollen Ausstellungsschätzen, konnte nun den großen Volksmassen gegeben werden, konnte nunmehr einen Rahmen abgeben für Festspiele, wie er wirkungsvoller nicht gedacht werden konnte und wie er in dieser Größe nirgends mehr vorhanden war (...).“

Vier Kuppel Pavillion © Foto: Arkadiusz Podstawka

Mit Bergs Jahrhunderthalle seit 2006 Unesco-Weltkulturerbe und ein Meilenstein aller architektonischen Aktivitäten der Kulturhauptstadt Breslau 2016: die Sanierung und Wiedereröffnung des Vier-Kuppel-Pavillons am Ausstellungsgelände, für die Jahrhundertausstellung ‚Breslau 1813‘ zum 100. Jahrestag nach dem Sieg über die napoleonischen Truppen 1912–1913 errichtet. / Foto: © Arkadiusz Podstawka 

 

POELZIGS VIER-KUPPEL-PAVILLON

„Schon die ungeheure Masse der Jahrhunderthalle erschwerte es allen anderen Bauten sich zu behaupten. Es lag nahe, das Gebäude für die Jahrhundertausstellung und die Pergola stilistisch einheitlich zu behandeln und für das Ausstellungsgebäude ergab sich leicht eine Beziehung zur Auffassung der Zeit von 1813, die die griechische Antike wieder zum Ausgangspunkte der stilistischen Bewegungen machte“, notierte Poelzig weiter in Die Anlage. Die Organisatoren der Jahrhundertausstellung, allen voran Ausstellungsleiter Karl Masner, suchten nach Argumenten und damit nach der Möglichkeit, Mittel für einen eigenen Pavillon für die Jahrhundertausstellung zu beschaffen. Bis dahin war laut zuständigem Bauausschuss noch ungewiss, ob es sich um einen festen oder provisorischen Bau handeln sollte. Poelzigs erste Zeichnung zur Aufteilung des Geländes ist mit 1911 datiert.  Sie enthält bereits den Umriss des künftigen Pavillons und illustriert seinen Vortrag am 27. Februar 1912 im Museum für Kunstgewerbe und Altertümer in Breslau. Schon zu diesem Zeitpunkt sah Poelzig einen vierflügeligen Bau um einen Innenhof vor. Die Flügel bestanden aus jeweils einem Trakt, mit zwei großen Sälen im Süden und Norden und mehreren Eingangshallen mit rechteckigem Grundriss. Im März 1912 stellte der Architekt seinen Antrag an den Breslauer Stadtrat: Der imposante Bau sollte über eine Fläche von 3.500 Quadratmetern verfügen und aus Beton und Stahlbeton errichtet werden.

Lichtdurchfluteter Kuppelraum ©Foto: Courtesy Architekturmuseum Wrocław

Die großzügigen Kuppelräume sind lichtdurchflutet. Die Kuppeln wurden originalgetreu mit Kassettenfeldern und antikisierenden Mäanderfriesen restauriert. Die Farbgebung setzt auf den Kontrast zwischen hellen und dunklen Tönen, vor allem Schwarz und Weiß. / Foto: © Courtesy Architekturmuseum Wrocław

 

Charakteristisch für die Neuauffassung von historischer Architektur ist die Verbindung der neuen Baumaterialien mit der von der Ausstellungsleitung gewünschten „architecture parlante“: „Die Aufnahme von Beton für die tragenden Teile des Gebäudes ermöglichte es, die Formen der Antike trotzdem in einer eigenen, dem neuen Baustoff angemessenen Auffassung zu verwenden, die auch den Innenräumen des Hauses den Stempel aufdrückte“, wird Poelzig weiter in Bergs Nachlass zitiert. Die nächste Version mit dem ersten Grundriss des Pavillons stammt vermutlich aus dieser Zeit. Von diesem Planungsstadium ist nur eine fragmentierte Ansicht auf dem allgemeinen Plan des Geländes erhalten. Jedenfalls sollte der Pavillon leicht erhöht errichtet werden. Ähnlich wie in der ersten Skizze besteht der Bau aus zwei Hauptflügeln im Süden und Norden sowie den Verbindungstrakten im Osten und Westen. Haupt- und Nebenflügel sind darauf durch an Ecken abgerundete Räume miteinander verbunden. Fast alle Räume verfügen über Oberlicht. In den beiden Hauptflügeln sind die Ausstellungssäle geplant, im Nordflügel sieht Poelzig die Jahrhundertausstellung Breslau um 1813 vor. Der Innenhof ist als Garten mit Brunnen vorgesehen, der Haupteingangist der Jahrhunderthalle entlehnt, der damit an Bergs gegenüberliegende Jahrhunderthalle anknüpft – mit einer Architektur, die nicht von der Geschichte, sondern Form, Konstruktion und Geometrie abgeleitet ist.

EINGESCHOSSIGER SKELETTBAU IN STAHLBETON

Die architektonische Form des Pavillons war eng mit dem Ausstellungsprogramm verknüpft und dennoch als universeller, eingeschossiger Museumsbau konzipiert, der als Skelettbau in Stahlbeton ausgeführt wurde. Im April 1912 legt Poelzig die Endversion mit Gipsmodell und Entwürfen auf einer Sitzung der Baukommisssion der Jahrhundertausstellung vor. Der Ausführungsentwurf wird in der Schlesischen Zeitung veröffentlicht (Anm. 9. Juni 1912), im August 1912 genehmigt und schließlich die Schlesische Beton-Baugesellschaft mit dem Bau des Vier-Kuppel-Pavillons beauftragt. Der ursprünglich freistehende Bau wird als Rechteck mit vier Flügeln um einen Innenhof ausgeführt, die beiden Hauptachsen schneiden sich im rechten Winkel. Die Flügel sind mit kaum hervortretenden Seiten- und Mittelrisaliten akzentuiert, wobei letztere als quadratische, kuppelüberwölbte Räume gestaltet sind. Die Kuppeln über den Mittelrisaliten sind dreiteilig aufgebaut und bestehen aus Stahlbeton. Sockel und Kalotte sind mit Kupferblech verkleidet.

Sanierte Nordkuppel © Foto: Wojciech Rogowicz

Aufwändige Sanierung nach Rissen in den Kuppeln. Nordkuppel, originalgetreu mit Kassettenfeldern und antikisierenden Mäanderfriesen restauriert. Die Farbgebung setzt auf den Kontrast zwischen hellen und dunklen Tönen, vor allem Schwarz und Weiß. / Foto: © Wojciech Rogowicz 

Im September 1912 sind die Fundamente des Vier-Kuppel-Pavillons hergestellt. Poelzig vergrößert für die Schau Breslau um 1813 einen Kuppelsaal des Nordflügels, und verändert die Anordnung der tragenden Säulen, ansonsten verläuft der Bau ohne größere Schwierigkeiten. Die klassische, stilisierte dorische Säulenordnung irritiert oder besser, verfremdet Poelzig mit dem modernen Baustoff Beton, den er sichtbar lässt. Das konstruktive Gerüst und die Säulen als Betonelemente werden nicht übertüncht, die Füllmauern aus Ziegelstein hingegen verputzt und an die Oberfläche des Betons angeglichen. Die Dachkonstruktion bleibt unter der breiten Attikazone verborgen, das  Dach besteht aus gläsernen Oberlichtern, die quer oder parallel zum First angeordnet sind.


Das Oberlicht, das Architekt Poelzig für den Vier-Kuppel-Pavillon verwendet, gilt den zeitgenössischen Architekten als eine der interessantesten Lösungen in einem Ausstellungs- und Museumsbau.


Der quadratische Unterbau ist hinter der Attika sichtbar, darüber steigt die aus Säulen und Glasflächen gebildete Laterne empor und ist mit einer flachen Kalotte über dem Gebälk abgeschlossen.

Der Pavillon der Historischen Ausstellung bildet mit der Jahrhunderthalle, dem Pavillon des Künstlerbundes und dem Haupttor im Westen das Forum des Ausstellungsgeländes. Ende 1912 ist der Rohbau fertig, und im Jänner 1913 werden die Wände trocken gelegt. Mitte Februar 1913 übergibt die Schlesische Beton-Baugesellschaft das Gebäude an die Ausstellungsleitung und im März 1913 beginnt Ausstellungsleiter Karl Masner mit der Einrichtung der Historischen Ausstellung, die im Mai 1913 eröffnet wird und ein großer Erfolg ist.

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Titelbild: Hans Poelzigs Vier-Kuppel-Pavillon – Verglaste Stahlkonstruktion für zusätzliche Ausstellungsflächen im Innenhof. Die weitläufigen Ausstellungshallen des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst sind lichtdurchflutet. Die Hallen werden durch Oberlicht mit Tageslicht geflutet, in den Eckräumen fällt das Licht durch großes quadratisches Oberlicht ein. Mit der Generalsanierung unter Beteiligung des englischen Architekturbüros Chapman Taylor wurden die Ausstellungshallen in ihren ursprünglichen Zustand versetzt, die Kuppelräume originalgetreu restauriert und alle nach 1913 entstandenen Einbauten entfernt. Über 6.000 Quadratmeter zusätzliche Ausstellungsfläche konnten bei der Sanierung mit dem verglasten Innenhof gewonnen werden. / Foto: © Arkadiusz Podstawka