Häuser für Unbehauste

Zeltstädte, Containerdörfer, Kasernen, Turn- und Lagerhallen, Theater, leerstehende Supermärkte, Schwimmbäder und Flughäfen – Räume ohne Privatsphäre als erste Aufnahmestellen für die vielen Flüchtlinge in Österreich und Deutschland. Der Wunsch nach einem besseren Leben und neuen Zuhause in einer fremden Welt ist groß und wird wohl den meisten nicht so schnell erfüllt werden können.

Von Jennifer Lynn Erdelmeier

Von der Erstregistrierung, über die Notunterkunft bis hin zum Flüchtlingsheim passiert der Asylbewerber eine Vielzahl an Gebäuden und Räumen, ein neues zu Hause findet er dort sicher noch lange nicht. Ein langer und gefahrenvoller Weg liegt hinter ihm auf der Reise ins Unbekannte.
Gerade in den wärmeren Erdregionen sind seit Monaten Millionen Menschen auf der Flucht. Die unbehausten Wanderer und Noch-nicht-Angekommenen brauchen auf ihrem Weg Schutz vor Sonne, Wind und Kälte. Die jordanisch-kanadische Architektin Abeer Seikaly hat für das elementare Bedürfnis nach Schutz und Rückzug ein Zelt entwickelt. Dort, wo normaler Weise Zweckmäßigkeit im Vordergrund steht und von Schönheit keine Rede ist, hat sie es geschafft, Eleganz und Nutzen auf eine schon fast poetische Art miteinander zu verweben. Das preisgekrönte Projekt „Weaving a Home“ (dt. ein zu Hause weben) versucht, die traditionelle Zeltarchitektur für die Migrationsbewegungen der Gegenwart nutzbar zu machen.
Seikaly verwandelt robuste Stoffbahnen mit Hilfe einer speziellen Perforationstechnik in dreidimensionale Schutzgehäuse, die sich einzeln oder gruppiert zu kleinen Dörfern – zu Gemeinschaften – aufstellen lassen. Die Zelte sind leicht, tragbar und mobil. Die äußere Hülle absorbiert Sonnenenergie, die in Elektrizität umgewandelt wird, die innere Hülle formt unzählige Taschen, die als Stauraum dienen. Auf der Spitze des Zeltes befindet sich ein Wasserspeicher.
„Hier finden Flüchtlinge Raum, um von ihrer turbulenten Welt abzuschalten und Platz, ihr neues Leben zu weben“, so Architektin Seikaly. „Sie weben ihren Zufluchtsort in ein Zuhause.“ Flüchtlinge, die in Europa ankommen, haben es lediglich über die Grenze geschafft. Sie sind erst am Anfang eines langen bürokratischen Weges, der sie durch unzählige Räume schleust. Da die räumlichen Kapazitäten der Erstaufnahmeeinrichtungen de facto überall erschöpft sind, werden bestehende Anlagen oft um Zelte oder Container ergänzt. Das Geschäft mit den Containern boomt wie nie zuvor. Die Preise explodieren. Inzwischen kostet der Quadratmeter Container 2400 Eur.

Flüchtlingsthema ©Better Shelter.org

Ein gutes Geschäft

Nach außen sieht das „Better Shelter“ aus wie jeder andere Container in einem Flüchtlingslager. Entwickelt wurde es von der Ikea-Foundation und den Vereinten Nationen. Wie bei Ikea üblich, ist es in braune Kartons verpackt und lässt sich so leicht montieren wie ein Billy-Regal. Ganz ohne Werkzeug kann es in etwa vier Stunden aufgebaut werden. In den 18 Quadratmetern können bis zu fünf Menschen unterkommen. Ein Solarkollektor versorgt mit Elektrizität, die Wandplatten sind mit einem Plastikschaum gepolstert, der für die Wärmedämmung sorgt. Ein Container-Haus kostet 1.085 Eur.

Anschlussunterbringung

Wer einen erfolgreichen Asylantrag vorweisen kann und somit berechtigt ist, eine Wohnung zu beziehen, muss oft in einer sogenannten „Anschlussunterbringung“, die sich im Wesentlichen nicht von dem Erstaufnahmelager unterscheidet, unterkommen. Die verantwortlichen Kommunen greifen angesichts des akuten Drucks notgedrungen zu denselben Mitteln. Und wieder: Container, ausgemusterte Kasernen, leerstehende Lagerflächen. Hier braucht es langfristige Lösungen, denn es geht weniger um ein Flüchtlingsproblem als vielmehr um ein Wohnungsproblem. Die Kommunen müssen Strategien entwickeln, um Wohnraum für Flüchtlinge mit Bleiberecht zu schaffen. Gerade hochverdichtete Ballungszentren und Großstädte brauchen neue architektonische Konzepte, die Raumreserven erschließen, die sozial integrativ, nachhaltig, günstig, stadtverträglich und sogar vielleicht schön sind. Viele Architekten offenbaren in dieser Hinsicht eine praktische Phantasie: Flachdächer, Baulücken, Bahnwaggongs und Parkhäuser könnten zugunsten eines neuen sozialen Wohnungsbaus aktiviert werden. So ist es möglich, dezentral – und eben nicht segregiert –, sozialen Wohnbau in das kleinteilige Gefüge der Stadtzentren zu integrieren.
Es braucht ohnehin Jahre, bis aus einer fremden Welt ein Zuhause wird – Architektur kann den Flüchtlingen helfen, anzukommen, ihr eigenes Umfeld zu gestalten und Kontrolle über ihr Leben zu haben.