Joseph August Lux, der vergessene Apologet der Modernen Architektur

Als Architekturkritiker und Kunstschriftsteller kämpfte der in Wien geborene Joseph August Lux in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts für eine neue Architektur. Er war überall dort zugegen, wo sich die Moderne Bahn brach: im Umfeld der Wiener Werkstätten, auf der Darmstädter "Mathildenhöhe" und in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden. Dem "Deutschen Werkbund" half er mit seinen Schriften in den Sattel und forderte schon 1909, "das Haus funktioniere maschinenmäßig". Doch trotz seines außerordentlichen Engagements wurde der Österreicher von der Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts vergessen. Erst langsam wird er heute als eine der weitblickendsten und einflussreichsten Figuren der frühen Moderne wiederentdeckt.

Von UWE BRESAN

Der Beitrag Österreichs zur Architektur der Moderne kann kaum überschätzt werden. Architekten wie Otto Wagner (1841–1918), Joseph Maria Olbrich (1867–1908), Adolf Loos (1870–1933) und Josef Hoffmann (1870–1956) gaben um die Wende zum 20. Jahrhundert der Architektur ein völlig neues Gesicht. Sie reagierten damit auf die rasanten technischen Entwicklungen und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen des späten 19. Jahrhunderts, denen sie in ihren Bauten einen sichtbaren Ausdruck verliehen. Ihre Arbeiten wurden in ganz Europa staunend bewundert und gelten heute vielfach als Inkunabeln der Moderne. In die Architekturgeschichte ging diese Epoche eines ersten Aufbruchs und Neuanfangs als "heiliger Frühling" ein – abgeleitet von dem Titel der bekannten, 1898 gegründeten Wiener Kunstzeitschrift "Ver Sacrum". [Kenneth Frampton: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, Stuttgart, 1983] Einen nicht unwesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte der Architekturkritiker und Kunstschriftsteller Joseph August Lux (1871–1947). Er darf geradezu als Apologet von Wiens "heiligem Frühling" gelten, der mit seinen Schriften maßgeblich auf die Ideen der Bewegung Einfluss nahm und für deren Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Raum bis hinein in die "Werkbund"-Bewegung sorgte. Der Architekturhistoriker Mark Jarzombek stellt Lux ohne Umschweife in eine Reihe mit den einflussreichsten Vertretern der modernen Architektur-Geschichtsschreibung wie Adolf Behne (1885–1948) oder Siegfried Giedion (1888–1968). [JSAH Journal of the Society of Architectural Historians, 2002] Doch während uns diese Namen heute bestens vertraut sind, ist Lux selbst unter renommierten Kunst- und Architekturhistorikern kaum bekannt.

Wiener Kunstgewerbe-Schule ©ArchivVor allem mit Joseph Maria Olbrich und Josef Hoffmann, der seit 1899 an der Wiener Kunstgewerbe-Schule lehrt und 1903 zu den Gründern der berühmten „Wiener Werkstätten“ gehört, pflegt Lux enge Kontakte.

Der Vielschreiber
Einen Grund dafür können wir ohne Zweifel in Lux’ bewegter Lebensgeschichte erkennen, die im Folgenden grob skizziert werden soll. Vorher wollen wir jedoch einen kurzen Blick auf Lux’ schriftstellerische Tätigkeit innerhalb des Architektur- und Kunstgewerbediskurses der frühen Moderne werfen. Ohne Übertreibung darf Lux als außerordentlicher "Vielschreiber" gelten. [Anita Aigner (Hg.): Vernakulare Moderne, Bielefeld, 2010] Allein für die Jahre von 1900 bis etwa 1919, in denen sich Lux intensiv in der österreichischen und deutschen Architekturszene engagiert, lassen sich mindestens 45 eigenständige Buchpublikationen recherchieren. Neben Reiseführern, historischen Romanen, Gedichtbänden und autobiografischen Erzählungen beschäftigt sich gut die Hälfte der Titel mit Fragen zu Städtebau, Architektur, Gartengestaltung und Kunsthandwerk. In diesem Zusammenhang erscheint 1903 zunächst eine Publikation über "Das moderne Landhaus" [Wien, 1903]. Das Buch ist besonders bemerkenswert, weil es nicht nur dem Titel nach das legendäre, 1904 erschienene Landhaus-Buch des Berliner Architekten Hermann Muthesius (1861–1927) vorwegnimmt, sondern auch inhaltlich bis hin zu wortgetreuen Übernahmen die Schrift des Deutschen maßgeblich beeinflusst. [Hermann Muthesius: Das moderne Landhaus und seine innere Ausstattung, München, 1904] Zwei Jahre nach Lux’ Landhaus-Publikation folgt wiederum der Ratgeber "Die moderne Wohnung und ihre Ausstattung" [Wien, 1905], der später leicht verändert unter dem Titel "Die Kunst im eigenen Heim" [Leipzig, o.J.] als kostengünstiges Reclam-Heftchen aufgelegt wird und sich großer Beliebtheit erfreut. Es folgen viel beachtete Publikationen zur Wiener Kunstgewerbe-Schule [Jung Wien, Darmstadt, 1907] und über "Das neue Kunstgewerbe in Deutschland" [Leipzig, 1908]. Dazu kommen Veröffentlichungen wie "Schöne Gartenkunst" [Esslingen, 1907] und "Der Städtebau und die Grundpfeiler der heimischen Bauweise" [Dresden, 1908]. Mit "Der Geschmack im Alltag. Ein Buch zur Pflege des Schönen" [Dresden, 1908] entsteht 1908 ein weiterer Ratgeber-Band, in dem sich der Verfasser offensiv an ein Laienpublikum wendet. Nicht zuletzt verdanken wir Lux die ersten umfassenden Monographien zu den Werken Otto Wagners [München, 1914] und Joseph Maria Olbrichs [Berlin, 1919]. Neben weiteren, eigenständigen Buchpublikationen zu Architektur und Kunstgewerbe verfasst Lux in dieser Zeit zudem unzählige Artikel für alle bedeutenden Fachzeitschriften des deutschsprachigen Raumes. Darüber hinaus wird Lux’ vielseitiges publizistisches Engagement zeitweise von der Herausgabe einer eigenen, einflussreichen Kunst- und Architekturzeitschrift gekrönt.

Gartenstadt Hellerau ©Archiv

Auf deutscher Straße
Wie wir bereits gesehen haben, etabliert sich Lux nach einem Studium der Kunst- und ­Literaturwissenschaften um 1900 in Wien als Journalist zu Themen der Architektur und des Kunstgewerbes. Schnell findet er dabei Anschluss an den Kreis um Otto Wagner. Vor allem mit Joseph Maria Olbrich und Josef Hoffmann, der seit 1899 an der Wiener Kunstgewerbe-Schule lehrt und 1903 zu den Gründern der berühmten "Wiener Werkstätten" gehört, pflegt Lux enge Kontakte. 1903 übernimmt er die Redaktion der Zeitschrift "Das Interieur – Wiener Monatshefte für angewandte Kunst", die eng mit der Kunstgewerbe-Schule und den "Wiener Werkstätten" verbunden ist. Auf Vermittlung Olbrichs wird Lux kurze Zeit später durch den Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig (1868–1937) auf die Stelle eines künstlerischen Beirats an die Jugendstil-Künstlerkolonie "Mathildenhöhe" geladen. Nachdem sich die offizielle Berufung jedoch verzögert, lehnt Lux jedoch zugunsten seines Wiener Engagements ab. Aber auch aus der Redaktion von "Das Interieur" zieht sich Lux nach nur einem Jahrgang zurück, um 1904 seine eigene ambitionierte "Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur" zu begründen. Die "Hohe Warte" erscheint zugleich in Wien und Leipzig, was Lux die Chance bietet, mit seiner Zeitschrift im gesamten deutschsprachigen Raum präsent zu sein. Aus seinem Heft will Lux das Sprachrohr aller modernen Tendenzen machen und es wird ihm dank seines unausgesetzten publizistischen Eifers bis 1907 gelingen, sich selbst und seine Zeitschrift umfassend zu etablieren. Auch in der 1902 gegründeten "Deutschen Gartenstadtgesellschaft", deren Mitteilungen ab 1907 als ständige Beilage von "Hohe Warte" erscheinen, ist Lux aktiv. Auf Einladung des Möbelfabrikanten Karl Schmidt-Hellerau (1873–1948), dem Gründer der legendären "Gartenstadt Hellerau" bei Dresden, übersiedelt Lux im Jahr 1907 zudem in die sächsische Metropole, um dort die Führung der neuen Lehrlingsschule der "Hellerauer Werkstätten" zu übernehmen. Spätestens hier steht Lux im Mittelpunkt der Kontoversen über die zukünftige Ausrichtung der Bewegung. Vor allem in den Diskussionen über das Programm des "Deutschen Werkbundes", der im Herbst 1907 gegründet wird, gerät Lux in Opposition zu Friedrich Naumann (1860–1919) und Wolf Dohrn (1878–1914), deren Namen eng mit der Entstehung Helleraus verbunden sind und die sich später zu führenden Persönlichkeiten innerhalb des "Werkbundes" entwickeln werden. Die beiden Deutschen plädieren für eine stärkere Einbindung der Industrie in den zu gründenden Verbund, während Lux durch die maschinelle Fabrikation die individuelle Freiheit des Künstlers und die "Spiritualität des Werks" bedroht sieht. Obwohl Lux bei der Gründung des "Deutschen Werkbundes" im Oktober 1907 noch zu den offiziellen Rednern gehört, führt der Richtungsstreit zum Bruch, in dessen Folge Lux 1908 den "Werkbund" verlässt. "Die Gründe, die zu diesem Schritt geführt haben, können heute nur mehr bruchstückhaft geklärt werden", schreibt dazu der österreichische Architekturhistoriker Wilfried Posch. [Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hg.): Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik, München, 1986] Ein Grund lag jedoch zweifellos in Lux’ persönlicher Enttäuschung, auf der Gründungsveranstaltung nicht in den Vorstand des "Werkbundes" gewählt worden zu sein ...

Nutzgebäude ©ArchivLux war begeistert von den neuen Verkehrsmitteln seiner Zeit – Ozeandampfer, Automobil und Flugzeug – und schrieb 1910 in seiner Schrift "Ingenieur-Ästhetik": "In den Fahrzeugen, in der modernen Verkehrstechnik spiegelt sich unsere Kultur. Wenn wir nach dem Stil unserer Zeit fragen, hier haben wir ihn."