Karbon und Fasern

Traditionelle Bauweisen werden mit Qualität gleichgesetzt, und einmal eingeführte, bewährte Bauprozesse sind schwer veränderbar. Das Bauwesen neigt dazu, Erneuerungen beharrlich gegenüberzustehen. Nun macht ein neuer Baustoff in der Architektur von sich reden: Kohlenstoffverstärkter Kunststoff, kurz Karbon genannt. Er wird seit rund 40 Jahren in der Flugzeug-, Boots- und Automobilindustrie verwendet und wird nun langsam in der Architektur entdeckt.

Von David Pašek

Es gibt verschiedene Gründe, warum bewährte Bauprozesse nur schwer veränderbar sind, es liegt aber bestimmt nicht an mangelnden Ideen oder am kreativen Potenzial in der Architektenschaft. Kaum eröffnet sich ein Möglichkeitsfenster, wird dieses theoretisch und zumindest experimentell ausgelotet. Manche Architekten beschäftigen sich mit Habitaten für extreme Bedingungen, wie z.B. den Weltraum, andere loten physikalische Grenzen von neuen Materialien aus oder forschen an neuen Recycling-Technologien. Solche Materialien haben sich meist schon in anderen Anwendungsbereichen bewährt, insbesondere in der ersten Testphase, bevor sich ein gängiger Kanon herausbilden kann. Diese Phase ist besonders spannend.

Karbon Faser 2 ©FACC

Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff, umgangssprachlich auch Karbon genannt, wird seit Jahrzehnten für die serielle Produktion von Flugzeugen, Autos und im Bootsbau verwendet. Die erste Chevrolet Corvette wurde von General Motors bereits 1953 mit einer GFK-Karosserie aus Glasfasern produziert, aber erst jetzt wird Karbon in Großserie wie für den BMW i3 verwendet. Premium-Sportgeräte, wie Fahrräder, Tennisschläger oder Angelruten bestehen heute vielfach aus Karbon. Vor allem Rennradfahrer öffnen ihre Geldtasche weit, um mit jedem Gramm zu geizen und es gibt kaum einen Bauteil für die Rennmaschine, der mit Karbon nicht große Gewichtsvorteile hätte – vom Laufrad über den Rahmen bis hin zum Flaschenhalter. Genau diese Vorteile haben auch dort Wirkung, wo Leichtbau im Fahrzeugbau entweder Energie sparen kann oder Leistungen maximieren soll.
Dieser Baustoff regt Träume und Fantasie gleichermaßen an, denn er verbindet Leichtigkeit mit sehr hoher Festigkeit in definierten Lastfällen. Dennoch hat die Verarbeitung auch Tücken und erfordert besondere Fähigkeiten. Wissen, Erfahrung und präzise Planung sind Voraussetzung für die Produktion tragfähiger Teile. Hergestellt wird die Karbonfaser aus Erdöl. Noch ist ihr Recycling problematisch, entsorgt wird meist thermisch. Erste Ansätze, die Fasern zu recyceln und nur das verbindende Harz abzubrennen, werden schon in der Automobilindustrie getestet.

Größere Karbonelemente werden manuell in Kleinserie produziert. Weltweit wird aktuell enorm in die Entwicklung der Verfahren und Produktionsstandorte investiert. Ein Vorreiter auf dem Gebiet ist das österreichische Unternehmen FACC mit Sitz in Ried im Innkreis. FACC ist ein Konzern mit einem weltweiten Vertriebsnetz, das Flugzeugherstellern, Boeing wie Airbus, die meist feinen und komplizierten Karbonteile liefert. Aktuell geht die Landeklappe des Airbus A 321 neu in Produktion. Die Teile der neuen Generation werden in einer hochautomatisierten Composit-Fertigungsstraße produziert – ein Novum, denn meist sind Karbonproduktionsstätten Manufakturen. Konstantin Horejsi, Programmkoordinator der FACC-Forschungsabteilung, weist darauf hin, dass es mit dem Ersatz von anderen Materialien durch Karbon nicht getan ist, und dass erst die Fähigkeit und das Wissen der Ingenieure die Gewichtseinsparung bei passender Festigkeit bringen kann. Bei den konkurrierenden Kunden ist es für das Zulieferunternehmen FACC wichtig, sicherzustellen, dass das Know-how der Hersteller nicht preisgegeben wird. Das österreichische Hightech-Unternehmen lebt dabei von seinem guten Ruf, d.h. laufenden Kontrollen und Überprüfungen sowie von vollständig getrennten Abteilungen, die für die einzelnen Flugzeughersteller tätig sind. Karbonteile werden bei neu entwickelten Flugzeugtypen konsequent eingesetzt. Der gesamte Flügel der neuen Boeing 787 „Dreamliner“ besteht mit einer Spannweite von 60 Metern aus Karbon. Der momentan größte Autoklav bei FACC, den man sich wie einen Druckkochtopf vorstellen kann und in dem Karbon „gebacken“ wird, erlaubt Bauteile bis zu 4,5 Meter Durchmesser und 14 Metern Länge. FACC-Programmkoordinator Horejsi sieht großes Entwicklungspotenzial in der hohen Temperaturbeständigkeit von Karbon, beobachtet aber auch seine Möglichkeiten im 3D-Drucken. Derzeit klassifiziert er 3D-Druck noch als „Spielzeug“, ist sich aber der rasanten Entwicklungen und Möglichkeiten mit dem noch jungen Verfahren bewusst. Denn gerade der 3D-Druck von beispielsweise Titan macht das Metall als Alternative zu dem Kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff wieder interessanter.

Karbon Faser 1 ©ICD-ITKE

Karbon in der Architektur

Auch in der Architektur liegen die großen Vorteile bei einem Einsatz von Karbon in der Einsparung von Gewicht, beispielsweise bei auskragenden Bauteilen. Dadurch können sie sehr viel leichter werden und gleichzeitig auch selbsttragend sein. Genau dies konnte der New Yorker Architekt Ali Tayar bei einem Haus in der Nähe von Bern testen: Ein großer, dunkelblauer Quader ruht lediglich auf zwei polierten Stahlstützen.
In Katar, wo unverändert sehr ehrgeizige Projekte mit hohen Budgets umgesetzt werden, kommen Bauteile aus Karbon immer öfter zum Einsatz ...

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