Bücherspiegel

Wohnkomplex ©Quer

WOHNKOMPLEX - Warum wir andere Häuser brauchen
Niklas Maak

gebundene Ausgabe mit Illustrationen, 319 Seiten
Carl Hanser Verlag, 2014, München
ISBN 978-3-446-24352-1
EUR 22,60

Wie sehen unsere heutigen Lebensgewohnheiten aus und wie die entsprechenden Lebensräume? Diese zentrale Frage stellt Architekturkritiker und FAZ-Redakteur Niklas Maak und initiiert den Diskurs jenseits der Fachwelt, was Wohnen, Arbeiten und das öffentliche Leben hinsichtlich ökologischer und ökonomischer Zuspitzung, technologischen Neuerungen, aber vor allem veränderten sozialen Konstellationen und Lebensentwürfen bedeuten kann. Maak analyisert und reflektiert in seinem aktuellen Buch, warum unsere Städte verwahrlosen, immer mehr triste, gesichtslose „Copy-Paste“-Siedlungsbauten die Landschaft zersiedeln und formuliert Alternativen, wie zeitgemäßes Wohnen aussehen könnte, das auf die Bedürfnisse der Menschen in unserer individualisierten Gesellschaft reagiert.

„Architektur neu denken“. Der Autor plädiert für die Radikalisierung von Wohnatmosphären, um Fläche, Raum und Kosten einzudämmen, stellt aber auch die Frage, woran es liegt, dass sich so wenig Alternativen gegenüber den gängigen, überholten Standards durchsetzen. Eine breitenwirksame Diskussion darüber, wie gebaut werden soll, existiert nicht. Das Bauen folgt radikal ökonomischen Bedingungen und die Ziele der Baulobby liegen darin, möglichst viel Geld mit billigst gebauten Häusern zu verdienen: Schlüsselfertig lautet die Devise, Alternativen sind unerwünscht. Neue Konzepte, sagt Maak, können nur etwas gegen die Baumisere bewirken, wenn die politischen Bedingungen des Bauens diese zulassen. Maak beweist mit seinem Werk, dass Architekturtheorie und -kritik nicht unweigerlich nur Fachkreisen vorbehalten sein muss und macht diese wichtige Thematik um das Wohnen einem breiten Publikum zugänglich. In amüsanter Sprache, mit viel Witz und Esprit entfaltet er seine klug formulierten Denkansätze und plädiert für neue Konzepte im Wohnbau. Das Buch ist empfehlenswert für alle, die sich fragen, wie sie heute wohnen möchten und ob es andere, bessere Lösungsansätze jenseits von konventionellen Wohnhausriegeln in der Stadt und vermeintlichen Einfamilienhausidyllen im Grünen geben kann. Die Antwort lautet: ja!

Harry Glück ©Quer

Harry Glück
Wohnbauten

Reinhard Seiß (Hg)
Gebundene Ausgabe, 240 Seiten, Deutsch,
Abmessungen: 287mm × 233mm × 27mm,
Dezember 2014 Muery Salzmann Verlag,
Salzburg – Wien – Berlin
ISBN 978-3990140949
EUR 48,00

Rund 18.000 Wohnungen hat Architekt Harry Glück in fünf Jahrzehnten realisiert. Da denkt man vorschnell an Massenquartiere, die den Menschen, der dort leben wird, nicht beherzigen. Doch ganz im Gegenteil: Harry Glücks Wohnkomplexe haben den Menschen stets auch Wohnglück gebracht. Seine Philosophie des „menschengerechten“ Wohnens brachte er vor allem in seinen Terrassenhäusern zum Ausdruck. Alt Erlaa steht beispielgebend für eine hohe Wohnzufriedenheit. Dies liegt an mehreren Faktoren: einer großen Vielfalt an öffentlichen und gemeinschaftlichen Einrichtungen, an privaten und halböffentlichen Grünflächen sowie an einer optimalen Verkehrsanbindung. Der spektakulär schöne Blick über Wien, die Gemeinschaftseinrichtungen für Einkaufen, Sport und Beten, Hobby- und Kinderspielräume und die Dachschwimmbäder machen den Wohnraum dort bis heute zu einem höchst begehrten Wohnort.
Der 90-jährige Glück sieht sich immer in einer sozialen und gesellschaftspolitischen Verantwortung. Daher ist eine Architektur, die soziale Kontakte und Gemeinsamkeit ermöglicht und fördert, für ihn das Gegenmittel zur vielfach beklagten Anonymität großer Wohnanlagen. Und er hat wohl Recht. Studien zufolge ist die Zufriedenheit in Wiens gefördertem Wohnbau seit Jahrzehnten nirgends so groß wie in den Gebäuden von Harry Glück. Diese werden aufgrund ihrer Dauerhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit, der zumeist vollständigen Auslastung und der geringen Mieterfluktuation bei den Wiener Wohnungsbaugesellschaften besonders geschätzt.
Die vorliegende Publikation zeigt aktuelle Fotos von Alt Erlaa, aber auch von den Terrassenhäusern Inzersdorfer Straße und der Verdi-Siedlung. Der Herausgeber und elf weitere Autoren gehen darin Harry Glücks architektonischem Konzept auf den Grund. Alles in die Inhalte zu stecken und wenig in die Form, war einer seiner Leitfäden. Der große Wert seiner Wohnanlagen liegt also in ihrer Qualität als unmittelbares Lebensumfeld. Sie werden dadurch zum zentralen Faktor einer nachhaltigen Stadtentwicklung und sind wegweisend angesichts der fortschreitenden Urbanisierung unserer Welt.

Niemandsräume ©Quer

Niemandsräume - Eine utopische Spurensuche
Marleen Leitner und Michael Schitnig

Format: 25,2 × 18,5 cm, 175 Seiten,
kartoniert, s/w
Verlag der Technischen Universität Graz 2014,
ISBN 978-3-85125-361-0
EUR 18,00

Utopische Aspekte der Architekturtheo­rie als Graphic Novel? Kann so etwas funktionieren oder ist dies nur ein Wunsch­traum von Architekturstudenten? Diese Aufgabe stellten sich Marleen Leitner und Michael Schitnig an der Architekturfakultät der TU Graz als Diplomarbeit und machten es sich damit mit größtem Erfolg besonders schwer – dass sich die Mühe aber gelohnt hat, beweist die vorliegende Publikation.

Die beiden Zeichner und Autoren, die sich neben der Architektur auch intensiv mit der Malerei und Fotografie beschäftigen, zeichneten und schrieben sich selbst zu Protagonisten der Erzählung und nehmen so den Leser auf ihre Zeitreise zu den architektonischen und manchmal auch gesellschaftlichen Utopien aus ganz unterschiedlichen Epochen mit. Im fiktiven Dialog mit den historischen Figuren werden deren Ideen und Beweggründe beleuchtet und auch auf aktuelle Relevanz geprüft. So trifft man auf ganz verschiedene Denker wie Thomas Morus, Le Corbusier, Archigram und Hans Holleins mobiles Büro.

Mit Präzision und Witz entstehen in den Bildserien komplexe Raumkompositionen und ikonische, nicht gebaute Entwürfe können durchwandert werden. Spielerisch werden Perspektiven verschoben und spezifische Aspekte aus dem aktuellen, wie historischen Architekturalltag finden sich am Rande als Detail wieder. Dynamische und stilistisch reduzierte Bewegungsabläufe sind dabei besonders schön.
In der Architekturtheorie ist nicht nur ein Comic ungewöhnlich, sondern auch, dass es sich um ein Novel, also einen Roman handelt. Dies eröffnet Räume für subjektive Beobachtungen und die Auswahl – eine Freiheit, die unsere beiden Reiseführer sehr bewusst genießen und damit in manchen Utopien schwelgen, die manch andere nur kritisch oder offensichtlich genervt streifen.

Diese Publikation macht große Lust darauf, auch komplexe Texte der Architekturtheorie zu lesen. Die beiden Autoren nahmen diesen Prozess und dieses Werk zum Anlass, das Studio Asynchrom zu gründen und weiter an ähnlichen Vorhaben zu arbeiten, die auch in Form von Ausstellungen präsentiert werden.