These Objects Tell a Story
Was haben ein 1974 vom italienischen Design-Revolutionär Enzo Mari entworfener Stuhl und fünf Flüchtlinge aus Westafrika gemeinsam? Sie wollen nichts weniger als die Welt mit Design und Handwerk verändern. Die Flüchtlinge bauen in Berlin unter der Obhut von „Cucula – Refugees Company for Crafts and Design“ und mit dem Segen von Design-Ikone Mari dessen Selbstbau-Möbel nach. Und machen so den ersten Schritt in ein selbstbestimmtes Leben.
Von Nana N. Aiassi
Fünf Männer, denen die Flucht aus Mali und Niger über das Mittelmeer gelang, bauen Möbel in einer Werkstatt in Berlin-Kreuzberg. So weit ist diese Geschichte noch keine besondere. Sie ist eine Geschichte von vielen über jene, die ihre Heimat wegen Krieg und Hunger, wegen politischer Verfolgung und Unterdrückung, mangels Perspektiven in jeder Hinsicht, verlassen haben. Die den langen Weg von Afrika über das Mittelmeer bis nach Italien, konkret Lampedusa, geschafft haben. Die sich bis nach Deutschland durchgekämpft haben, wo sie bleiben und sich ein neues Leben aufbauen wollen.
Dass diese fünf Männer nun aber, anstatt in Deutschland einfach nur auf ihre Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung zu warten, mit Unterstützung des Vereins Cucula die Initiative ergreifen, lässt aufhorchen – und macht ihre Geschichte zu einer ganz besonderen, zu einer Geschichte, die Mut macht.
Ali Maiga Nouhou, Maiga Chamseddine, Saidou Moussa, Moussa Usuman und Malik Agachi stammen aus Westafrika, aus Mali und Niger. Mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben sie die lebensgefährliche Bootsfahrt über das Mittelmeer gewagt.InDeutschland angekommen, waren sie zum Nichtstun verurteilt: Bis zum Erhalt einer Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung sind sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
Gemeinsam mit dem Verein Cucula haben sie sozusagen den Spieß umgedreht: Mit dem Verkauf der Mari-Möbel finanzieren sie ihre künftigen Ausbildungsstipendien. In der Zwischenzeit hospitieren sie im Bildungsprogramm und lernen für ihre Zukunft. Auf diese Art und Weise schaffen sie sich ihre Lebensgrundlage in Deutschland. So wird Cucula – der Name kommt aus der westafrikanischen Hausa-Sprache und bedeutet „etwas verbinden, etwas gemeinsam machen“ – zu einem innovativen Modellprojekt für die nachhaltige und wirtschaftlich erfolgreiche Integration von Flüchtlingen.
„I want to create models for a different society.“
Enzo Mari
Enzo Mari, der u.a. für Unternehmen wie Artemide, Danese und Olivetti entwarf, hatte 1974 mit seinem Buch „Autoprogettazione“ in der Designwelt einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Es enthält neunzehn Entwürfe für Holztische, -stühle, -regale und -betten – allesamt Objekte, die so simpel gestaltet sind, dass sie auch sehr einfach nachzubauen sind. Mari verstand seine Möbel als radikalen Gegenentwurf zur Exklusivität der von Designern gestalteten oder von Designunternehmen – in großer Stückzahl – produzierten Designobjekte. Vor dem Hintergrund von ungebremstem Wirtschaftswachstum und Konsum erlangte Design, neben seiner funktionalen und ästhetischen Dimension, eine neue, gesellschaftskritische Funktion: Design war Motor für gesellschaftliche Veränderungen und neue Lebensweisen.
Die Möbelkollektion von Cucula umfasst derzeit 12 Objekte vom Sessel "Sedia Uno" über den Kinderstuhl "Bambino" bis zum Schrank "Armadio". Sie wird ständig erweitert und weiterentwickelt. Preise ab 325 Euro. Die Limited Edition des Botschafterstuhls, die Variante von "Sedia Uno" mit einer Holzplanke aus Lampedusa, kostet 500 Euro. Alle Objekte können über das Anfrageformular online unter www.cucula.org bestellt werden.
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Fotos: Corinna Sy, Verena Brüning, Fred Moseley © Cucula Berlin