"Städte faszinieren mich!"

Der britische Architekt Stephen Bates, 50, Sergison Bates architects London und Zürich, setzt weltweit Wohnbau-, Städtebau- und Revitalisierungsprojekte um; zuletzt nahm er 2012 an der Architekturbiennale Venedig teil. In seinem Architekturbüro werden sieben Sprachen gesprochen, derzeit baut er in China und Chile. An der TU Wien hielt Bates auf Einladung von Wienerberger eine Lecture über die Langlebigkeit von und den Komfort in Gebäuden sowie Konsistenz und Disziplin im Architekturschaffen. Die Klarheit seiner Gedanken und Positionen überzeugt.

von DORIS LIPPITSCH

We’ll try harder!
„Hm, kontrovers“, reagiert Architekt Stephen Bates äußerst spontan auf dieses allgegenwärtige Wort nicht nur in der Architektur- und Bauwelt, zudem Credo und Titel einer Lecture im Rahmen der Wienerberger Sustainable Building Academy (WISBA), eines internationalen Bildungsprogrammes, wobei es folglich nicht zu vermeiden ist: nachhaltig. Dieses Wort wird leider auch im Englischen nicht eleganter: sustainable.

Bates definiert diesen Begriff anders, er holt weiter aus und versucht, dieses inflationär verwendete Wort tunlichst zu vermeiden. Er zieht es vor, es auf seine Konsistenz zu prüfen, zu umschreiben und in seiner ureigenen Bedeutung zu lesen. Zu den ökonomischen Überlegungen, die heute für Green Buildings sprechen, addiert Bates vor dem Hintergrund unserer globalen Welt und dem Schwund von Bodenschätzen einen Faktor, der oft nebensächlich scheint oder erst gar nicht gesehen wird: den kulturellen Anspruch. „Holistische Perspektiven,  künstlerische Langlebigkeit, eine reichhaltige Wahrnehmung von Räumen über Tiefe und Leichtigkeit ermöglichen“, fängt Bates das komplexe Thema ein. London habe ihn sehr geprägt, dort ist auch sein Architekturstudio, das er mit seinem Partner Jonathan Sergison führt. „Es ist das merkantile, und zugleich poetische Umfeld der Straßen“, das er dort so liebt und das seit vielen Jahren auf ihn wirkt, dennoch räumt Bates ein, dass heute „oft billig oder pragmatisch gebaut wird, und nicht selten der Wert im Grundstück liegt“. Daher sei es umso wichtiger, einer Stadt mit „einer Neuordnung eine entscheidende Dynamik zu geben. Städte faszinieren mich“, so Bates spontan und schärft sogleich den Fokus, „europäische Städte mit ihrem historischen Potenzial“, und billigt folglich die enormen Herausforderungen seiner Zunft. Grundlegend für seine Arbeit ist die Perspektive, dass „die europäische Stadt unverändert auch heute gültig ist und das auch in Zukunft sein wird.“ Städte entwickeln sich über einen langen Zeitraum, und „Aufgabe des Architekten ist, einer Stadt eine dauerhafte Struktur zu geben. Die Idee, dass Menschen in der Stadt zusammentreffen, Ideen und Ressourcen austauschen, ist kraftvoll. Das ist ein wichtiger Ausgangspunkt für mich, weil das natürlich in direkter Beziehung zu den Gebäuden steht“, schildert Bates.

„Ich bringe London mit mir, wenn ich reise“
Sergison Bates architectes starteten ihr Architekturbüro in den 1990er Jahren, in der konservativen Thatcher-Ära. Eine große Privatisierungswelle setzte ein, sozialen Wohnbau gab es in London de facto nicht. Auch keine Wettbewerbe, heute leben die beiden Architekten davon. „Schaut man sich eine Stadt genau an, stellt man fest, dass sie hauptsächlich aus Wohnbauten besteht“, ergänzt Bates und betont fortfahrend, wie wichtig es sei, als Architekt „bewusst“ zu planen und zu bauen, um die historische Bausubstanz mit einer zeitgenössischen Lösung zu „überziehen“. Mit Ideen, die etwas transformieren. Jede Teilnahme an einem Wettbewerb wird heute sorgfältig von ihnen geprüft. Überall dorthin, wo er gerade baut oder lehrt, nimmt er auch seine Stadt mit: „Ich bringe London mit mir, wenn ich reise!“ - kurzum, seine Beobachtungen, die immer auch auf das Vergangene gerichtet sind. Sie sind der Motor von Form und Design, denen Wissen und eine spezifische Grammatik und Sprache, „einem Bildgedicht gleich“,  zugrunde liegen: die Bildung in der Architektur. „Wir wurden sehr von Künstlern der 1960er beeinflusst, von Gordon Matta-Clark, Dan Graham, Dan Flavin, Donald Judd - von Künstlern, die das Leben im Alltag thematisierten.“ Das Bauen ist durch eine konzeptuelle Leitidee geregelt: Reflexion und Konstruktion. Tiefe und Leichtigkeit. Und Toleranz. Was es für Bates bedeutet, Architekt zu sein? „Hart zu arbeiten, und ständig zu lernen“, so Bates. Er baut weltweit, natürlich auch in Österreich.
 

Studio House Hackney, East End London ©Archiv Studio House Hackney, East End London1 ©Archiv

Studio House Hackney, East End London

„Dem nüchternen Programm des geförderten Wohnbaus Ausdruck verleihen“
„Wir haben uns den Masterplan mit einer hohen Dichte, großen Gebäuden und viel Raum dazwischen angeschaut“, so Bates, „er ist aber ohne Infrastruktur im nahen Hinterland einfach nicht urban. Wir wollten dem aktiven Widerstand leisten“, leitet Bates das Wiener Projekt am ehemaligen Nordbahnhofgelände ein. Das Ensemble aus drei Gebäuden - gemeinsam mit Werner Neuwirth und Ballmoos Krucker Architekten - soll einerseits städtische Nähe schaffen, andererseits wurde versucht, dem „nüchternen Programm des geförderten Wohnbaus einen expressiven Ausdruck“ zu verleihen. Die Wohnbauten, drei monolithische Körper, waren Siegerprojekt eines Bauträgerauswahlverfahrens im Jahre 2010 und wurden September 2013 fertig gestellt. Die Bauherrschaft gab vor: „Interkulturelles Leben“, so der Titel der Ausschreibung von Neues Leben - Gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft. Gebäuden im urbanen Raum „einen expressiven Ausdruck“ zu verleihen, bedeutet u.a., einen monolithischen Bau mit Fenstern im A-B-A-Rhythmus zu transformieren, die Motivation sowie den Ehrgeiz zu besitzen, mit dem Baustoff Ziegel zu arbeiten und die Fensterlaibungen mit einer ganzen Ziegelbreite nach innen zu versetzen, mit zusätzlichen Loggias für Großzügigkeit zu sorgen und so in wechselseitiger Erfahrung - wie auch in Großbritannien - mit den Formen der viktorianischen Kultur zu spielen, leichte Trennwände einzuplanen, und Fassaden zu gestalten, die Tiefe vermitteln. Against all odds und allgegenwärtigen Trends ultra-dünner Fassaden: „Schauen wir uns doch ein 200-jähriges Haus mit seiner Fassade genau an. Es vermittelt Schutz. Und genau das versuchen wir heute auf zeitgenössische Gebäude zu übertragen und kontextuell, sensitiv in das Umfeld einzufügen“, illustriert Bates und zitiert: „Mit Álvaro Siza kann man (gebaute) Landschaft studieren!“

Geförderter Wohnbau, gemeinsam mit Architekt Werner neuwirth und Ballmoos Krucker Architekten, ehemaliger Nordbahnhof, Wien, 2013 ©Archiv
Geförderter Wohnbau, gemeinsam mit Architekt Werner Neuwirth und Ballmoos Krucker Architekten, ehemaliger Nordbahnhof,
Wien, 2013

„Die Welt der Architektur begann 1920“
Mies van der Rohes (1886–1969) Museen Haus Lange und Haus Esters (1927–1930) im deutschen Krefeld dienen als Beispiel „mit meisterhaft ausgeführter Technik“. Noch heute zählt dieses Villenensemble zu den architektonischen Glanzlichtern des Neuen Bauens in Deutschland. Technik als Werkzeug: Die hochaufgelösten Oberflächen eines kubischen Ziegelmoduls berufen sich beispielhaft auf Strategien bzw. Techniken, die Geist und handwerkliches Können verbinden. Mies van der Rohes Erstentwurf war radikaler, wenngleich die Ausführung der Kunstmuseen dem Bauhaus-Gedanken mit der Einheit von Raum und Subjekt eine eindrucksvolle Richtung weisen sollte. Heute wirken sich moderne Technologien immer stärker auf den Ziegel aus. So wird an der ETH Zürich bereits an digitaler Fabrikation geforscht. Die Frage ist, ob das auch tatsächlich interessant ist. „Das sind offene Fragen, provokante Fragen!“, gibt Bates zu bedenken. Ist es nicht so, dass die materielle Qualität von Schiefer und Kalk in historischen Ziegelgewölben, also durchbrochenen Räumen - die Architektur der Vergangenheit - auch heute überzeugt, sich also im Ziegel die Seele des Menschen offenbart? Und der Geruch von Mörtel dies zusätzlich stützt? Entsteht nicht zuletzt so ein Gefühl des Dauerhaften? Von Kontinuität? Für den sächsischen Architekten Constantin Lipsius (1832-1894) war es für den Bau der Leipziger Peterskirche nicht denkbar, auch nur einen Ziegel wegzuwerfen. Folglich wurde jeder Ziegel verwertet und der Ziegel regelrecht gestapelt.

Mies van der Rohe, Kunstmuseen Krefeld, Deutschland ©Foto: www.kunstmuseenkrefeld.de Mies van der Rohe, Kunstmuseen Krefeld, Deutschland ©Foto: www.kunstmuseenkrefeld.de

Mies van der Rohe, Kunstmuseen Krefeld, Deutschland

„Eine Sprache finden zwischen dem Monolithischen und Gebrauch im Alltag“
Im dänischen Rønne etwa, Bornholm, 2003 fertig gestellt, setzen Sergison Bates architects den Ziegel im Ethnographischen Museum als „komprimierende Macht“ für die Innenräume und das Gewölbe mit einem Doppelhautsystem ein, was den Charakter der permanenten Ausstellung unterstreichen soll. Wie Ziegel als Textilie - mit ihren Unregelmäßigkeiten - in einem Fugennetzwerk wirken kann, zeigt Bates mit dem 2011 fertig gestellten Pflegeheim Huise-Zingem in Flandern. In Details lesen, entwerfen und bauen, bedeutet laut Bates „eine Verbindung zum Umfeld mit einem rhythmischen Band aus Ziegel“ herzustellen. Für die Bibliothek in Blankenberge bei Ostende, einer im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Stadt, war es ihm wichtig, das noch existierende Gebäude wieder mit der Straße zu verbinden: „Wir versuchen, eine Sprache zu finden zwischen dem Monolithischen und seinem Gebrauch im Alltag.“ Derzeit realisieren die Architekten im schweizerischen Mendrisio die Stadtbibliothek an der zentralen Piazza del Ponte et Duomo, das historische Umfeld wird im Gebäude quasi absorbiert.

Stadtbibliothek Mendrisio, Schweiz, seit 2010 ©Archiv
Stadtbibliothek Mendrisio, Schweiz, seit 2010

Kontinuität und Geschwindigkeit
Geschwindigkeit verändert unser Leben. Wie damit umgehen und in das zeitgenössische Architekturschaffen übersetzen? „Die Umgrenzung von Räumen bzw. mit Fenstern erfordert eine solche Reflexion“, so Bates. Die Formel lautet: kulturelle Bedeutung plus Baukultur plus Mut zur Transformation. Der Ziegel ist und bleibt ein traditioneller Baustoff. Ein ­Beispiel liefert das Studio House Hackney von Sergison Bates architects in East End London, ein Privathaus, 2004 fertig gestellt, das unter einer Schutzfassade eine ehemalige Fabrik verbirgt. Das Verklinkerungssystem wurde von einem Tischler ausgeführt, wie Bates ausdrücklich betont. Wie also „das Gefühl des Dauerhaften“ in die Architektur bringen? „Mit Konsistenz und Disziplin sowie künstlerischer Langlebigkeit und kulturellem Anspruch“, fasst Bates zusammen. „Heute wird viel über Dichte diskutiert. Während Dichte für die einen gleichbedeutend mit Armut ist, ist sie für andere wiederum das Konzept der Zukunft. Die Sichtweise ist von Land zu Land verschieden. Ich misstraue dem Schlagwort Verdichtung ebenso wie dem der  Nachhaltigkeit! Langlebigkeit ist eine ständige Auseinandersetzung mit Komplexität und Widerspruch!“

In Zusammenarbeit mit Wienerberger

Architekt Stephen Bates ©Foto: Sergison Bates architects
Foto: Sergison Bates architects

Stephen Bates, geb. 1964, graduierte am Royal College of Art in London und gründete 1996 mit Jonathan Sergison das Architekturbüro Sergison Bates architects in London. Große internationale Anerkennung erhielten sie 2006 mit der Heinrich-Tessenow-Medaille und dem Erich-Schelling-­Architekturpreis. Bates lehrt an der Architectural Association in Lon­don, ETH Zürich und EPFL in Lausanne, derzeit hat er eine Professur für Stadtentwicklung und Wohnbau an der Technischen Universität München inne.

W  WiE WisBA!

Über den Tellerrand blicken und aktiv an der Zukunft des Bauens arbeiten - diesem Ausbildungsziel hat sich die Wienerberger Sustainable Building Academy verschrieben. WISBA ist ein internationales Bildungsprogramm, das von der Wienerberger AG in Kooperation mit der Technischen Universität Graz, der Leibniz Universität Hannover, der Technischen Universität Warschau sowie der Wirtschaftsuniversität Wien gegründet wurde. Am ersten Lehrgang im Wintersemester 2013/14, der im März abgeschlossen wurde, nahmen 12 Stipendiaten von österreichischen, deutschen und polnischen Universitäten teil. Im Rahmen von Gruppenarbeiten waren die Studenten gefordert sich mit Fragen zur Zukunft des Bauens zu beschäftigen. Die Themen betrafen Fragen zur Ressourcen-Effizienz in der Produktion, zur Lebensdauer von Gebäuden, zu Wand- und Heizungssystemen aber auch zu ergänzenden Indikatoren für Nachhaltigkeitsstandards bei Baustoffen. Unterstützt wurden die Studenten bei ihren Themen durch internationale Fachexperten aus der Lehre und der Praxis. Workshops fanden in Deutschland, Österreich, Polen und Belgien statt. Die vier Studentengruppen präsentierten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen Anfang März 2014 im Festsaal der TU Wien vor einer internationalen Jury.

Im Wintersemester 2014 beginnt der nächste Durchgang mit 24 Studenten aus bereits sechs Ländern. Die Ausschreibung startet ab April unter www.wisba.wienerberger.com.

Fotos: Sergison Bates architects