Jeunesse dorée oder Der talentierte Mr. Dierks

Vor genau 90 Jahren errichtete der amerikanische Architekt Barry Dierks auf einem einsamen Felsen an der Côte d'Azur ein Haus für sich selbst. Die Leute hielten das Grundstück aufgrund des unwegsamen Geländes für unbebaubar. Für Dierks hingegen war der Ort ideal, denn hier konnte er ungestört von der Welt das Leben leben, das er sich wünschte. Nur die Sonne war Zeuge.

Von Uwe Bresan

Miramar – Meeresblick – heißt der kleine Küstenort westlich von Cannes an der Côte d'Azur. Von der Croisette über die Corniche d'Or dauert die Fahrt hierher weniger als eine halbe Stunde. Rechts der legendären Küstenstraße ragen die bizarren, roten Felsformationen des Esterel-Massivs, dem die kurvenreiche Passage um 1900 mühevoll abgerungen wurde, in die Höhe, während links das steinige Terrain steil zum Mittelmeer hin abfällt. In Miramar führt die Corniche in einer lang gestreckten Kurve um den Gipfel des Col de l’Esquillon herum, dessen zerklüftete Ausläufer unterhalb der Straße als Pointe de l’Esquillon aus dem Meer ragen. Es ist vielleicht der spektakulärste Abschnitt der Straße, denn das Gelände stürzt hier so schroff zum Meer hin ab, dass es aus dem Auto heraus so scheint, als könnte man schon beim kleinsten Fahrfehler über die niedrige Seitenmauer hinweg direkt ins Meer hinab stürzen. Und genau hier versteckt sich – auf einem schmalen Streifen steinigen Landes unterhalb der Straße – eines der bemerkenswertesten Häuser der Côte d'Azur. Gebaut hat es der amerikanische Architekt Barry Dierks im Jahr 1926 für sich selbst.

Le Trident - Ansicht mit Strasse 1926 © Historische Aufnahme: aus dem Gästebuch von Le Trident

Le Trident, das Haus, das sich Dierks und Sawyers 1926 errichteten, liegt am Fuße des Col de l’Esquillon, dessen zerklüftete Ausläufer unterhalb der Corniche d’Or als Pointe de l’Esquillon aus dem Meer herausragen. Das schwer zugängliche Grundstück galt unter den Einheimischen als unbebaubar. / Historische Aufnahmen: aus dem Gästebuch von Le Trident 

 

Es war sein erstes Haus und der Beginn einer glänzenden Karriere als Architekt der Schönen und Reichen. Mehr als 100 zum Teil äußerst imposanter Villen und Landhäuser entlang der französischen Riviera können wir heute dem Amerikaner zuordnen. Das vergleichsweise kleine Haus in Miramar, das er mit 26 Jahren baute, gilt jedoch – auch aufgrund seiner spektakulären Lage – seit jeher als Dierks geniales Hauptwerk.    

DIERKS GENIALES FRÜH- UND HAUPTWERK

Aus dem Städtchen Miramar, das sich westlich des Col de l’Esquillon erstreckt, führt ein schmaler Schotterweg, der parallel zur Corniche d'Or verläuft, zum Haus. Ein unauffälliges Eisentor markiert am Ende des Weges den Zugang. Von hier winden sich fast drei Dutzend Stufen den steilen Abhang hinunter. Sie führen auf einen kleinen Vorplatz, von dem aus das Haus betreten wird. Die schwere, hölzerne Tür ist von einem fein profilierten Sandsteinportal gerahmt. In den mittig über der Tür vortretenden Schlussstein ist die filigrane Zeichnung eines Dreizacks eingemeißelt, der dem Haus seinen Namen gibt: Le Trident. Die drei scharfkantigen Felseninseln des Pointe de l’Esquillon, die unterhalb des Hauses ins Meer ragen, sollen Dierks zu der Namenswahl inspiriert haben. Betreten wird das Haus im ersten Obergeschoss.

Le Trident - Portal mit Vorplatz ©Foto: Uwe Ditz, Architektur: 4a Architekten

Drei Dutzend Stufen winden sich den steilen Abhang hinunter. Sie führen auf einen kleinen Vorplatz, von dem aus das Haus betreten wird. Ein fein profiliertes Sandsteinportal rahmt die Tür. Der Schlussstein zeigt noch heute die filigrane Zeichnung eines Dreizacks, der dem Haus seinen Namen gibt: Le Trident. Die drei scharfkantigen Felseninseln des Pointe de l’Esquillon, die unterhalb des Hauses ins Meer ragen, sollen Dierks und Sawyer zu der Namenswahl inspiriert haben. / Foto: © Uwe Ditz, Architektur: © 4a Architekten 

 

Wie seiner Entstehungszeit werden von einem schmalen Gang aus mehrere Schlafzimmer und Bäder erschlossen, während die offene Treppenhalle, die von einem filigranen Sterngewölbe überspannt wird, in die Hauptwohnräume im Erdgeschoss führt. Linkerhand lagen früher die Bibliothek, das Speisezimmer sowie Dierks Arbeitszimmer, während sich rechterhand des Treppenabgangs der Salon befand. Noch heute wird der Raum von einem großen Kamin aus grauem Sandstein beherrscht. Zwischen den Salon und die übrigen Wohnräume des Erdgeschosses legte Dierks eine tiefe und von einem einfachen Kreuzgewölbe überspannte Loggia an, die über drei schmale Fenstertüren aus der Treppenvorhalle heraus betreten wird. Zur anschließenden großen Terrasse trennte der Architekt den Freisitz durch zwei dünne Säulen ab, die den offenen Außenraum noch heute in ein intimes Séparée verwandeln. Einen Pool gab es früher nicht, nur ein kleines, flaches Wasserbecken am Rand der großen Terrasse. Zum Baden musste man über einen schmalen, steinigen und nur notdürftig mit einigen Stufen befestigten Weg zum Meer hinab steigen, wo zwei natürliche Felsbecken zwischen den scharfkantigen Klippen als leidlich komfortable Badeorte dienten. Ein zweiter, nicht weniger beschwerlicher Abstieg führt auch heute noch an einen kleinen Sandstrand in einer benachbarten Bucht.

LE TRIDENT,EIN SORGENFREIES LEBEN

Warum sich Dierks ausgerechnet jenes felsige und nur schwer zugängliche Terrain am Pointe de l’Esquillon, das bei den Einheimischen als unbebaubar galt, für den Bau seines Hauses aussuchte, dafür gab es vor allem einen Grund – und der hieß Eric Sawyer. Er war zehn Jahre älter als Dierks und kam aus England. Beide hatten sich zu Beginn der 1920er in Paris kennen und lieben gelernt. Und auch wenn der Umgang der französischen Gesellschaft mit dem Thema Homosexualität zwischen den Weltkriegen recht liberal war, so wussten Dierks und Sawyer doch stets um ihre bedrohte Außenseiterrolle und die strikte Notwendigkeit, sich vor Anfeindungen und Denunziationen zu schützen. Das einsame, nur von der Meerseite aus einsehbare Grundstück unterhalb der Corniched’Or war deshalb ideal. Hier konnten Dierks und Sawyer unauffällig und ungestört das Leben leben, das sie sich gemeinsam wünschten – offen, unbeschwert und mit zahlreichen Freunden und Gleichgesinnten.

Portrait Dierks & Sawyer - 1938 © Historische Aufnahme: aus dem Gästebuch von Le Trident

1921 lernten sich Barry Dierks (links) und der zehn Jahre ältere Eric Sawyer (rechts) in Paris ken- nen. Bis zu Dierks Tod 1960 blieben sie ein Paar. Eine Fotoserie von 1938 zeigt sie auf dem Dach ihres gemeinsamen Hauses an der Côte d’Azur. Dierks war der gefeierte Architekt, Sawyer sein Manager. 

 

Das Gästebuch ihres Hauses, das sich bis heute erhalten hat, erlaubt einen kleinen Einblick in das sorgenfreie Leben in Le Trident. Dierks und Sawyer liebten es, ihre Besucher zu fotografieren und diese Bilder den Einträgen im Gästebuch zuzuordnen. Neben Familienmitgliedern – vor allem Sawyers Mutter – und einer Reihe von Dierks Auftraggebern zeigen viele der Fotografien einzelne Männer oder kleinere Männergruppen, die oft nur mit Badehosen bekleidet auf der Terrasse oder auf den Felsen unterhalb des Hauses posieren. Die karge Umgebung, das Meer als Hintergrund und die bewusst gewählten Posen erinnern mitunter an die antikisierenden, homoerotischen Akte, die den deutschen Fotografen Wilhelm von Gloeden Ende des 19. Jahrhunderts berühmt machten. Zugleich sind dieseBilder ein Hinweis darauf, dass das Paar an der Côte d'Azur das abgelegene Küstenhaus gern für diesen Freundeskreis öffnete.

DIE SALONS AN DER CROISETTEDIERKS UND SAWYERS ZWEITES ZUHAUSE

Zuhause fühlten sich Dierks und Sawyer in den 1920er-und 1930ern aber nicht nur in ihrem privaten Refugium am Pointe de l’Esquillon, sondern auch in den feinen Bars, Restaurants und Hotels an der Croisette in Cannes. Es waren hauptsächlich Amerikaner und Briten, die damals die Côte d'Azur bevölkerten. Viele der Männer hatten nur wenige Jahre vorher im Ersten Weltkrieg in Frankreich gekämpft, sich in das Land verliebt und kamen nun mit ihren Familien und Freunden zurück – manche nur für ein paar Wochen im Jahr, manche – wie Dierks und Sawyer – blieben für immer. Sie hauchten der französischen Riviera nach dem Krieg neues Leben ein.


Sie brachten den Jazz mit, die schnellen Sportwagen und die kurzen Sommerkleider – kurz: Sie brachten ein neues, modernes Lebensgefühl an das Mittelmeer. Wo früher der europäische Hochadel in den Sommermonaten unter sich war, feierte nun die Jeunesse dorée des amerikanischen Wirtschaftsbooms der 1920er ihr Stelldichein – junge Künstler und Intellektuelle, mondäne Abenteurer und Jetsetter.


Die Côte d'Azur war dankbar für diese neue Klientel – zumal seit der Oktoberrevolution von 1918 auch die zahlungskräftige russische Oberschicht, die vor dem Ersten Weltkrieg noch wesentlich das Gesicht der Riviera prägte, ausblieb.

Lesen Sie mehr in der Printausgabe ...

Titelbild: Foto: © Uwe Ditz, Architektur: © 4a Architekten