Senkrechtstarter Südkorea - Newcomer in Architektur

Die Architektur- und Raumproduktion Koreas findet gegenwärtig viel Beachtung. Der Goldene Löwe wurde von der Architekturbiennale Venedig für den besten nationalen Beitrag an den koreanischen Pavillon verliehen. Die Entwicklung der modernen Architektur des Landes ist eng mit seiner bewegten Geschichte verbunden. Vom japanischen Kaiserreich zwischen 1910 und 1945 kolonialisiert und stark geprägt, trennte der Koreakrieg (1950–1953) die Halbinsel in Nord und Süd. Während Südkorea ab Anfang der 1960er Jahre einen radikalen wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr und heute dabei ist, den Veränderungen in der Gesellschaft architektonisch Rechnung zu tragen, ist der Norden unverändert stark von den Nachkriegsperioden geprägt. Ein Lokalaugenschein aus Südkorea.

Von DANIEL GRÜNKRANZ 

Die Kolonialisierung Koreas
Architektur als eigenständige Disziplin erreichte Korea erst nach 1910 mit der Okkupation des Landes durch das Kaiserreich Japan. Ursprünglich beruhten traditionelle koreanische Bauweisen auf modularen Grundrisssystemen sowie auf geomantischen Prinzipien, die sowohl die Lage als auch die Ausrichtung der Gebäude in der Landschaft bestimmten. Variationen von Gebäudetypen, wie etwa das Hanok, das koreanische Wohnhaus, waren jeweils den regional unterschiedlichen klimatischen Bedingungen angepasst, während die Ausführung von Bauwerken mit Materialien wie Stein, Lehm, Holz, Papier und Keramik den Handwerkern und Künstlern oblag.

Japan öffnete sich westlichen Einflüssen ­ge­zwun­ge­ner­ma­ßen  schon in den 1850er Jahren, infolge brachten die japanischen Besatzer eine entsprechend geprägte Architekturauffassung nach Korea. Das erste Studienprogramm für Architektur wurde 1917 an der Keijo (Seoul) Higher Industrial School etabliert. Nur fünf Jahre später wurde die Architectural Association of Joseon gegründet, nach der japanischen Kolonie in Anlehnung an das alte koreanische Königreich benannt. Die neue koreanische Architektur orientierte sich an neohistorisierenden und mehr und mehr auch an funktionalistischen Tendenzen. Die Gouverneursresidenzen, Bank- und Postgebäude, Bahnhöfe und Unternehmenssitze, die im ganzen Land gebaut wurden, bildeten nunmehr die baulichen Symbole und Schaltzentralen der Verwaltungsherrschaft über Korea ...

Dominique Perrault Architecture, Ewha Womans University, Seoul ©Dominique Perrault Architecture, Ewha Womans University, Seoul
Dominique Perrault Architecture, Ewha Womans University, Seoul; Fotos ©Daniel Grünkranz