Tram 83

„Ich bin ein Sprach-Mechaniker“

Eine heruntergekommene afrikanische Großstadt, das pulsierende Zentrum ein einziger Nachtclub: Tram 83. Alle treffen dort aufeinander. Fiston Mwanza Mujila erzählt deren Geschichte mit einem „Drive, der an die Musik von John Coltrane erinnert“. Der international gefeierte Debütroman Tram 83 ist „eine der aufregendsten Entdeckungen der Saison“, titelte Le Monde. Der kongolesische Schriftsteller lebt als Stadt-Schreiber in Graz. Hierzulande noch wenig bekannt, gab er QUER vor Erscheinen der deutschen Ausgabe sein erstes Interview.

Nana N. Aiassi: Warum der Titel Tram 83?

Fiston Mwanza Mujila: Es gibt Worte, die in allen Sprachen überleben und funktionieren. Tram ist so ein Wort. Dieser Titel wurde in allen Übersetzungen beibehalten. Manchmal werde ich gefragt, warum ich als afrikanischer Schriftsteller auf Französisch und nun auch auf Deutsch schreibe! Man kann jede Sprache verwenden, in der man sich zuhause fühlt. Sprachen gehören den Menschen. Um in einer Sprache zu schreiben, muss man in dieser Sprache leben, wie ein Fisch im Wasser.
Ich mag das Wort pendeln. Es hat nichts zu tun mit Migration, das sehr negativ konnotiert ist. Wenn jemand pendelt, entscheidet er selbst. Wenn ich zwischen mehreren Ländern pendle, gibt es alte Erinnerungen an mein altes Land und neue Erinnerungen an mein neues Land. Wie kann ich dazwischen eine Brücke bauen? Die Verbindung zwischen den Erinnerungen ist die Sprache! Es gibt keine Regeln für Integration. Integration ist eine sehr persönliche Sache. Man kann alles lernen. Das ist das Wichtigste, das sollte man wissen.

Du zerlegst Sprache wie ein kongolesischer Handwerker, demolierst sie, um sie dann wieder zusammenzusetzen und zu reparieren. Wie funktioniert das konkret?

Bei uns im Kongo funktioniert das so: Man kann an der Universität in Kinshasa lernen oder auf der Straße. Wenn Du an der Universität lernst, ist das Theorie, die Praxis kommt dann später. Die Leute auf der Straße lernen, um damit ihr Auskommen zu finden. Wenn du Mechaniker bist und nicht gut, hast du kein Geld und somit kein Abendessen. Das heißt, du musst andere Lösungen finden. Im Kongo wird nichts weggeworfen, weil es zu wenig von allem gibt. Aber: Alles ist reparierbar, alles ist möglich.
Ich sehe mich als Sprach-Mechaniker, ich kann mit Sprache alles machen! Ich spreche nicht perfekt Deutsch, aber ich habe begonnen auf Deutsch zu schreiben, weil ich glaube, dass man seine Welt auch mit wenigen Worten beschreiben kann.

Du sagst, im Kongo passiert alles so, als ob die Welt in 48 Stunden enden könne. In Europa konsumieren wir so, als wäre alles endlos verfügbar …

Im Kongo haben die Menschen das Gefühl, dass alles in zwei Stunden zu Ende sein kann, aber sie versuchen dennoch, fröhlich zu sein. Wenn man genug hat, ist das auch wirklich genug, man braucht nicht noch mehr. Das ist sehr afrikanisch: Man hat genug und ist zufrieden. Man hat auch mehr Zeit, weil man arbeitet, um genug, aber nicht, um noch mehr zu haben. Das Wort Bank ist ein sehr europäisches Wort. In Europa haben die Menschen alles, sind aber nicht zufrieden.

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Vita:

Fiston Mwanza Mujila wurde 1981 in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo geboren. Nach Stationen in Belgien und Deutschland wurde er 2009/2010 Grazer Stadtschreiber und hat unter anderem ein Literaturprojekt im Gefängnis Karlau geleitet: „Nach dem Sturm“ ist 2010 bei Leykam erschienen. Mujila schreibt Lyrik – wie die Sammlung „Der Fluß im Bauch“ – Prosa und Theaterstücke und unterrichtet afrikanische Literatur an der Universität Graz. „Tram 83“ ist sein erster Roman (Zsolnay), Mujila wurde im März 2016 mit dem Etisalat Prize 2015, dem ersten panafrikanischen Literaturpreis, ausgezeichnet und für den Man Booker Prize nominiert. Fiston Mwanza Mujila lebt in Graz, Österreich.