Auf zu neuen Welten! Back to Future!
So wie die zentrale Rolle des amerikanischen Playboy-Magazins bei der Verbreitung und Förderung der Avantgarde-Architektur unbestritten ist, ist zeitgleich auch die Rolle des dänischen Designers Verner Panton beim Aufbruch in neue Wohnwelten in den 1950er bis 1970er Jahren maßgeblich.
von PETER REISCHER
In diese Zeit fallen geschichtsträchtige und die Gesellschaft prägende Ereignisse wie der Mauerbau in Berlin, die Antibabypille und die beginnende Eroberung des Weltraumes. Die Jugend rebellierte, wollte ihre eigene Kultur und ihre Wohnideen verwirklichen und von 1968 bis 1972 mietete der Chemiekonzern Bayer jeweils während der Kölner Möbelmesse ein Ausflugsschiff, welches von bekannten Designern in einen temporären Ausstellungsraum zum Thema ‚Wohnen heute’ transformiert wurde. Der Konzern hatte natürlich hauptsächlich das Interesse, die neusten Entwicklungen auf dem Textilsektor vorzustellen. Durch die Zusammenarbeit mit namhaften zeitgenössischen Designern wollte man die technischen Möglichkeiten und praktischen Anwendungen der hergestellten Kunstfasern um ästhetische und künstlerische Ansprüche erweitern, wobei der Designer als Bindeglied zwischen Hersteller und Endverbraucher fungieren sollte.
Die wichtigsten dieser Ausstellungen waren die ‚Visiona 0‘, 1968 und ‚Visiona 2‘, 1970, jeweils gestaltet von Verner Panton und ‚Visiona 1‘, 1969 von Joe Colombo sowie ‚Visiona 3‘, 1971 von Olivier Mourgue.
Panton beschränkte sich bei der Gestaltung nicht nur auf den textilen Bereich, vielmehr bezog er alle Elemente wie Möbel und Leuchten in ihrer Beschaffenheit und Anordnung mit ein. Knapp über dem Boden schwebende Lichtkörper, kombiniert mit wie zufällig herumliegenden Sitzbällen, dazu kreisrunde Teppiche mit Hand- oder Fußabdrücken - so entstand die erste experimentelle psychedelische Wohnlandschaft, die trotzdem einen harmonischen Gesamteindruck ausstrahlte. Als integrativen Bestandteil der Installationen entwickelte Panton sowohl das Lichtkonzept als auch die atmosphärische Untermalung der einzelnen Räume mit verschiedenen Klängen wie beispielsweise Nachtigallgesang, Uhu-Stimmen, Bienensummen, Katzengejammer oder Wellengeräuschen.
Die ‚Phantasy Landscape‘ (auch Wohnhöhle genannt) auf dem Hauptdeck des Schiffes kann als Höhepunkt der kreativen Vision Pantons bezeichnet werden. Böden, Wände, Decken und Möblierung schienen aus einem einzigen Guss geformt. Der fensterlose Raum war ohne Verbindung zur Außenwelt und stellte sich als eine organische Landschaft dar, charakterisiert durch geschwungene Formen, die aus dem Material selber herausgeschnitten schienen. Und das psychedelische Raumkonstrukt schien von innen heraus zu glühen.
Noch heute gelten die Visiona-Ausstellungen als beispielhaft für die avantgardistischen Wohnkonzepte der späten 1960er und frühen 1970er Jahre. Waren sie anfangs noch als Abschied von traditionellen Wohnformen gedacht, so war die ‚Visiona 2‘ bereits ganz auf das Wohnen von morgen ausgerichtet. Das Schiff als Showbühne bot den Designern eine Plattform für neue revolutionäre Ideen, förderte die öffentliche Diskussion um die kulturelle Bedeutung des Wohnens und vermittelte der Wirtschaft neue Impulse. Diese Settings brachen das traditionelle Raumverständnis mit seinen klaren Zuordnungen von Funktionen auf, um eine Umgebung zu schaffen, die dem Wohlbefinden, der Kommunikation und der Erholung gewidmet war.
Eine ‚Neubetrachtung‘ dieser ‚Vergangenheit‘ kann man im Vitra Design Museum in Weil am Rhein bis 1. Juni 2014 unter dem Titel ‚Visiona 1970 - Revisiting the Future‘ sehen.
www.design-museum.de
Fotos: Panton Design, Basel