Form follows

Schluss mit der Debatte. Nach all dem Diskutieren, Partizipieren und Intervenieren zeigt sich aktuelle Architektur selbstbewusst und beweist Mut zur Kontur. Es darf wieder in die Formenkiste gegriffen werden. Warum auch nicht. Es ist unser Metier, die Form.

Von SABINE POLLAK

Seit einigen Jahren dominieren soziologische Fragen die Architekturproduktion. Stadtraum wird nicht entworfen, sondern bespielt, Nutzungen werden nicht fixiert, sondern Möglichkeiten programmiert und vor jeder größeren Bauaufgabe werden komplexe Verfahren organisiert, um ein voreiliges Bebauen zu verhindern. Man liest De Certeau, spaziert mit Lucius Burckhardt und lässt sich vom Taumel des derive lenken. Die Komplexität von Stadt ist nicht planbar, also lassen wir es gleich ganz und reden wir über das Problem. Alles schön, gut und korrekt.

Aber ist nicht Bauen unser eigentliches Geschäft? Partizipative und kooperative Verfahren sind inkludierend, klar. À la longue strapazieren sie jedoch unser Potential, unsere Zeit und unsere Lust, Räume und Formen zu entwerfen. Die Nutzer interessieren uns und wir wollen Handlungen ermöglichen. Aber müssen wirklich alle jederzeit partizipieren können? Müssen wir uns auf ein Mittelmaß einigen? Außerdem sollten wir uns nichts vormachen: Architektur ist weder Ereignis noch Bewegung, sondern maximal die Bühne dafür. Und als solche sollte sie richtig gut sein, nichts verhindern, Reibungen provozieren und bloß keine sedierende Wirkung ausüben. Wenn wir noch lange über alles reden, ist jedoch genau dies zu befürchten. Ein wenig Provokation im Bauen kann auch Österreich vertragen. Gut nutzbare Architektur kann auf vielfache Weise entstehen, auch durch kollektive Prozesse. Aber eigentlich möchte ich mein Metier nicht abgeben, auch nicht an ein Kollektiv. Wenn mehrere Planungsbüros ein städtebauliches Areal entwickeln, wird das Ergebnis nicht zwingend besser. Partizipation und Kooperation sind in Ordnung, befreien aber nicht von Entscheidungen, lösen keine Kostenkämpfe und helfen nicht bei Schlafstörungen.

Archiv der freien Staaten in Paris, Ansicht West; Archiv der freien Staaten in Paris ©Stefanie Bauer
Links: Archiv der freien Staaten in Paris, Ansicht West
Rechts: Archiv der freien Staaten in Paris
©Zeichnungen: Stefanie Bauer

Neuer Wille zur Form
Neben all den Diskussionen und Kooperationen ist in jüngeren Architekturproduktionen jedoch auch ein äußerst starker Wille zur individuellen Ausdrucksform zu beobachten. In der Zeitschrift ARCH+ wurde diese neue Formenlust unlängst als Hardcore Architektur betitelt. Es sei ein neues Verhältnis zwischen Semantik und Pragmatik, zwischen Form und gesellschaftlichem Gebrauch, das Produktionen auf die Kernfragen der Architektur zurückbringe. Im Vordergrund dieser Produktionen steht nicht die Form an sich, aber das Potential der Form oder, wie die Redaktion von ARCH+ bemerkte, die intellektuelle Potenz von Form. Das ist gut so, finde ich. Man beschäftigt sich wieder mit der architektonischen Setzung und deren Wirkung im Kontext.Historische Traditionslinien werden aufgenommen und zugleich wird an einer Eigengesetzlichkeit von Architektur gearbeitet. Meist sind es prägnante und oft archaische Formen wie Kugel, Zylinder, Pyramide oder Turm. Kuppeln werden gemauert, Monolithe betoniert, selbstbewusst, aussagekräftig und oft angenehm monumental. Vorbei sind höfliche Debatten, Kompromisse und Selbstregulation. Monumente-Architekturen (baukuh) und fast ungehörige Rundungen (Christian Kerez) werden eigenwillig in Landschaften gestellt und setzen die distinguierte Klientel ob ihrer Größen und Formen in Erstaunen. Man spricht eine harte Sprache, nimmt strenge Haltung ein und übt sich zugleich lustvoll an einem Repertoire, das an alte Bauformen anknüpft und dennoch neu ist …

Christian Kerez, Zürich: Schulumbau und -erweiterung Freudenberg, 2002 ©baukuh
Christian Kerez, Zürich: Erweiterung und Schulumbau Freudenberg, 2002

Bild oben: baukuh Architekten, Mailand: Augustinus Kirche, Hatlehol, Norwegen, 2009; © baukuh