Dada, Tristan Tzara
Foto: © Man Ray, Tristan Tzara, 1924
Tristan Tzara galt als „skrupelloses Genie“. Sein OEuvre prägte Generationen, bis heute. Hierzulande ist der französische Dichter, Journalist, Kunstsammler, Komponist, Filmemacher und Dada-Mitbegründer noch wenig bekannt. Dada wurde 1916 in Zürich als literarische und künstlerische Bewegung gegen den Krieg und jede Form von Nationalismus und Rationalismus gegründet. Bis Mitte Jänner ist Tristan Tzaras Wirken erstmals eine umfassende Schau im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Straßburg gewidmet.
Von Doris Lippitsch
Zürich. Im Februar 1916 wird das Cabaret Voltaire in der Spiegelgasse N° 1 eröffnet, Dada geht direkt daraus hervor. Was ist Dada? Dada wird in einer chaotischen Zeit geboren. Der Erste Weltkrieg tobt in Europa, das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo liegt eineinhalb Jahre zurück. Dada behauptet sich als Bewegung gegen den Krieg, gegen das Gemetzel, seine Brutalität und Sinnlosigkeit. Und Dada begreift sich als Revolte gegen bürgerliche Kunst und ihre verkrusteten, dekadenten Werte. „Die Kunst ist nicht seriös“, verkündet Tzara, Dada ist gegen jedes Dogma, „ohne Disziplin und Moral“. Dada hält der dekadenten Gesellschaft einen Spiegel vor.
„Es gibt keine Menschlichkeit (ohé), es gibt Straßenlampen und Hunde“
Einige, denen es möglich ist, flüchten in den Kriegsjahren in die Schweiz. In Zürich finden sich einige Künstler ein, darunter das deutsche Künstlerpaar Hugo Ball und die Dichterin und Tänzerin Emmy Hennings, die schon im Cabaret Simplicissimus in München mit „ihrer kleinen Stimme“ sang. Hugo Ball, der Dichter und Philosoph, spielt Klavier wie ein Fleischhauer. Dazu gesellen sich der junge Student und Dada-Sprecher Samuel Rosenstock, schon als Tristan Tzara bekannt, der Straßburger Künstler Jean Arp, und der rumänische Dichter Marcel Janco, der die exzentrisch-kubischen Kostüme für die Aufführungen entwirft. Das Cabaret Voltaire kann beginnen. So geschehen am 5. Februar 1916. Später gesellen sich andere Künstler, wie Francis Picabia, der deutsche Dichter Richard Huelsenbeck, Hans Richter, der seine visionären Porträts gerne auch mal in absoluter Dunkelheit malt, André Breton und der französische Urvater der Konzeptkunst, Marcel Duchamp, hinzu. Das Cabaret Voltaire wird zu einem kulturellen Ort der Begegnung mit Lesungen, Chansons, Tagungen, Konzerten und künstlerischen Ausstellungen.
Foto: © Collection particulière
Dodekaphonie, a cappella
Die Dada-Abende sind schnell sehr belebt, aber für ein wenig vorbereitetes Publikum gewissermaßen irritierend, genau so wie die Gravuren von Picasso, die „Les mots en liberté“ (Die Wörter in Freiheit) von Filippo Tommaso Marinetti und Francesco Cangiullo. Auch das „simultane Gedicht“ von Tzara, Hulesenbeck und Janco a cappella in drei Sprachen vermag es, das Publikum regelrecht zu verstören. Schnell ist der Skandal perfekt. Das Publikum rebelliert, blickt entweder herablassend auf Dada oder applaudiert wie Augusto Giacometti oder Arthur Segal. Nie dagewesene Werke werden in Zürich aufgeführt: rein phonetische Gedichte werden in einem Kostüm aus Karton (Ball), „Neger-Gedichte“ (Tzara) mit abstrakten Masken, Zeichnungen und Gemälden (Janco), oder mit ostentativ symmetrischen Zeichnungen (Arp) vorgetragen, die von sonderbaren Tänzen Mary Wigmans und Sophie Taeubers und aggressiven Ausrufen begleitet werden: „Es gibt keine Menschlichkeit (ohé), es gibt Straßenlampen und Hunde ...“. Inhaltliche Leihgaben sind die Avant-Garde-Bewegungen vor Ausbruch des Krieges, die mit dem Krieg und Dada schnell überholt worden sind: der Kubismus, Futurismus und Expressionismus (letzterer vor allem für die deutschen Dada-Vertreter).
Regardez-moi bien! Schauen Sie mich gut an!
Je suis idiot Ich bin ein Idiot
Je suis un farceur Ich bin ein Schelm
Je suis laid Ich bin hässlich
Je suis petit Ich bin klein
Je suis comme vous tous! Ich bin wie Sie alle!
Tristan Tzara, Cabaret Voltaire, Zürich, 1916
Der Begriff Dada ist kindlich geprägt, die Dadaisten herzen dieses Wort. Es besagt sehr bedacht: nichts. Tzara betont dies in seinem Manifeste de Monsieur Antipyrine (Cabaret Voltaire, Juli 1916), um sich sogleich über ein allseits bekanntes Medikament lustig zu machen. Die Zeit schafft Kopfschmerzen. Dada ist die Konsequenz einer Revolte und Verzweiflung angesichts des Gemetzels im kriegsgeschüttelten Europa. Daher die verbalen Angriffe auf eine Gesellschaft mit ihren grundlegenden Werten, die Sprache und Logik in den Dienst des Konservatismus und einer Moral stellen, die offenkundig versagt hat. Dadas Werkzeuge sind folglich: Spontaneität und Zufall. Die Dadaisten spielen mit phonetischen Assoziationen, mit der Macht des Klanges und werden darüberhinaus durch afrikanische Gesänge und Klänge inspiriert. L’art nègre, heute als Begriff politisch wenig korrekt, ist alles andere als ein Schimpfwort für Dada, ganz im Gegenteil. Rhythmische Klänge und Gesänge aus Ozeanien und Afrika werden in die dadaistischen Darbietungen aufgenommen. Der Klang von Dada ist unkonventionell und witzig, messerscharf und vermag es zugleich, alles und nichts zu sagen.
„Das Wort und das Bild sind eins.“
Hugo Ball, Cabaret Voltaire
Dada ist eine ungestüme künstlerische Bewegung, eine Art Explosion wahrhaftigen Vergnügens mit der Feder oder auf der Bühne, das von verschiedenen Kulturen genährt und bedient wird.
Foto: © Paris, musée du quai Branly
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