BÜCHERSPIEGEL

Architektur für die russische Raumfahrt

Vom Konstruktivismus zur Kosmonautik: Pläne, Projekte und Bauten

Hg. Philipp Meuser Ansgar Oswald, Maryna Demydovets u.a. Autoren 412 Seiten DOM publishers, Berlin, 2013 ISBN 978 3 86922 219 6

Ein absolut lesenswertes Buch! Versuchten sich schon Künstler wie El Lissitzky, Wassily Kandinsky oder Architekten wie Wladimir Tatlin mit der Simulation der rotierenden Erdachse (1919) an neuen Raumtheorien, bezeichnete Igor Wassiljeskij, der Erbauer des berühmten Sanatoriums Druschba (1985, Russisch: Freundschaft) bei Jalta, Jahre später die kosmische Architektur kurz und bündig als Überwindung der Schwerkraft. Druschba ist ein statisches Meisterwerk am Schwarzen Meer, das wie eine Raumstation anmutet und durch einzigartige konstruktive Raffiniertheit ausgezeichnet ist. Das Gebäude steht auf drei zylindrischen Betonfüßen in unsicherer Hanglage, die an erstarrte Abgasstrahlen einer startenden Rakete erinnern. Zehn Jahre nach Sputnik wurde die kosmische Phase eingeläutet, um mit öffentlichen Bauten die UdSSR als Weltmacht im All auch gesellschaftlich zu etablieren. Für Sowjets war die Kosmonautik an die Vorstellung vom Jenseits gekoppelt – mit einer Architektur im Kosmos und im Kopf.
Die Architektur der Sowjetmoderne verliert Wand, Decke und Boden. Die Überwindung des Raums durch die Zeit ist zunächst eine provokative Sichtweise: Ein politisches und soziales Jahrhundertprojekt steckte in den Anfängen, das nach ideologischem und künstlerischem Überbau suchte. Wchutemas, höhere künstlerisch-technische Werkstätten, werden gegründet, Walter Gropius ruft das Bauhaus in Weimar ins Leben (1919). In der Physik folgt eine Revolution, die das Weltbild verändert: Einstein veröffentlicht Zur Elektrodynamik bewegter Körper. Wenig später ist Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski, Vater der Raketentechnik, im Fokus der Öffentlichkeit. Architekt Georgi Krutikow verfasst seine Diplomarbeit Fliegende Stadt (1928), die erste bewohnbare Struktur im All.
Modelle des absoluten Raumes gehen schon auf Newton zurück. Heute ist uns die Architektur unseres Planeten vertraut, die Natur ist Vorbild für die Technik, die uns Menschen antreibt, den Weltraum mehr und mehr zu erkunden.

Doris Lippitsch

Architekturführer Hamburg

Dominik Schendel
Softcover 135 × 240 mm, 320 Seiten, über 500 Abbildungen DOM publishers, Berlin 2013 ISBN 978-3-86922-242-4 EUR 28

Seit der Realisierung der HafenCity – das größte innerstädtische Entwicklungsprojekt Europas – mit Bauten von zahlreichen internationalen Stararchitekten, spielt Hamburg im europäischen Architekturkontext in der oberen Liga mit und seit der Internationalen Bauausstellung (IBA 2013) erst recht. Da verwundert es nicht, dass der Berliner Verlag DOM publishers die Stadt Hamburg in seine Reihe von Architekturführern aufgenommen hat. Das handliche und farbig bebilderte Buch ist übersichtlich und nutzerfreundlich aufgebaut. Insgesamt werden 250 Bauten und Projekte vorgestellt, die in sechs Stadtteilrundgänge unterteilt sind. Der Autor hat die jüngste Architektur der Hansestadt analysiert und in ihren bauhistorischen Kontext eingebettet. Herausgekommen ist ein Querschnitt durch 200 Jahre Baugeschichte. Allein der IBA 2013 ist ein Kapitel gewidmet, in dem die einzelnen Projekte – die gebauten, aber auch die noch nicht realisierten (statt: „ gebauten“) – sehr umfangreich vorgestellt werden. Die Tour „Vom Baumwall zum Oberhafen“ beleuchtet eingehend die HafenCity, schnell wird aber auch deutlich, dass Hamburg mehr ist als HafenCity und IBA, dies zeigen die weiteren Touren: vom Hauptbahnhof zum Rathausmarkt, vom Jungfernstieg zum Alsterfleet, vom Meßberg zur Reeperbahn und vom Stephansplatz zum Deichtorplatz. Dank zahlreicher Luftaufnahmen bekommt der Leser immer wieder einen Überblick über die Stadt. Dadurch wird sie im Zusammenhang erfahrbar. Ästhetische Architekturaufnahmen werden durch Grundrisse oder Renderings ergänzt und ein QR-Code verweist bei jedem Gebäude direkt auf die richtige Lage auf der Karte von Google Maps.
Der Autor nimmt weitgehend, wie es bei einem Architekturführer auch nicht verwunderlich ist, eine sehr objektive und unkritische Haltung ein, obwohl dies teilweise angebracht wäre. Im Text zur umstrittenen Elbphilharmonie wird in keiner Weise auf das politische Ärgernis der Kostenexplosion hingewiesen. Nur das fragwürdige Hanseatic Trade Center mit seiner bläulichen Glasfront wird als „Fremdkörper“ kritisiert.

Jennifer Lynn Erdelmeier

Automatismen und Architektur Medien, Obsessionen, Technologien

Oliver Schürer Mit einem Vorwort von Kari Jormakka 286 Seiten, broschiert mit 12 Abbildungen Springer Wien New York, 2012 ISBN 978-3-211-79195-0 EUR 34,95 Ihr Blick auf die Architektur, aber auch auf die Gesellschaft, kann sich durch die Lektüre dieses Buches verändern. Unter dem Begriff „Automatismen“ stellt sich sicherlich jeder etwas anderes vor, und selbst nach dem Studium dieses umfassenden Werkes wird dies wohl so bleiben – allerdings auf einem ganz anderen Niveau und mit geschärftem Blick. Der Autor schürft einerseits ganz tief, um bis zu den Wurzeln der Entwicklung und des Begriffes vorzudringen, andererseits zeigt er anhand von exemplarischen und überraschenden Beispielen auf, welche Rolle Automation in Projekten spielen kann. Dies beginnt bei Houdinis Zaubermaschinen, führt über Entwurfstechniken Antonio Gaudis bis zu rein intellektuellen Ansätzen von Superstudio, die ein weltumspannendes universelles Raster der Infrastruktur angedacht hatten.
Der rote Faden des Buches ist das Verhältnis von Mensch und Maschine, sei es als Erweiterung der menschlichen Extremitäten im Sinne von Werkzeugen, sei es durch Räume, die mit den Besuchern spielen, wie Ada, der invertierte Cyborg – eine „intelligente“ Installation im Schweizer Pavillon auf der Expo 02, der den Besuchern einiges abverlangt. Dass es Gesellschaftsformen gab, die mit Technologien völlig anders umgegangen sind, zeigt eine Exkursion ins antike Griechenland sowie der Diskurs um die Folgen der Einführung der schriftlichen Aufzeichnung für die Kultur und davon ausgehend das Verständnis von „angewandter Technologie“ im Verhältnis zum kostengünstigen Potenzial der Sklavenarbeit sowie Technologien der „Muse“ für geistige oder religiöse Zwecke. Die Annäherung dieser beiden Pole führte zu einem fundamentalen Wandel der Ethik.
Neben der absoluten fachlichen Sicherheit und dem umfassenden Wissen von Oliver Schürer besticht das Buch durch gute Lesbarkeit, die auch dem Ansatz zu verdanken ist, alle wichtigen Verweise in den Text zu integrieren, sodass der Leser entgegen den Erwartungen ohne Sekundärliteratur auskommt.

David Pasek