Nationalgalerie Wrocław

Fortsetzung, Teil II: Sammlung moderner & zeitgenössischer Kunst ... in Poelzigs generalsaniertem Vier-Kuppel-Pavillon. Kuratorin Anna Chmielarz führte durch die Hallen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Schlesien Polen zugeschlagen,ab 1918 ein souveräner Staat. Eine neue Entwicklungsphase setzt nach dem Vorbild westeuropäischer Künstler im Kunstschaffen ein, das nun von „patriotischer Thematik“ befreit ist. Im Mittelpunkt steht die formale Suche. In der Zwischenkriegszeit etabliert sich ein neues, modernes Bewusstsein polnischer Kunst. Ihre wichtigsten Vertreter sind Stanislaw Ignacy Witkiewicz, Leon Chwistek und Wladyslaw Strzeminski. Die „Polnischen Expressionisten“, eine Gruppe junger Künstler, werden erstmals 1917 in Krakau präsentiert. Sie erklären Kunst für unabhängig, in ihren Arbeiten steht die Form über dem Inhalt. Erfahrungen aus Kubismus, Futurismus und Expressionismus fließen in die Werke der polnischen Avantgarde ein. Strzeminski gilt als Wegbereiter der geometrischen Abstraktion und des Neoplastizismus. Die Form wird nach seiner Rückkehr aus dem revolutionären Russland, wo er Avantgarde-Vertretern begegnet, zur plastischen Konstruktion. Er verzichtet auf Kontraste, Dynamik und Raumillusion und stellt wie Chwistek mathematische Berechnungen für seine Werke an. Strzeminski ist Mitbegründer der internationalen Sammlung der Modernen Kunst in Polen, die erstmals 1931 in Lódz präsentiert wird. Lódz ist neben Warschau, Krakau und Posen eines der dynamischsten Kulturzentren. Nach dem Krieg übergibt er seine Werke dem Lódzer Museum. Während 1948 die erste große Schau Moderner Kunst in Krakau von Tadeusz Kantor und dem Kunstkritiker Mieczyslaw Porebski präsentiert wird,  strömen zahllose Besucher in die Ausstellung der „Wiedergewonnenen Gebiete“ in Wroclaw, die bereits ein deutlicher Vorbote der neuen Denkweise über die zukünftige Rolle der Kunst ist.


Veränderungen kündigen sich im sozialistischen Polen an. Die Doktrin lautet nun „Sozrealismus“, eine „neue Kunst für neue Zeiten“ – programmatischer Optimismus nach sowjetischem Vorbild beginnt sich abzuzeichnen. Sehr schnell werden viele Künstler zu Volksfeinden, verlieren ihre Stelle an künstlerischen Hochschulen oder aber ziehen sich wie Tadeusz Kantor oder Maria Jarema aus dem kulturellen Leben zurück.


Kriegserinnerungen und -erfahrungen sind in den Hallen omnipräsent. Wichtige Vertreter sind Waldemar Cwenarski, Andrzej Wróblewski und Józef Szajna, der Auschwitz und Buchenwald überlebt. Diese Erfahrungen haben seine künstlerische Haltung nachhaltig geprägt. Erinnerungen an den Holocaust zu retten, ist ihm wesentlich. Mit Tadeusz Kantor und Jerzy Grotowski reformiert er nach 1950 das polnische Theater. In diesen Jahren etabliert sich der Begriff Environmentnach US-amerikanischen Vorbild und seinem Hauptvertreter Allan Kaprow.

Alina Szapocznikow – Breasts, 1966  © Nationalgalerie Wrocław

Heute wiederentdeckt, die polnische Exilkünstlerin Alina Szapocznikow (1926–1973), Breasts, 1966 

 

KRAKAUER GRUPPE, THEATER CRICOT

Eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Sammlung ist zweifelsohne die Bildhauerin und Malerin Maria Jarema, die maßgeblich an der Krakauer Gruppe und in in den 1930ern im Theater Cricot ihres Bruders Józef Jarema mitwirkt. Jaremas plastische Formen knüpfen an die organische Welt an und sind von außergewöhnlich harmonischen Strukturen zwischen Figuration und Abstraktion in Monotypie, einer grafischen Technik mit jeweils nur einem Abdruck und Tempera, ausgeführt. Jaremas Denkmalsentwurf für Fryderyk Chopin wird erst 2008, 50 Jahre nach ihrem Tod im Jahre 1958 als abstrakte Skulpturfontäne in Krakau realisiert.

Maria Jarema – Rhythm IX, 1958  © Nationalgalerie Wrocław

Maria Jarema (1908–1958), Rhythm IX, 1958 – Jaremas Formen knüpfen an die organische Welt an und sind von außergewöhnlich kraftvollen Strukturen zwischen Figuration und Abstraktion in Monotypie, einer grafischen Technik mit jeweils nur einem Abdruck und Tempera, ausgeführt. 

 

Nach dem Krieg übernimmt Tadeusz Kantor, eine der charismatischsten Persönlichkeiten in der polnischen Kunst nach 1950, das Theater Cricot von Jaremas Bruder Józef. Kantor, Maler, Theaterregisseur, Bühnenbildner und Kunsttheoretiker, gilt als einer der Hauptvertreter der informellen Kunst. International bekannt wird er mit seinen Theaterstücken Die tote Klasse, 1975, oder Wielopolo, 1979.

Tadeusz Kantor – Open Model, 1948 © Nationalgalerie Wrocław

Tadeusz Kantor (1915–1990), Open Model, 1948 – Kantor ist einer der bedeutendsten Vertreter der polnischen Kunst nach 1950. 

 

Vertretern der Abstraktion mit all ihren Facetten wird in den Hallen viel Raum gezollt, in Polen oftmals die geometrische und lyrische Abstraktion sowie Poetik des Surrealismus mit der größten Sammlung des polnischen Exilkünstlers Jan Lebenstein. In einer Kuppelhalle eignen sich Magdalena Abakanowiczs Installationen den Raum an. Konzeptkunst und zeitgenössische Installationen in den riesigen Hallen leiten über zur Wechselausstellung.

Roman Opalka – Opałka 1965/1 © Nationalgalerie Wrocław

Roman Opalka (1931–2011), Opałka 1965/1 - ∞. Details, 2005 – Der französisch-polnische Konzeptkünstler beschäftigte sich intensiv mit dem Phänomen der Zeit. 
 

Mit der Sammlung moderner und zeitgenössischer polnischer Kunst der Nationalgalerie Wroclaw wird Poelzigs Kuppelhallen neues Leben eingehaucht, und 100 Jahre nach der Eröffnung eine expressive, humorige, schillernde, bewegte und manchmal auch dramatisch düstere Welt der jüngeren polnischen Geschichte sichtbar gemacht.

Kuratorinnen der aktuellen Sammlung und Schau zeitgenössischer Kunst: Barbara Ilkosz & Barbara Banas

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Titelbild: Magdalena Abakanowiczs Arbeiten eignen sich den Raum an. Ihre dreidimensionalen Formen sind „Protest gegen die Systematisierung des Lebens und der Kunst. Sie wachsen in einem langsamen Rhythmus wie Naturgebilde (...)“ / Foto: © Arkadiusz Podstawka