Bücherspiegel
ADOLF KRISCHANITZ
DAS INVENTAR IST DAS ERGEBNIS DER INVENTUR.
AN INVENTORY OF INVENTION.
Hg. Edelbert Köb
Mit Texten von Sebastian Hackenschmidt, Otto Kapfinger, Marcel Meili und Adolf Krischanitz
Grafik: Schienerl D/AD
Hardcover, zahlreiche Abbildungen, 224 Seiten Englisch/Deutsch
ALBUM-Verlag, Wien, September 2016, EUR 46
ISBN 978-3-85164-196-7
Schon das erste Blättern macht großen Spaß, das Buch sticht mit markantem Titel und einer bemerkenswert großzügigen Typografie sofort ins Auge. Herausgeber Edelbert Köb fasst darin Adolf Krischanitzs „Objekte im Raum“ – Möbel und Leuchten – für öffentliche und private Auftraggeber zusammen: u.a. die Möblierung der Wiener Secession (1985/86), die Schreibstube für Robert Menasse (1995/96), das Swiss Re-Foyer in Rüschlikon (CH, 1998/2000) oder das bunte Hard-edge Ensemble für einen Dachausbau in der Wiener Innenstadt (2016). Sie sind das Ergebnis seiner langjährigen Feldforschung, stets in Zusammenhang mit Architektur. Ausgangspunkt ist die Wiener Moderne – die Sanierung der Wiener Werkbundsiedlung und der Umbau der Wiener Secession in den 1980ern, den Krischanitz gemeinsam mit Otto Kapfinger plante und ausführte. Der damalige Secessionspräsident Köb wollte eine radikal moderne Innenausstattung, zeitlos und zeitgeistig zugleich.
Werkbund und Secession verfolgten die Idee, verschiedene Disziplinen und gesellschaftliche Bereiche zusammenzuführen. Was sie unterschied, war der Widerspruch zwischen einer gesteigerten, typisierten Produktion und dem uneingeschränkten Postulat künstlerischer Freiheit, das Krischanitz als langjähriges Mitglied der Künstlergruppe Missing Link wohlvertraut ist, vielmehr sein Ausgangspunkt. Gibt es noch so etwas wie einen Wiener Stil, fragte er damals nach seinen Recherchen über spezifische Wiener Handwerkstraditionen und Entwürfen für die Secession in der Ausstellung Wiener Möbel, 1989. Genau das interessierte ein internationales Publikum, die Schau wurde vom Pariser Centre Pompidou und Museum of Craft and Design in Helsinki übernommen.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch biografische Erfahrungen Gewicht für seine Ideen und Entwürfe haben. Im Gespräch mit Marcel Meili lässt Krischanitz diesen Punkt jedenfalls offen. Seine Antwort: wahrscheinlich durchaus maßgeblich! Ein empfehlenswertes Buch.
Von Doris Lippitsch
EIN IGLU AUF DEM MOND
ABENTEUER ARCHITEKTUR
Autor: David Jenkins, Illustrationen: Adrian Buckley, Grafik: Jean-Michel Dentand,
25,5 × 25,5 cm, 132 Seiten, 56 Farbtafeln Circa Press 2015, EUR 18,95
ISBN 978-0-9930721-1-7
Den Kauf von Kinder- und Jugendbüchern sollte man sich gut überlegen, denn es könnte sein, dass man es sehr oft wieder und wieder vorliest. Dabei gibt es dann kein Abkürzen im Text und auch kein schnelles Überblättern von Seiten. Es wäre also gut, es auch selbst zu mögen. Wenn Kinder und Jugendliche selber lesen, ist man froh, wenn der Lesestoff passt.
Mit diesem Buch wird man Nutznießer der Berufung von David Jenkins, seine Faszination für die Baukunst an die nächste Generation – im konkreten Fall seine Tochter – weiterzugeben. Das Besondere an seinem Werk ist die Strukturierung: Statt verschiedene Architekturstile zu gruppieren, oder sich chronologisch an der Geschichte abzuarbeiten, hat der Autor entschieden, grundlegende Themen zu verfolgen – um so zu vermitteln, wie die ersten Häuser entstanden, wann und warum man Bauten unter der Erde errichtet, welchen Einfluss das Wetter darauf nimmt, warum manche Gebäude hoch sind etc., bis hin zu zukünftigen Möglichkeiten. So führt das Kapitel „Wind und Wetter trotzen“ vom griechischen und römischen Impluvium über japanische Raumteiler zu persischen Windfängern, zur Veranda, zur Brisesoleil, zu einem neuen Sonnendach in Mekka und zur Feuerstelle im Haus und der Bedeutung, die diese im letzten Jahrhundert auch für Frank Lloyd Wright hatte. In jedem Abschnitt findet man bekannte Beispiele, aber auch für Fachkundige durchaus exotische und neue – immer aber qualitativ hochwertige – und zufällig auch solche, die mich besonders ansprechen.
Neben den knackigen Texten laden die Illustrationen zu Entdeckungsreisen ein: Die collagenhafte Zusammensetzung der Bilder verdichtet nicht nur die Stimmung und die Umstände des historischen Kontexts der Architektur, auch die Details laden dazu ein, weiterführende Geschichten zu erfinden, aber auch den Kindern und den Jugendlichen die Details zu erläutern oder selbst zu recherchieren.
Eine Altersempfehlung gibt es vom Verlag nicht – je nach Wunsch nach gemeinsamen oder eigenständigen Entdeckungen würde ich dieses Buch Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 14 Jahren empfehlen.
Von David Pašek
KIERON CONNOLLY
ABANDONED PLACES
297 x 227 mm, 224 Seiten
150 Farbfotografien, Englisch Hardcover mit Schutzumschlag
August 2016 Amber Books Ltd, London, EUR 20,34
ISBN 978-1-78274-394-1
Halb begrabene Dampfzüge in der Wüste, in den Bäumen verstrickte Achterbahnen, Schiffwracks im Sand, meilenweit vom Wasser entfernt – Menschen sucht man hier vergebens. Was ist hier wohl geschehen? Von vergessenen Bahnhöfen zu überfluteten Einkaufszentren, von geheimen Bunkern aus dem Kalten Krieg bis hin zu radioaktiv verseuchten Gebieten, zeigt der Bildband Abandoned Places (dt. Verlassene Orte) über hundert faszinierende verlorene Welten auf dem ganzen Globus.
Kieron Connolly erzählt die Geschichten, die hinter den Ruinen von Industriestandorten und Militärbasen, Geisterstädten, Ferienanlagen und Flughäfen stehen, warum jeder der gezeigten Orte aufgegeben wurde – sei es durch natürliche oder chemische Katastrophen, Krieg, wirtschaftlichen Zusammenbruch oder wechselnde Stile und Gewohnheiten.
Da ist zum Beispiel der Panzerfriedhof in Afghanistan, ein Vergnügungspark in China, ein von einem blutroten See überflutetes Dorf, da sind die Beelitz Heilstätten in Brandenburg, ist eine kalifornische Geisterstadt, ein japanisches Kohlebergwerk im Meer oder ein Eisenbahnfriedhof in Bolivien.
Connolly zeigt skurrile, faszinierende und zu gleich erschreckende Bilder, wie die Maunsell Seefestungen. Eine Gruppe künstlicher Plattformen und befestigter Türme, die im Zweiten Weltkrieg vom britischen Militär vor der englischen Ostküste in der Flussmündung der Themse errichtet und nie demontiert wurden, oder die gigantische russische Diamantenmiene im russischen Mirny, deren mehr als 500 Meter tiefer Krater eine Wunde in die Erdkruste schneidet – oder das 1944 durch die SS dem Erdboden gleichgemachte französische Dorf Oradoursur Glane. Alle 642 Dorfbewohner wurden am 10. Juni 1944 von der SS massakriert. Dieser Ort ist heute Mahnmal und Gedenkstätte.
Die Bilder zeigen nicht nur das, was für immer verloren ist. Diese verfallenen Strukturen zeigen eine gewisse Schönheit des Verfalls und führen uns vor allem die Vergänglichkeit menschlichen Schaffens eindrücklich vor Augen.
Von Jennifer Lynn Karsten