Bücherspiegel
Yahya Hassan. Gedichte
Hg. Ullstein Verlag, Berlin
Übersetzung aus dem Dänischen:
Annette Hellmut, Michel Schleh
1. Auflage 2014, Hardcover, 176 Seiten,
12,5 x 20,5 cm, ab EUR 16
(ePub ab EUR 13.99)
ISBN-13 9783550080838
Yahya Hassan, 18 Jahre alt und Sohn palästinensischer Flüchtlinge, ließ auf der Frankfurter Buchmesse mit seinem Gedichtband aufhorchen. Früh kam Hassan im norddänischen Vorstadtghetto Aarhus mit Raub und Drogen in Berührung, in Erziehungsanstalten begann er zu lesen und Gedichte zu schreiben. Die Verse sind eine Abrechnung mit seinem Vater und dessen Doppelmoral: Schläge als Erziehungsmaßnahmen und Moschee zum Freitagsgebet. Hassans Schreibmotive sind das Alltagsleben im Ghetto, die libanesischen Flüchtlingslager, die Moschee, Glaubensverrat, Illegalität und Zwangsintegration in dänischen Jugendstrafanstalten. Sein Stil ist eruptiv und drastisch realistisch: „Ich liebe euch nicht Eltern ich hasse euer Unglück/Ich hasse eure Kopftücher und eure Korane/Und eure analphabetischen Propheten.“ Wie gehetzt schreibt er ohne Satzzeichen in unregelmäßigem Versmaß, mal direkt in stampfendem Rhythmus, mal poetisch, traumhaft, erzählerisch: „Wo ist meine Erde/Sie werden vom Mondschein bedeckt/Sie singen sanft/Während die Drohnen in Tränen eines fremden Gottes weinen/Ich gehe /Auf die Jagd nach dem Mutterleib.“ In der Zusammenschau lesen sich die Gedichte wie ein Roman – Bilder einer anderen Lebensrealität, ein Drama, Hilfeschreie, Selbstreflexionen und Rebellion in zwei Kulturen, die sich fremd und uneins bleiben: Täter und Opfer, „Kanaken“ und Dänen. Als „Dänischer Hund“ von Muslimen und als „Kanake“ von Dänen beschimpft, ist Hassan ein doppelt Ausgestoßener – er selbst bezeichnet sich als „staatenloser Palästinenser mit dänischem Pass“. Auf der einen Seite erwarteten ihn „Sklavenarbeit“ und Psychopharmaka in dänischen Erziehungsanstalten, auf der anderen elterliche Erziehung durch Schläge, die ihm Respekt abnötigen sollen: „Heilige und Hehlerware“. Die Psychologie von Schuld und Sühne ist den repressiven Tendenzen vieler Kulturen eingeschrieben – der arabisch-muslimischen wie der europäisch-christlichen. Aufgrund von Morddrohungen durch Islamisten erschien er selbst auf der Leipziger Buchmesse mit Polizeischutz.
LUISE WOLF
100 österreichische Häuser
Ausgabe 2014 / 15
Eigenverlag, Hg: Manuela Hötz,
redaktionsbuero architektur
Zahlreiche Illustrationen, 184 Seiten,
230 x 333 mm, EUR 12,90
ISBN 978-3-200-03604-8
Bei vielen Menschen steht ein Eigenheim noch immer ganz oben auf der Wunschliste. Aber seien wir uns ganz ehrlich: Einfamilienhäuser zu bauen, ist mittlerweile politisch genauso korrekt wie der Kauf eines Autos. Trotzdem tun wir es – so wir das können. Wie wir es könnten, zeigen die 100 Beispiele von Häusern in Österreich. Das Magazin, das anlässlich der Architekturtage zum Thema ALT JETZT NEU herauskommt, soll zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Bausubstanz und Ressourcen inspirieren und zeigen, dass zukunftsweisende Projekte und moderne Architektur einander nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil.
Ein Haus ist eine langfristige Entscheidung, braucht Zeit und Perspektive. Und es gilt: Je weniger Budget vorhanden ist, desto wichtiger wird die Planung. Zu einem nachhaltigen Raumprogramm sollte ein Haus so geplant werden, dass ihm ein eigener Lebenszyklus zugemutet werden kann. Denn, was hilft ein hoch technisiertes Haus, wenn man sich darin nicht wohlfühlt und die nächste Generation es möglichst loswerden möchte? Vernünftiger wäre es, nicht nur sein Leben, seinen Raum besser zu planen, sondern auch so weit vorauszudenken, dass eine Weiterentwicklung möglich ist.
Das Magazin „100 österreichische Häuser“ präsentiert Alternativen in vielen Facetten: Niedrigenergie- und Holzhäuser, Um- und Zubauten sowie innovative Sanierungskonzepte zeigen, wie man sich sein Eigenheim im Bewusstsein der Nachhaltigkeit schaffen kann. 100 Häuser zeigen ebenso viele Lösungen und die Vielfalt der Architektur. Überraschend sind auch die vielen Mehrgenerationen-Konzepte.
Die Texte von fünf jungen Journalisten erzählen die Geschichten der Häuser, der Planer und ihrer Bauherren. Die Entstehung basiert jedes Mal auf anderen Voraussetzungen, aber eine Lösung gibt es immer. Das Magazin sieht sich auch als Architekurvermittlung und ist eine Lobeshymne auf die Qualität österreichischer Architekturproduktion – und eine direkte Empfehlung an zukünftige Bauherren, mit Architekten zu planen.
MANUELA HÖTZL
RLF
Das richtige Leben im falschen.
Roman
Friedrich von Borries
suhrkamp taschenbuch 4443
Klappenbroschur, 252 Seiten, EUR 14,40
ISBN 978-3-518-46443-4
RLF ist mehr als Lifestyle. RLF ist mehr als Kunst. RLF ist Widerstand. RLF kämpft für das richtige Leben im falschen. Werde Teil von RLF. Werde Shareholder der Revolution!
Wenn schon in Buchform, dann hätte es auch einfach ein Sachbuch werden können. Damit hätte Autor Friedrich von Borries, deutscher Architekt und Designtheoretiker, die Ebene der Fiktion verlassen, auf der er dem Leser einen dritten Weg der Revolution flirrend greifbar anbietet. Mit dritten Wegen haben wir in Österreich Erfahrung: große Sozialpartnerschaft, ein wenig Kommunismus, etwas mehr Kapitalismus – vielleicht diesen aber nicht in ganz entmenschlichter Form. Mit der neuen Version einer Revolution soll es ähnlich sein: Konsumieren Sie einfach weiter, konsumieren Sie aber auch doppeldeutig, absurd teure und seltene Produkte von RLF – nach perfektem Marketingplan, in der Logik des Kunstmarkts und eröffnen Sie damit anderen, aber auch sich selbst, indirekt, nicht näher definierte Möglichkeitsräume. Alle Elemente der Religion sind vertreten, auch Unternehmensprinzipien werden angewandt und selbst die Tarnung wird zum gestalterischen Trägerelement. Glamour eröffnet sich also nur Eingeweihten und Kennern.
Analoge Marketingkonzepte verkaufen der Welt aber auch Träume inklusive Turnschuhe, garniert mit einer Prise Revolutionsduft und Individualität, mit dem Ziel, Shareholder von Sportartikelherstellern pekuniär zu beglücken.
Zwischen beiden Welten steht Jan, ein erfolgreicher Hamburger Werbemensch und Trendforscher, der sich in seinem erfolgreichen Leben nicht so ganz wohl fühlt und deshalb – frei nach Adorno – forscht, wie viel „richtiges Leben es im falschen geben kann.“ Eher keine großen Schritte setzen – so tun wie bisher und am Ende ist die Welt dann doch besser! Riots in London als persönlicher Ausbruch, Einfamilienhaus in Hamburg, Blankenese inklusive Porsche als Heimathafen. Aber im realen Leben gibt es das Unternehmen, einen Internetauftritt, die Produkte und vielleicht auch schon freie Mikrostaaten.
DAVID PASEK