Häuser aus dem 3D-Drucker

Während uns wöchentlich News über neue Objekte aus dem 3D-Drucker erreichen - Mode, Knochen oder Pizza - werden bereits ganze Häuser gedruckt. In dieser Technologie spiegeln sich die großen gesamt-gesellschaftlichen Hoffnungen unserer Zeit wider.

von LUISE WOLF

3D-Druck hat jüngst das ohnehin immense Feld der Architektur erreicht und erfährt darin seine größte Dimension. Architekten arbeiten mit Mathematikern, Roboteringenieuren und anderen Computer-Spezialisten zusammen, um digital entworfenes Design von riesigen 3D-Druckern bauen zu lassen. Die Formen digitalen Entwerfens scheinen so unendlich wie nur die Natur selbst sie zustande bringt. Von Häusern per Mausklick - an einem Tag gefertigt - ist die Rede. Gesellschaftliche Visionen überschlagen sich, sie reichen von der Lösung globaler Wohnraumprobleme bis hin zur "Demokratisierung der Architektur". Sind 3D-Drucker das Allheilmittel gegen die Überproduktion und Verteilungsungerechtigkeit des globalen Kapitalismus?

Architektur wie eine Landschaft

Anfang des Jahres stellte der Amsterdamer Architekt Janjaap Ruijssenaars sein Modell des ersten 3D-gedruckten Hauses der Zukunft vor: "The Landscape House" soll 2014 in einem Stück von einem 3D-Drucker hergestellt werden, jedoch ist noch unklar wo. Der Pavillon gleicht einem doppelten Möbiusband - ein nahtloses Band, an dessen Schleifen sich unten in oben verkehrt. Janjaaps treibt die Vision an, Architektur zu schaffen, die wie die Natur ohne Anfang oder Ende ist, in der Innen und Außen ineinander fließen. Den Drucker zu Janjaaps Projekt lieferte der italienische Roboteringenieur Enrico Dini, der den haushohen "D-Shape" baute, den bislang  größten 3D-Drucker der Welt. Aus einer Düse - dem Druckkopf - fließen Sand und eine bindende Substanz, die Schicht für Schicht aufgetragen werden und zu einer Art Sandstein bis zum fertigen Objekt aushärten. Enrico Dini ist nicht nur ein technisch versierter Experte auf seinem Gebiet, sondern auch ein Visionär. "We could say 3D printing will save the world", lässt er in "The Wired" verlauten.

Läuft wie "gedruckt"

Die Vorteile des Verfahrens liegen auf der Hand: Bei der Methode des "additive manufacturing" entsteht kein Materialverlust. Das Objekt wird Schicht für Schicht aus einem Guss gefertigt. Aufwendige Fertigungsmaschinen oder Gussformen werden damit überflüssig. Insbesondere bei der Herstellung komplexer Bauteile, die traditionell aus Einzelteilen gefertigt und dann zusammengesetzt werden, fallen viele Arbeitsschritte weg. Das spart vor allem Zeit. Einmal via Mausklick über das am Computer entworfene Modell "informiert", arbeitet der Drucker 24/7 im "Alleingang" - und das viermal schneller als jedes herkömmliche Fertigungsverfahren. Schweißtreibende und gefahrenreiche Bauarbeiten sind also passé. Auch in puncto Recycling und Stärkung regionaler Wirtschaft erhofft man sich große Schritte. Theoretisch könnte das fertige Objekt, wenn es an Ort und Stelle nicht mehr gebraucht wird, in kleineren Teilen dem Drucker direkt wieder zugeführt, eingeschmolzen und anderswo neu gedruckt werden. In der Realität aber ist die 3D-Architektur noch gänzlich dem Experiment gewidmet, dem Ausloten von  Möglichkeiten und Grenzen, was über "handfeste" Problemlösungen noch weit hinausgeht.

Janjaaps und Dini fasziniert die Vorstellung einer "Archinature", wie Dini sie nennt. Er versucht, sie Realität werden zu lassen, indem er lebensechte Korallenriffe druckt. 3D-Druck ermöglicht es, komplexe Innenstrukturen zu schaffen, wie zellen- oder schwammartige Formen. 3D-Architektur könnte nicht nur räumlich natürliche Eigenschaften annehmen, sondern auch zeitliche, z.B. indem die aus Bio-Materialien gedruckten Objekte mit der Umgebung erodieren - ähnlich wie beim Bioprinting.

"Function over Form"

Die Welt der Dinge wird eine flexible, formbare, flüssige sein. Beim "Computer-Aided-Design" können Objekte und gewünschte Eigenschaften mittels komplizierter Algorithmen super-optimiert werden. Ein entsprechend leistungsfähiger Drucker setzt auch jeden Kubikmikrometer des Materials präzise an seine berechnete Stelle. Die Londoner Architekten von Softkill Design setzen genau das um. Ihr Prototyp für ein 3D-Haus setzt sich aus Einzelteilen mit einer Auflösung im Mikrometer-Bereich zusammen und sieht wie ein futuristisches Raumschiff aus. Das Material ist faserartig und knochenähnlich strukturiert. Der Algorithmus errechnete, dass das Objekt so größte Stabilität erreicht. Daran zeigt sich, wie nahe heutige Computertechnik natürlicher Intelligenz kommt.

Neben ästhetischen Fragen und denen rigorosen Funktionalismus - Stichwort "Function over Form" - wird bei dieser Methode das Fehlen jeglichen handwerklichen Könnens und kreativer Entscheidungen deutlich. Dies spielt sich in der Architektur der Zukunft anderswo ab - z.B. im Marketing. Softkills 3D-Haus soll nach Bedarf von Nutzern gedruckt werden, die sich die digitalen Vorlagen dazu aus dem Netz downloaden.

Architektur zum Downloaden

Das wohl kreativste Marketing-Konzept hat das Amsterdamer Architekten-Team DUS Architects. Das "Canal House" aus biologischem und recyceltem Hartplastik wird seit April vor laufendem Publikum gedruckt – als Event, als laufende, wachsende Ausstellung. Das Grundstück am Buiksloter Kanal im nördlichen Teil Amsterdams ist Baustelle, öffentlicher Aktionsschauplatz und Treffpunkt zugleich. Der haushohe 3D-Drucker, der "KamerMaker", stellt hierbei die größte Attraktion dar. Das Kanalhaus soll 2014 fertig gestellt werden und 12 Räume haben, die sich gesellschaftlichen und forschungsrelevanten Themen wie Recycling, neuen Druck-Technologien und der Sicherheit widmen. Der KamerMaker wird seinerseits auch im Haus einquartiert. So mutet es wie ein einziges großes "Fabrication Lab" an, eine Fabrik in der Fabrik, ein "3D Lebensraum" - ein Haus, das sich selbst und seine Technologien ständig weiter entwickelt.

Der mit der Computertechnik entstandene 3D-Druck  ist untrennbar mit dem Gedanken der Open Culture verbunden - frei zugänglichen und individuell veränderbaren Inhalten, die durch das Netz verbreitet werden. DUS Architects legen im Netz nicht nur ihre gesamte Projektplanung offen, vielmehr lassen Live-Streams  die ganze Welt zuschauen und auf Open Source-Plattformen wie "Thingiverse" sind Designs von Möbeln, Bauteilen und KamerMakers kostenlos downloadbar. Das "Internet der Dinge" - die Vernetzung von physikalischen Gegenständen - ist bereits online: die Aufhebung von "virtueller" und "realer" Welt. Konzepte der Open Data, Sharing und Social Media halten Einzug in die Architektur und somit in eines jener Berufsfelder, die bis dato materiell und handwerklich enorme Voraussetzungen forderten.

Demokratisierung der Architektur

In der 3D-Architektur spiegeln sich große Hoffnungen unserer Zeit wider: Demokratisierung, ökologische Nachhaltigkeit und ökonomische Perfektion. Das computerbasierte Entwerfen von Objekten ermöglicht schier unerschöpfliche Formen, erfordert aber auch computertechnisches Wissen. Irgendwann werden sich auch diese Techniken radikal vereinfachen lassen - wie es bereits mit allen Computertechniken geschah. Eine Demokratisierung der Produktionsmittel wird - wie es bereits Kunst, Musik oder Literatur vormachten - auch die Architektur einholen. Noch ist die Technologie einigen wenigen vorbehalten, aber deren Intentionen atmen bereits eine neue Zeit. 3D-Architekten sehen sich nicht als Erschaffer von Monumenten, sondern als Forscher, Künstler oder Visionäre, als Gestalter einer neuen Wirklichkeit, die mit der Welt der Dinge spielt, als sei es nur Papier.

Menschen suchten immer schon nach neuen Lebensräumen und unerschlossenen Welten. Waren dies einst die höchsten Gebirge oder die Tiefsee, so sind es heute die Antarktis, das All und virtuelle Räume. Ihr Realwerden könnte unsere gesamte Beziehung zu Zeit und Raum fundamental verändern, denn digitale Technik überwindet beides und weckt Träume von absoluter Grenzenlosigkeit.

Fotos: DUS Architects