Mirny - Diamantenhauptstadt Russlands

Jakutien, Ferner Osten – Fotografien aus Sibirien

Von GREGOR SAILER

Mirny, Jakutien, Russland
Diamantenhauptstadt Russlands, Ferner ­Osten, Sibirien. Sämtliche Gebäude auf Pfählen im ­Permafrost errichtet. Stadt am Rande eines ­gigantischen Tagebaulochs (Tiefe: 525 m,
Durchmesser 1,2 km).
Flugverbot über der Mine, da bereits ­Helikopter in die Tiefe gezogen wurden.
Konzern: Alrosa, zweitgrößter Diamantenlieferant der Welt
Einwohner: 45.000
Gründung: 1955 unter Stalin
Position: 62° N, 113° E, am Polarkreis
Temperatur: bis zu -75° C

Mirny. ©Gregor Sailer

Mirny, Diamantenhauptstadt Russlands,
Jakutien, Ferner Osten – Tagebuchauszug

Der siebenstündige Flug mit einer uralten Tupolev von Moskau in die Eishölle Mirnys treibt uns Angstschweiß auf die Stirn. Vor allem da man weiß, dass diese Maschinen so lange in der Luft sind, bis sie sich ihrer selbst entledigen. Kurze Zeit vorher hatte ein Flugzeug dieser Konzern-Airline, der einzigen ­Linie, die Mirny anfliegt, einen totalen Elektronikausfall in der Luft. Die Ausstattung des Flugzeugs sowie auch die Besatzung wirken wie das Setting eines Kubrick-Films aus den 1960-ern. Wir beobachten die flatternden Dichtungen der Bordfenster.

Russen neigen zum extremen Überheizen der Innenräume. +30 C°+ innen, bis zu -50 °C außen. Dazu eine ­laufende Klimaanlage im Vorraum unserer Unterkunft. Verrückt. Diese ständig wechselnden Temperaturen, v.a. in Polarkleidung, belasten den Kreislauf enorm, das technische Equipment ebenfalls. Film zerbröselt ab -50 °C. Wir müssen regelmäßig nach innen zum Auftauen der Technik.

Eine Wild-Ost-Stadt.Die Einheimischen warnen uns vor Besuchen in den Bars, nicht einmal die Toiletten sollte man ohne Begleitung aufsuchen. Es wird geschossen. Die Leute trinken viel. Es gibt einen blühenden Diamanten-Schwarzmarkt.

Dem Konzern gehören die Stadt, die Minen, die Airline, einfach alles. Der FSB ist überall. Wir treffen noch andere Ausländer. Ingenieure. Es gibt Fotos am Flughafen. Von den Menschen, die Mirny nicht verlassen dürfen. Der Luftweg, der einzige Weg raus.

Wodka lockert die Hemmung des jungen Kellners. Er spricht von Atomtests in den Minen unter uns, auch an der Oberfläche. Er spricht von Totgeburten, von missgebildeten Kindern. Uns vergeht der Hunger. Wir wollen hier raus. Wir überlegen, welche Lebensmittel hier wohl am wenigsten lange liegen mögen. Das Wasser in der Dusche ­ist ­dunkelgelb. In dieser Nacht trinken wir viel. Cognac. Armenischen Cognac.

Gregor Sailer
aus der Serie Closed Cities

Fotos: ©Gregor Sailer

Mirny.. ©Gregor Sailer
Gründerzeitwohngebäude