Mensch und Algorithmus
Le Corbusier war ein Gigant. 1887 in die bahnbrechende Epoche der industriellen Revolution geboren, prägte und gestaltete er die Entwicklung der modernen Architektur wie kaum ein anderer. Von Ölbild, Skulptur bis zum Möbel, von der winzigen Ferienhütte Le Cabanon bis zur indischen Provinzhauptstadt Chandigarh, die zum Symbol einer neuen, unabhängigen Ära werden sollte: Das Werk von Corbusier umfasst Malerei, Design und Architektur in allen erdenklichen Maßstäben und polarisiert wie kaum ein anderes.
Von Isabella Marboe
Er starb am 27. August 1965 in Roquebrune-Cap-Martin, mitten im Meer, an einem Herzschlag, unweit von seinem Cabanon. Den 50. Jahrestag seines Todes beging das Centre Pompidou, gemeinsam mit der Fondation Le Corbusier in Paris mit einer Ausstellung, zu der die Kuratoren Olivier Cinqualbre und Frédéric Migayrou ein ausgezeichnetes Buch herausgaben. „Le Corbusier – Die menschlichen Maße“ untersucht die Rolle des menschlichen Maßstabs in seinem Werk aus unterschiedlichen Gesichtspunkten. Der höchst inspirierende, umfassende Band bringt es mit Bibliografie auf 256 Seiten und mehr als 600 Abbildungen, Fotografien und Skizzen. Er zeigt, wie stark Le Corbusier in all seinen Arbeiten und Werkphasen den Menschen als Körper und Geist – mit allen Muskeln, Sinnen, Wahrnehmungs- und Bewegungsmöglichkeiten – in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellte.
Von seinen Eltern bekam der Sohn von Georges-Édouard Jeanneret-Gris, einem Emaillierer von Uhrengehäusen, der auch ein begeisterter Bergsteiger war und der Musikerin Marie-Charlotte-Amelie die Liebe zu Sport, Kunst und Handwerk mit. An der École d'Art in La Chaux-de-Fonds schloss er seine Lehre zum Graveur und Ziseleur ab, 1907 bereiste er mit dem Bildhauer Léon Perrin die klassischen Kunststätten in Norditalien, besuchte die Kartause von Ema in Galluzzo und Wien, wo er Josef Hoffmann und Adolf Loos begegnete, 1908 zog er nach Paris. „Die Studentenzimmer in Paris sind nicht gerade Salons, sondern drei auf vier Meter. Ein Tisch von fünfzig mal sechzig Zentimeter und ein paar Stühle, (...), der Koffer dient als Sofa, die Dusche baumelt herab, abblätternde Tapeten mit Kleidern, die an Nägeln hängen. So sieht eine Studentenbude aus, und wenn all meine Möbel darin stehen, (...) muss ich, um hinauszugehen oder ins Bett zu steigen, mit zusammengepressten Füßen einen Bocksprung machen oder über das Holzgestell des Bettes, über den Sessel, den Tisch und die Stühle klettern“, so schilderte Charles-Édouard Jeanneret am 29. September 1908 den Eltern in einem Brief seine Unterkunft. Am 26. Oktober schreibt er: „Ich habe mir um 35 Francs einen Casier (Anm. Regal, Ablagefach) aus Tannenholz gebaut und im Hinblick auf alle Objekte meines Haushalts extrem praktisch aufgebaut. In diesem Wundermöbel kommen alle meine Bücher unter, und zwar in einer praktischen Ordnung, es ist verziert, verfügt über Fächer für Fotos, ein Küchenfach mit einer Schiebeplatte, die als kleiner Speisetisch dient; es gibt ein Versteck für Garn, Tücher und Staublappen, ein Fach für Lampe, Petroleum, Spiritus usw. - sehr praktisch.“ Der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft für funktionale Möbel ...
Lesen Sie den gesamten Artikel in der Printausgabe