Stadtvisionen

Jeder will und braucht Visionen, Politiker ebenso oder ganz besonders. Aber nur die Allerwenigsten haben sie tatsächlich. Wie werden sich unsere (europäischen) Städte entwickeln? Wie entscheidend ist dabei die Zeit? QUER-Chefredakteurin Doris Lippitsch im Gespräch mit dem Architekten Dietmar Eberle, Baumschlager Eberle Architekten (BE) über Dichte, funktionale Offenheit der Gebäude, Ressourcen und Selbstbestimmung.

Mit welchen Phänomenen ist die europäische Stadt heute konfrontiert?
Visionen brauchen Zeit. Von welchem Zeitraum gehen wir also aus, um über Visionen sprechen zu können? Die Zukunft der europäischen Stadt wird auf der Vergangenheit beruhen. Die Neubaurate liegt aktuell – und aus ökonomischen Gründen auch in Zukunft – bei nur 1 bis 1,5 Prozent. Wir können davon ausgehen, dass sich in den nächsten 30 bis 50 Jahren wesentliche Veränderungen einstellen werden. In europäischen Städten nehmen Dichte und Grundstücksausnützung beständig ab: Lag die Dichte im Mittelalter bei 3,0 und  in der Gründerzeit bei 2-3, so lag sie im 20. Jahrhundert nur noch bei 1,0-1,5. Ein Gründerzeitviertel haben wir als städtisches Gefüge im Bild, nicht hingegen Agglomerationen und Siedlungen. Das ist unsere Ausgangssituation.

Was zeichnet unstädtische Flächen aus?
Eine niedrige Ausnützung der Grundstücke und die Idee der Verschmelzung von Natur und Stadt. Wie wir mit hohen Dichten umgehen können, zeigt der Umgang mit Gründerzeitvierteln. 1900 lebten dort acht Mal mehr Menschen als heute, die Flächenbelegung war alsoextrem hoch. Zahlreiche Beispiele aus der Literatur legen über die schlimmen Lebensbedingungen und die hohe Anzahl der Benutzer dieser Wohnungen Zeugnis ab. Die schlechten Licht- und Luftverhältnisse wurden später durch Absiedlunggelöst. Diese Flächen stehen seit dem Zweiten Weltkrieg wieder zur Nachnutzung bereit und sind heute sehr begehrt …