Grande Dame von Wrocław

Jadwiga Grabowska-Hawrylak gilt als bedeutendste Architektin von Breslau. Geboren wurde die Architektin der Nachkriegs- und Spätmoderne im Jahre 1920 in einem kleinen Dorf namens Tarnawce, das in der Provinz Przemysl im Osten des Landes liegt. Das Architekturmuseum Breslau, mit Helsinki und Moskau das älteste in Europa, widmete ihr im Rahmen der Kulturhauptstadt 2016 eine große Werkschau, kuratiert von Architekt Michal Duda, der durch die Ausstellung führte.

Von Doris Lippitsch

Wroclaw. Für ihr Studium kam die heute 96-jährige Grande Dame von Breslau in die ehemalige niederschlesische Metropole, das sie 1950 als erste diplomierte Architektin nach dem Zweiten Weltkrieg an der UniversitätBreslau abschloss. Breslau, eine prosperierende Handelsstadt und bis 1945 eine der größten Städte Preußens und des deutschen Reiches, ist reich an Geschichte, reich an Kultur, reich an Architektur – ein wirtschaftliches, geistiges und wissenschaftliches Zentrum. Über Jahrhunderte lebten in der Stadt Deutsche, Polen und Juden friedlich unter wechselnder Herrschaft miteinander. Fünf Jahrhunderte lang wurde das slawische Fürstentum von Böhmen, später von der Habsburgermonarchie unter Kaiserin Maria Theresia regiert, bis die preußischen Truppen Friedrich des Großen 1741 in Schlesien einmarschierten und von den Habsburgern eroberten.

BRESLAU, EXPERIMENTIERFELD FÜR NEUE FORMEN

Anfang des 20. Jahrhunderts ist Breslau ein Experimentierfeld für neue Formen des Denkens und Bauens. Deutschen Baumeistern wie Max Berg, Hans Scharoun, Hans Poelzig oder Erich Mendelsohn gelingt in Breslau der große Schritt in die Moderne, noch bevor die Architekten in Berlin oder im Bauhaus Einzug halten. Diese Epoche endete jäh im im Zweiten Weltkrieg. Nach Krieg lag Breslau in Schutt und Asche, an die 70 Prozent der Stadt waren zerstört.


Kaum eine andere Stadt spiegelt die schwer belastete deutsch-polnische Geschichte so eindrücklich wider wie Breslau.


Nach Kriegsende fiel die Stadt schließlich zurück an Polen und wurde in Wroclaw umbenannt. Die vorwiegend deutsche Bevölkerung, die während der Belagerung der Sowjets noch nicht aus der Stadt geflüchtet war, wurde aus Schlesien vertrieben. Viele Juden der Stadt, nach Berlin die zweitgrößte deutsch-jüdische Gemeinde, wurden in den Jahren zuvor zur Vernichtung in die nahen Konzentrationslager transportiert. Polen aus dem rund 1.000 Kilometer entfernten Lwów, Lemberg, wurden nach Wroclaw umgesiedelt, ein Ergebnis der von den Alliierten beschlossenen Westverschiebung Polens. Auch sie waren Vertriebene, Ostpolen wurde der Sowjetunion einverleibt (heute Westukraine). Sie trafen auf eine preußische, eine strenge und fast menschenleere Stadt. Die ostpolnische Bevölkerung, die zu einem Teil ihren orthodoxen Glauben, ihre Kultur und ihre Erinnerungen an ihre verlorene Heimat mitbrachte, nahm Breslau als fremd wahr. Alle Zeugnisse der deutschen Vergangenheit sollten mit ihnen gelöscht werden.

Breslaus Manhattan am Grunwaldzki-Platz  © Foto: Chris Niedenthal

Breslaus Manhattan am Grunwaldzki-Platz – Jadwiga Grabowska in Zusammenarbeit mit Zdzisław Kowalski und Włodzimierz Wasilewski, das wohl radikalste Bauprojekt der Nachkriegsmoderne in Polen, das bis heute kontrovers diskutiert wird. Konzeptueller Rigorismus und skulpturale Fassaden mit vorgefertigten Teilen, durchbrochenen Baukörpern, rhythmischen Mauervorsprüngen, gerundeten Fassaden- schalen und Balkonbrüstungen kennzeichnen das Hochhausprojekt. Der Einfluss der Metabolisten ist am Grundwaldski-Platz manifest. / Foto: © Chris Niedenthal

 

Sämtliche Straßen wurden polnisch umbenannt und Inschriften entfernt – eine Stunde Null in der Geschichte Breslaus. Deutschland wiederum erkannte die neue polnische Westgrenze Polens bis zur Öffnung Polens 1989/90 nicht an, der Verlust Schlesiens saß tief. Erst der deutsch-polnische Freundschaftsvertrag 1991 schuf Klarheit und Sicherheit für die Breslauer Bevölkerung. Bis dahin lebten die Menschen in Wroclaw in einem Provisorium – ganze 45 Jahre lang. Dem architektonischen Schaffen hinter dem Eisernen Vorhang ist bis dato noch viel zu wenig Beachtung beigemessen worden. Mit dieser Ausstellung über Grabowskas Werk wurde der Versuch unternommen, eine wichtige Lücke im Architekturgeschehen des 20. Jahrhunderts zu schließen.

Grabowska mit einen Freund in Trümmern ©Foto: Jadwiga Grabowska,  Courtesy Architekturmuseum Wrocław


Jadwiga Grabowska-Hawrylak mit einem Kollegen in den Trümmern Breslaus / Foto: Jadwiga Grabowska, © Courtesy Architekturmuseum Wrocław 


Während überlegt wurde, wie die Geschichte des Breslauer Bürgertums im Sinne Rudolf Steiners anthroposophischen Leitgedankens als „Camouflage des 19. Jahrhunderts in Architektur übertragen werden könne und kunsthistorisch bedeutende Gebäude wiederaufgebaut, sollten mit dem sozialistischen Realismus moderne Lösungen umgesetzt werden, eine neue Vision der Stadt“, schildert Kurator Michal Duda eingangs in der Ausstellungshalle. Folglich wurde das jahrhundertealte, deutsche Kulturerbe Breslaus im Kommunismus unterdrückt und zudem Wohnraum schnell und überall für die neuen Stadtbewohner aus Lemberg gebraucht. Grabowska arbeitete ab 1951 im Planungskombinat Wroclaws am Wiederaufbau mit. Damals war sie gerade 31 Jahre alt und hatte schnell den Ruf, vor mutigen Maßnahmen nicht zurückzuschrecken, also hartnäckig zu sein. Grabowska zeichnete für „eine Collage mit neuem urbanem Design in Wroclaw verantwortlich – Wohn- und Bürobauten, Wohnsiedlungen, öffentliche Einrichtungen, Schulen und Kirchen, später auch Einkaufszentren“, so Duda. 

Installationsansicht Architekturmuseum Wrocław © Foto: Courtesy Architekturmuseum Wrocław

Foto: © Courtesy Architekturmuseum Wrocław
 

Maisonette-Laubenganghaus in der Kołłataj-Straße ©Foto: Tomasz Olszewski / Courtesy Muzeum Miejskie Wroclawia

Maisonette-Laubenganghaus in der Kołłataj-Straße, 1958 fertig gestellt. Neue Strukturen im Wohnbau nach dem Zweiten Weltkrieg, von Le Corbusier inspiriert. Im Querschnitt: zweigeschossige Wohnungen mit einer Nutzfläche von rund 60 Quadratmetern und offenem Zugang zur Dachterrasse mit Ateliers. Die Wohnungen im Maisonette-Laubenganghaus sind der Nomenklatura vorbehalten. In den 1990ern wird das Gebäude schließlich privatisiert. / Foto: © Tomasz Olszewski, Muzeum Miejskie Wrocławia 

 

MIASTOPROJEKT WROCŁAW

Insgesamt 800 Stadtplaner sind mit dem Miastoprojekt Wroclaw, dem neuen Stadtentwurf, beschäftigt. Moderne Achsen sollten die Stadt durchziehen, und die vorwiegend im Süden zerstörten Stadtgebiete mit gemischten Strukturen neu entwickelt werden. Am neuen Masterplan wurde eilig gearbeitet. Die Gelder für den Wiederaufbau der stark beschädigten Stadt waren knapp bemessen. Die damals blutjunge Architektin wird schnell mit dem Wiederaufbau zweier Bürgerhäuser am Breslauer Ring beauftragt (Rynek-Ratusz). In diese Zeit fällt auch das Maisonette-Laubenganghaus in der Hugo-Kollataj-Straße (1955–1958), das sie gemeinsam mit den Architekten Edmund Frackiewicz, Maria Tawryczewska und Igor Tawryczewski plant. Neu ist seine Struktur mit zweigeschossigen Wohneinheiten.

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Patchwork. Architektura Jadwiga Grabowska-Hawrylak
Kuratoren: Michał Duda, Malgorzata Devosges-Cuber (Ass.)
Architekturmuseum Breslau / Muzeum Architektury we Wrocławiu
Ul. Bernardyn ́ ska 5, 50-156 Wrocław, Polen
www.ma.wroc.pl

Titelbild: Grabowska, die bedeutendste Architektin Polens, hat entscheidend an einer „Collage mit neuem urbanen Design“ nach dem Zweiten Weltkrieg in Breslau mitgewirkt. Die Kulturhauptstadt 2016 widmete Grabowskas Schaffen die erste große umfassende Schau im Architekturmuseum Wrocław. Die Ausstellungsvorbereitungen über vier Jahre gestalteten sich aufwändig. / Foto: Jadwiga Grabowska, © Courtesy Architekturmuseum Wrocław